"Musik macht das Wunder möglich"

Das Centro Social e Cultural in Santa Maria, Brasilien

Boa Vista – schöne Aussicht – heißt der Stadtteil Santa Marias, durch den mich Suelen Oliveira in einem Auto mit abgedunkelten Scheiben fährt. „Sonst ist es zu gefährlich für dich!“ sagt die Sozialarbeiterin. Polizisten, Busfahrer – sie alle machen einen weiten Bogen um das Armenquartier. Illegale wohnen hier. Als „Invasion“ werden sie bezeichnet, weil sie plötzlich einfach da sind und über Nacht das Land besetzen und ihre Hütten bauen. Immer neue Viertel von Boa Visita entstehen so oberhalb der südbrasilianischen Stadt Santa Maria. Sie zapfen das öffentliche Stromnetz und die Wasserversorgung an. Eine Arbeitserlaubnis haben sie nicht und haben nur die Möglichkeit, schwarz zu arbeiten – als Putzfrau oder Hilfsarbeiter.
Drogen sind hier überall – sie werden verkauft; ihretwegen sterben Menschen oder werden verfolgt. Oder sie machen abhängig. Vor allem die Kinder und Jugendlichen haben keine Chance, dem Sog von Crack und Klebstoff, von Heroin oder Tabletten zu entrinnen. Wenn die Eltern selbst drogenabhängig sind, welche Möglichkeit hat dann ein Kind?

Suelen hat keine Angst in Boa Vista. Sie ist bekannt und ihr Ausweis macht sie als Sozialarbeiterin kenntlich. Seit 2013 arbeitet sie bei den Pallottinern im Centro Social e Cultural. Sie besucht die Familien, weiß in welcher Familie der Vater im Gefängnis sitzt oder die Mutter, weil sie ihren Mann ermordet hat – 35 Jahre. Sie bringt Lebensmittel oder sorgt für die notwendigsten Möbel, gibt Ratschläge zum täglichen Überleben oder vermittelt psychologische Hilfe. Viele Kinder sind traumatisiert. Nicht unüblich, dass ein sechsjähriger Junge völlig verstört mit einem Messer auftaucht und andere angreift.

Mit Musik ins Leben - Sozialarbeit der Pallottiner in Brasilien

2010 beginnt die Initiative der brasilianischen Santa Maria Provinz der Pallottiner in Boa Vista. Nach der Schule werden Kinder aus den Armenquartieren mit dem Bus zur Vinzenz-Pallotti-Schule gebracht. Sechzehn Mitarbeiter arbeiten im Förderzentrum: es ist eine Musikschule, in der Kinder sich ausprobieren können. Von der Flöte bis zur Trommel, Tanz und Gesang, aber auch verschiedene Therapiearten sind im Zentrum angesiedelt. Über die Musik erhalten Mitarbeiter wie Suelen Kontakt zu den Kindern und ihren Familien, entdecken die Probleme der Familie im Hintergrund. Über 400 Kinder und Jugendliche werden hier betreut. Von sechs bis zwanzig Jahren. Zuerst einmal haben sie im Centro einen sicheren Ort: ohne Drogen, ohne Kampf und ohne den Stress ihrer Familien.

Als ich zu Besuch komme, tönt es aus allen Räumen. Die Trompeten stimmen sich ein, genau wie der Chor oder die Xylophone. Überall wuselt es vor Bewegung und Aufregung. Heute soll die große Probe für ihr Konzert stattfinden.
Filmmusik steht auf dem Programm und aus der wilden Meute auf dem Gang ist ein richtige Big Band geworden. Eine Einheit, die Musik erklingen lässt und mich damit berührt.

Und ein Wunder: sind das doch die Kinder, die Jugendlichen, von denen Suelen mir erzählt hat, die doch kaum eine Chance auf Sozialisierung, auf Bildung und Zukunft haben. Musik macht das Wunder möglich.

Mit Pater Vanderlei, dem Ökonom der Santa Maria Provinz und Leiter des Centros, tausche ich mich später aus: Über die Musik lernen die Mitarbeiter die Kinder kennen, entdecken, wo Förderbedarf besteht, erkennen Talente und schaffen es, den Kindern Selbstbewusstsein zu geben.
Und die Mütter, die Familien kommen ebenso in Kontakt mit dem Centro. Oft gibt es Elternstunden, Beratungen oder auch Hilfsangebote, um einen Job zu finden oder eine Therapie zu besuchen.
Als ich weggehe, begleitet mich nicht nur die Musk, das Singen der Kinder und meine Unfähigkeit, den Rhythmus auf der Trommel zu halten. Ich gehe weg mit einer Boa Vista – einer guten Aussicht für die Kinder dieses Viertels.

Bericht: Pater Markus Hau, Missionssekretär der Pallottiner
Bilder: Ein Foto zur Erinnerung: Pater Markus Hau und Sozialarbeiterin Suelen Oliveira; Mikrofon: Marko Adobe Stock.

Kontakt zum Centro Social e Cultural 

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