„Ich will, dass sie das Leben haben“
Katholische Kirche in Brasilien erkämpft kleinen Sieg im Kampf gegen verbotene Pestizide
Es ist ein starkes Zeichen dafür, dass die katholische Kirche in Brasilien fest an der Seite der Armen und Benachteiligten steht. Sie hat eine Unterschriftenaktion im Bundesstaat Maranhao initiiert, die ein Gestz fordert, das Versprühen von in Europa verbotenen Pestiziden, so genannten Agro-Giften, zu verbieten. In der Gemeinde des Pallottinerpaters José Wasensteiner, in Timbiras, wurde dieselbe Petition auf kommunaler Ebene eingereicht. Mit großem Erfolg. Einstimmig beschloss der Stadrat von Timbiras, das Versprühen von diesen verbotenen Pestiziden über Flugzeuge und Drohnen zu verbieten. „Ein kleiner Sieg in all den täglichen Bedrohungen des Lebens“, sagt Pallottinerpater José „Sepp“ Wasensteiner und erzählt, wie es dazu kam.
Unsere Kleinstadt Timbiras ist eine der 23 Pfarreien in unserer Diözese in Coroatá, im armen Nordosten Brasiliens, nahe am Äquator gelegen. Sie wurde von der Agrarindustrie in den letzten paar Jahren regelrecht überschwemmt und verwüstet. Unsere Stadt hat knapp 30.000 Einwohner, die zum Großteil im Stadtkern wohnen, zum Teil aber auch in den über 50 Kleingemeinden, Dörfern auf dem Land, die auf 1.487 Quadratkilometern verstreut leben, zum Großteil mit indianischem und afrikanischem Blut. Sie respektieren und verehren die „Mutter Erde“, die ihnen in der familiären Landwirtschaft, im einfachen, manuellen Anbau ihrer Agrarprodukte von Reis, Maniok, Bohnen und Mais, sowie in der Haltung einiger Schweine und Hühner, den familiären Unterhalt garantiert.
Der Schutz des Lebens als religiöse Arbeit
In dieser Realität bin ich, der Pallottiner „Padre“ José Wasensteiner, gebürtig aus Lenggries in Oberbayern, seit 33 Jahren Gemeindepfarrer in der Diözese, und fünf Jahre in Timbiras, und versuche in der pastoralen Arbeit etwas von der essentiellen Botschaft Christi zu vermitteln: „Ich will, dass sie das Leben haben, und es in Fülle haben.“ Schutz von Minderheiten, die der Gier der Mächtigen ausgesetzt sind, Schutz des Lebens im Allgemeinen, sowohl der Menschen als auch der Natur, das in all seinen Dimensionen von Reichtum und Gewinnsucht bedroht ist, steht an vorderster Stelle unserer „religiösen“ Arbeit.
In diese Idylle eines harmonischen Lebens, wo Mensch und Natur eine Einheit bilden, sind „die Feinde des Lebens“ eingedrungen: Reiche von auswärts, von anderen Bundesstaaten, die billigst Land aufkauften, oder es sich einfach unter den Nagel gerissen haben, und die Urbevölkerung bedrohten oder direkt vertrieben, dann Planierraupen schickten, die Tag und Nacht die Natur, die Bäume, die Pflanzen, den Artenreichtum der Tiere und die Wasserquellen dem Erdboden gleich machen.
Ein Großteil des Landesinneren von Timbiras wurde in den letzten vier Jahren Opfer dieser Verwüstungen. Die Hügel, die Berge, sehen aus wie kahlgeschorene Köpfe, es fehlt Schatten, die Hitze nimmt zu, die Quellen versiegen, die Gemeinden sind der Verzweiflung nahe, denn die Konsequenzen von Raubbau Zerstörung und Verwüstung beschränken sich ja nicht auf die Gebiete der Fazendeiros, sondern betreffen essenziell auch unsere traditionellen Gemeinden.
Die Kirche kämpft als einzige Institution für das bedrohte Leben
Täglich kämpfen wir mit unserem Rechtsanwalt für das Leben unserer armen Bevölkerung auf dem Land, zum Großteil Analphabeten, die vom Eindringen zerstörender Kräfte überrascht, in ihrer Lebenskultur gestört werden und durch Fazendeiros, Pistoleiros, Planierraupen, Pestizide und vielen anderen Formen von Gewalt bedroht und zum Verlassen ihres Landes gezwungen werden soll.
Die Bauern danken es der Kirche, ist sie doch die einzige Kraft und Institution, die sich um das bedrohte Leben in seiner ganzen Bandbreite kümmert. Der Staat unterlässt es, Hilfe zu leisten und auf der Seite der Bevölkerung zu stehen, schaut zu, macht nichts und ist wohl selbst von der Agroindustrie „geimpft“. Dank eines in das Leben der Armen verliebten Rechtsanwalts, dessen Motivation vom Traum der Gerechtigkeit, der Würde und Gleichheit aller angereichert ist, konnten wir bisher das Schlimmste verhindern: die „Säuberung“ des Landesinneren von den seit Jahrhunderten dort lebenden traditionellen Gemeinden, bedroht von der geld- und gewinnsüchtigen Agrarindusrie. Was wir leider nicht verhindern konnten und können, ist die tägliche Quadratkilometer große Abholzung des Ur-Waldes, der den Monokulturen, der Weidelandschaft und Viehzucht weichen muss.
