Vorgetäuschte Einigkeit unter Menschen gleicht dem Turmbau von Babel

Die monatliche Reflexion für UNIO-Mitglieder kam im Oktober aus Dänemark

“Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; ich gebe euch nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt. Euer Herz soll nicht unruhig werden; verzagt nicht!“ (Joh 14,27-28)

 

Im siebten Kapitel seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ mit dem Titel „Wege zu einer neuen Begegnung“ betont Papst Franziskus, dass der Friede auf dem Fundament der Wahrheit aufgebaut werden muss, und dass soziale Freundschaft und Verzeihen notwendig sind, um unvermeidbare Konflikte zu überwinden.

Jesus gab alltäglichen Worten eine neue, heilige Bedeutung: zum Beispiel „Frieden“ oder „Vergebung“. In den Worten Jesu steckt die Erwartung des Friedens des Messias. Jeder von uns ist ein Architekt eines solchen Friedens auf dem Weg zu Gott. Es ist auch ein Hinweis darauf, dass Konflikte beim Kampf um die Wahrheit unvermeidlich sind. Ein Friede ohne Jesus ist ein weltlicher Friede, der uns gefangen hält. Die Mühe um eine oberflächliche, manchmal nur vorgetäuschte, Einigkeit unter Völkern und Menschen gleicht dem Turmbau von Babel, der nur das „Jetzt“ und „Heute“ im Sinn hat. Jesus hingegen lehrt uns, uns nicht dieser Welt anzupassen, sondern mit und in ihm zu bleiben, Eins-Sein in ihm, und dabei doch unterschiedliche Menschen bleiben, die sich kulturell und sozial unterscheiden.

Wegschauen ist einfach

Ein sogenannter Friede in dieser Welt beruht oft auf einer Vergebung für alle, einer Art Generalamnestie, die den Einzelnen davon befreit, sich zu verändern, an Umkehr und an Neubeginn zu denken. Es ist eine Torheit, wenn man glaubt, dass man die ganze Wirklichkeit mit großen Worten und aufgeblähten Zahlen wiedergeben kann. Menschliche Tragödien, Leid und Not des einzelnen, werden unter dem Namen von Katastrophen, von kriegerischen Auseinandersetzungen oder nationaler und sozialer Konflikte versteckt; sie erscheinen als komplexe, fremde und unabhängige Phänomene und verraten keinerlei Interesse an den Menschen, die von all dem betroffen sind. So ist es oft leicht zu vermeiden, ernsthaft über uns selber nachzudenken und wie es mit unseren Beziehungen zu unseren Mitmenschen steht.

„Gebt einander ein Zeichen des Friedens“ ist jedoch eine Aufforderung zum individuellen Handeln.

Was ist mit diesem einen Menschen, meinem Nachbarn, meinem Arbeitskollegen; wie steht es mit dem täglichen Verzeihen von Ärger, Eifersucht, Demütigung, Gewalt? Welche Sprache, welche Art von Kommunikation sollte ich verwenden?

Verstehen, was gemeint ist

Seit über 30 Jahren lebe ich nun in Dänemark, ein Einwanderer, und ich glaube, ich weiß wie schwierig eine Kommunikation ist, die dem Evangelium entspricht und den Frieden Jesu schaffen will. Es geht nicht nur darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, sondern zu verstehen, was gemeint ist. Was bedeutet das Wort Frieden, Barmherzigkeit und Vergebung für mich, einen Katholiken, und was bedeutet es für meinen muslimischen oder atheistischen Nachbarn?
Barmherzigkeit und Vergebung haben im Islam verschiedene Auslegungen, aber es ist das Vorrecht Allahs im Werk der Gerechtigkeit des Jüngsten Tages und es kann auch Strafe bedeuten (Koran 6:147ff; 49:29). Der Weg zur Vergebung ist der Koran (27:77, 81). Für einen Atheisten haben „Liebe“ und „Frieden“ nur irdischen Wert, und Vergebung beruht auf einer Ursache-Wirkung-Beziehung. Die „Wahrheit“ ist relativ – wie für Pilatus. Die politische Korrektheit ist oft wichtiger als die Wahrheit und anstelle von Vergeben und Verzeihen wird aufgerechnet oder annulliert (vgl. Fratelli tutti, Nr.226-227)
Für einen Christen hingegen ist Gott unendliche Liebe. „Ich verstehe und vergebe“ bedeutet für mich, mich als armen Sünder zu erkennen und dies zu bekennen und mich Gott zuzuwenden, der die Wahrheit ist, und der mir Verwandlung, der Umkehr schenkt, weil er mich liebt.

