Habt Ihr genug Kerzen?
Über die nicht mögliche Reise in die Ukraine und die Einweihung des Pater Richard Henkes Saales in Oltarzew
Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine engagieren sich die Pallottiner für die Menschen, die dort unter den Folgen des Krieges leiden. Wohltäterinnen und Wohltäter spendeten dafür über 400.000 Euro. Missionssekretär Pater Reinhold Maise wollte daher vor kurzem in das Land reisen, um sich über die Situation dort zu informieren. Doch es kam anders, wie er berichtet.
Als mein Mitbruder, Pater Vyacheslav Grynevych SAC, am 12. September hier in Friedberg war und von seinen Erfahrungen als Pallottiner und Direktor der Caritas-Spes inmitten des Krieges in der Ukraine berichtet hat, da war es eigentlich schon klar, für ihn und auch für mich: Eine Reise in die Ukraine ist derzeit nicht ratsam. Angriffe aus der Luft sind jederzeit und überall möglich, die Lage ist zu gefährlich. Doch beide hatten wir es nicht ausgesprochen. Beide hatten wir wohl gehofft, dass die Reise doch irgendwie möglich sein wird.
Am Montag, 16. September nachmittags, gleich nach meiner Ankunft in Polen, rief er an und bat mich, von meinen Plänen, in die Ukraine zu kommen, Abstand zu nehmen. Er hätte sich mit den Mitbrüdern und auch mit den Sicherheitsleuten von Caritas-Spes beraten und alle würden sagen, es sei zu unsicher. Für mich war klar, dass ich nichts erzwingen und auch keinen zusätzlichen Druck auf die Mitbrüder ausüben wollte. Zu groß ist deren Belastung eh schon.
Die Furcht gehört mittlerweile zum Alltag dazu
Glücklicherweise waren Sr. Julia Wolska SAC und Sr. Galyna Klimenchuk SAC gerade noch in Polen. Die beiden Pallottinerinnen leben und arbeiten in Zytomierz und in Korostyszew (beide Orte liegen etwa 100 Kilometer in westlicher Richtung vor Kiew) und waren für ein paar Tage zu ihren Mitschwestern nach Warschau gekommen, um Lebensmittel, Kleidung und Geschenke für Kinder abzuholen, aber auch, um sich ein paar Tage zu erholen.
Ich konnte sie am Tag ihrer Rückreise noch treffen und so auch persönlich kennenlernen. Sr. Julia hatten wir im November 2023 Gelder zum Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten zur Verfügung gestellt. Die beiden Schwestern erzählten mir von ihrem Leben und Arbeiten mitten im Krieg. Sie berichteten, wie sie mitten im Alltag, der aus Unterricht, pastoralen Besuchen, Dienst in der Sakristei besteht, jederzeit mit Angriffen rechnen müssen. Vor allem in der Nacht. Die Furcht gehört mittlerweile zum Alltag dazu. Sie ist Teil ihres Lebens und irgendwie normal geworden.
Im Blick auf den kommenden Winter fragte ich sie, wie sie die Situation einschätzen würden. „Gas ist ausreichend vorhanden. Mit Gas können wir Kochen und Heizen. Doch an Strom fehlt es. Es gibt immer wieder Zeiten, in denen der Strom abgestellt ist“, sagt Sr. Julia. Das liegt daran, dass Russland inzwischen etwa 85 Prozent der Energieversorgung in der Ukraine zerstört hat. „Dann zünden wir eben Kerzen an“, antwortet darauf Sr. Galyna.
„Dann zünden wir eben Kerzen an.“ Ein kraftvoller Satz, wie ich finde. Drückt er die Haltung aus, dass sie nicht aufgeben möchten und die Hoffnung noch nicht verloren haben. Doch wie lange reicht die Hoffnung noch? Wie kraftvoll ist sie?
Geht die die Zermürbungstaktik Putins tatsächlich auf?
Schon beim Treffen mit Pater Vyacheslav hatte ich den Eindruck, dass diese Frage in seinen Erzählungen mitschwang: „Wie lange schaffen wir es noch, die Hoffnung nicht zu verlieren? Wie lange halten wir es aus, dass der Tod als ständiger Begleiter nah bei uns ist und in unser aller Leben tritt; dann, wenn wir vom Tod von Verwandten und Freunden hören oder wir Priester auch einen Rekrutierungsbescheid erhalten“.
Ich finde, diese Worte passen auch zu dem Gefühl, das mich die letzten Wochen und Monate immer mehr beschleicht: Wie lange hält die versprochene Allianz der westlichen Länder noch durch? Oder ist nicht schon, trotz aller Beteuerungen der Regierenden, irgendwie eine Ermüdung festzustellen? Geht die Zermürbungstaktik Putins tatsächlich auf?
„Dann zünden wir eben Kerzen an“. „Doch habt Ihr genug Kerzen?“ Ich glaube, es geht jetzt um diese Frage: „Habt Ihr genug Kerzen? Habt Ihr genug Hoffnung? Wie könnt Ihr sie stärken? Was könnt Ihr der Verzweiflung entgegensetzen? Und was können wir dazu beitragen?“
Diese Fragen habe ich nun mit zurück nach Friedberg genommen: Wie können wir die Mitbrüder und die Mitschwestern weiterhin unterstützen in ihrer Sorge um die Menschen in der Ukraine, die sie nicht verlassen, sondern ganz bewusst auch bei ihnen bleiben? Das möchte ich hier im Missionsbüro mit den Kolleginnen und Kollegen und mit den Mitbrüdern besprechen: Wie können wir weiterhin da sein und bleiben; auch dann, wenn die großartige Summe von nahezu 400.000 Euro, die unsere Förderer und Wohltäterinnen uns für die Ukraine Hilfe im Frühjahr 2022 zur Verfügung gestellt haben, allmählich zur Neige geht.
Eine Möglichkeit hat sich mir schon offenbart in den Tagen des Besuches in Polen. In Oltarzew, im Priesterseminar der Pallottiner in Polen, das westlich im Großraum Warschau liegt, haben die Mitbrüder in einem Gebäude auf dem Gelände unmittelbar nach Beginn des Krieges im Jahr 2022 eine Unterkunft für flüchtende Frauen und Mütter und deren Kinder eröffnet. Sie nennen es „Zukunft für die Ukraine“. Die laufenden Kosten dieses Hauses haben wir bisher vom Missionssekretariat mit den Spenden aus der Ukraine-Hilfe unterstützt.
Trauma-Therapiezentrum und Pater-Henkes-Saal
Neben der Unterkunft für die schutzsuchenden Frauen und Kinder möchten die Pallottiner hier nun auch ein Trauma-Therapiezentrum eröffnen – einen Ort, an dem an der Seele Verletzte Hilfe und Heilung erfahren können. P. Mirek Mejzner SAC, Initiator und Leiter beider Einrichtungen, hatte die Idee, den großen Saal, der für beide Häuser zur Verfügung steht, dem Seligen Pater Richard Henkes SAC zu widmen. Denn P. Henkes, ein Märtyrer der Nächstenliebe, setzte sich mit seinem Leben für andere ein. In tiefster Finsternis zündete er durch sein Da sein und bleiben bei den Kranken im Typhusblock im KZ Dachau ein Licht an. Für mich ein Beispiel dafür, dass der Vorrat an Kerzen nicht zur Neige gehen muss.
Bericht und Fotos: P. Reinhold Maise
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