Drohnen und Flugzeuge versprühen Agrogifte
So als ob die Gewalt und Zerstörung noch nicht genug wären, kommt zu allem Unglück noch seit letzter Zeit dazu, dass Fazendeiros über Flugzeuge und Drohnen in großer Menge Pestizide versprühen, die in Europa längst verboten sind, und hier offiziell „Agrogifte“ genannt werden, wie der Name schon sagt, viel Unheil anrichten. Der Wind trägt die Gifte kilometerweit in andere Gebiete, wo sie enormen Schaden verursachen. Die Schäden an Mensch, Tier und Natur sind sichtbar und die Urbevölkerung auf dem Land ist hilflos der Situation ausgeliefert, bekommt Hautausschläge durch die Gifte.
Atemprobleme, Müdigkeit und Kraftlosigkeit sind die Folgen. In den Bächen, woraus die Menschen das Trinkwasser entnehmen und baden, sterben die Fische, in den Gärten vertrocknen die Zitronen- und Orangenbäume, die Felder der Bauern zeigen verwelkte Manjokpflanzen. Die Ernte ist in Gefahr, und damit das Leben der Bauern, ist doch die Feldarbeit ihre einzige Erwerbsquelle! Traurig, dass weder die Stadt-, noch die Staatsregierung eingreifen.
Unterschriftenprojekt gestartet
In dieser Situation schuf die katholische Kirche vom Bundesstaat Maranhão ein riesengroßes Unterschriftenprojekt, um auf die Landesregierung Druck auszuüben, damit sie ein Gesetz verabschiedet, das die Versprühung von Pestiziden und Giften über Flugzeuge und Drohnen in Maranhão verbietet. Diese Unterschriftenaktion endete am 2. August dieses Jahres, alle Unterschriften aller Gemeinden wurden der verantwortlichen kirchlichen Leitung übergeben, die sie zu gegebener Zeit der gesetzgebenden Landesversammlung und dem Governeur von Maranhão vorstellen und übergeben wird.
Um keine Zeit zu verlieren, wurde in Timbiras dasselbe Projekt in den Stadtrat eingereicht, damit die Versprühung der Pestizide über Flugzeuge und Drohnen im Kreis Timbiras, Stadt und Land durch ein neues Stadtgesetz verboten würde. Der Vorschlag wurde über eine Stadträtin eingereicht, diskutiert und in die Sekretariate und Komissionen des Stadtrats zur Bewertung weitergeleitet.
Eine öffentliche Debatte wurde vom Stadtrat angeregt und geplant, zu der unsere Bauern, Gemeinde- und Kirchenmitglieder in großer Zahl erschienen, auch einige Fazendeiros. Die fatalen Folgen der Pestizide wurden durch Berichte und Beweise der Bauern glaubwürdig dargelegt.
Der Tag der Entscheidung
Und dann warteten wir auf den Tag der Entscheidung: es war Montag, der 16. September. Als wir davon wussten, rührten wir die Werbetrommel in Kirche und sämtlichen Versammlungen, zu dieser Abstimmung zu erscheinen, und den Stadträten durch unsere Präsenz zu „helfen“, eine Entscheidung für das Leben und gegen den Tod zu treffen. Wir waren uns sehr wohl bewusst, dass auch die Gegenseite nicht schläft, und um ihre Interessen zu verteidigen, entweder bedroht, oder hohe Schmiergelder den Stadträten anbieten wird. Aber da wir Gott sei Dank kurz vor den Stadtratswahlen am 6. Oktober stehen, ist natürlich jeder Stadtrat wegen des lukrativen Geschäfts stark daran interessiert, wieder gewählt zu werden. Das war und ist ein sicherlich nicht zu unterschätzender Trumpf.
Am Tag der Abstimmung waren unsere Kirchengemeinde und unsere Bauern aus dem Landesinneren wieder in großer Zahl anwesend. Nach der Lesung des Projekts kam es zur Abstimmung. Einstimmig wurde das Projekt verabschiedet und das Gesetz in Timbiras geschaffen, das verbietet Pestizide über Flugzeuge und Dronen zu versprühen.
Wir waren sehr glücklich, ein kleiner Sieg in all den täglichen Bedrohungen des Lebens! Jetzt muss eben nur darauf geachtet werden, dass das Gesetz auch eingehalten wird, und bei irgendeiner Überschreitung unser Rechtsanwalt eine Eingabe am Gericht machen muss. Immerhin haben wir jetzt das Recht auf unserer Seite.
Padre José Wasensteiner SAC
Pfarrer in Timbiras (Brasilien)
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