Wir sind alle Kinder Gottes, aber schon ein Blick auf die verwirrende Landkarte der Sprachen zeigt uns, wie verschieden alles Mühen um Frieden und Neubeginn verstanden wird.

„Hygge“, durch wegschauen?

Die skandinavischen Länder sind die Spitzenreiter bei Glücksumfragen. Hier dominiert das positive Denken, die Freude am Augenblick, am flüchtigen Moment und an den kleinen Dingen des Lebens. „Hygge“ ist ein Kernbestandteil der dänischen Tradition und Lebensweise. Im Wesentlichen bedeutet es eine gemütliche Atmosphäre, in der man das Schöne des Lebens genießt. Es ist zu einem weltweit bekannten Begriff für einen entspannten Lebensstil geworden. Ein Ausländer jedoch spürt, dass diese positive Mentalität oft vom Verschweigen und Verdrängen lebt. Verschwiegen und verdrängt werden Krisen und Probleme und die Art und Weise wie man auf Unrecht und Gewalt reagiert. Für einen Christen bedeutet Vergebung nicht Vergessen (Fratelli tutti, Nr. 250).

Der junge Mann erwiderte Jesus: Alle diese Gebote habe ich befolgt. Was fehlt mir noch? Jesus antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkaufe deinen Besitz und gib das Geld den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; komm und folge mir nach. (Mt 19,20)

Das ist das Dilemma, von dem Jesus spricht, wenn er sich an den reichen jungen Mann wendet, der sich als guter, humanitärer und barmherziger Mensch versteht und sich fragt, ob er darüber hinaus noch etwas tun kann (Mt 19,20). Die Antwort Jesu ist die totale Hingabe an Gottes Willen. Es handelt sich nicht um ein Gespräch, in dem zwei Menschen ihre Meinungen austauschen, sondern um einen Dialog, der dazu dient, die Frohe Botschaft zu verkünden und die Umkehr zu erwarten.

Ich kann nach Zeichen des Friedens Jesu „im Dialog suchen, im ruhigen Gespräch oder in der leidenschaftlichen Diskussion“ (Fratelli tutti, Nr. 50). Ursprünglich bedeutete das lateinische Wort „conversatio“ eine zielgerichtete Interaktion mit der Welt, die auf eine Transformation hinzielt, auf eine Veränderung der Lebensweise, die ihren Grund in der Begegnung mit einem anderen Menschen hat. So sollte ein Gespräch für einen Christen nicht eine normale, entspannte soziale Interaktion sein, sondern Teil einer Veränderung (das Verb „versare“) zum Guten hin, zu dem, was dem Frieden dient.

Vinzenz Pallotti lehrt uns die transzendente Bedeutung der Worte Jesu

In der Sprache des heiligen Franz von Assisi und in der „conversatio“ des heiligen Benedikt geht es auch immer um das, was heilig ist, und vielleicht ist es ein Zeichen unserer Zeit, dass diese Bedeutung des Wortes in der Alltagssprache verschwunden ist. Heilig, also die Beziehung zu Gott, wird aus der Sprache verdrängt und es ist doch letztlich nur Gott, der den wahren Frieden schenken kann, und auch die Umkehr, zu der Jesus uns aufruft. Selbst das platonische Wort „Dialog“ enthält im Original „logos“, was sich für uns auf das Werk der Schöpfung beziehen kann, auf das Wort, das im Anfang war. Vinzenz Pallotti lehrt uns die transzendente Bedeutung der Worte Jesu, indem er den wichtigsten Worten eine absolute Dimension hinzufügt. Die „Liebe“ ist also unendlich! „Gott der unendlichen Liebe und der unendlichen Barmherzigkeit“; so wie Jesus es im griechischen Original der Evangelien formulierte: Agape (ἀγάπη).

Ich habe die Geschichte des jungen Mannes, dem Jesus begegnet, ausgewählt, weil sie zu dem Land passt, in dem wir, eine kleine pallottinische Gemeinschaft leben. Dänemark ist eines der reichsten Länder und eine Gesellschaft, die sich übermäßig stark an humanitären Programmen in der ganzen Welt beteiligt. Gleichzeitig ist sie aber auch eine spirituelle Wüste, in der sie in allen Bereichen Diskussionen über religiöse und sogar spirituelle Themen im Allgemeinen vermeidet. Wenn man reich ist und seine Zeit und Ressourcen dafür einsetzt, anderen zu helfen, kommt man irgendwann an den Punkt, an dem man sich fragt: „Gibt es noch etwas anderes?“, „Was kommt als nächstes?“ Die schnellste Antwort scheint heutzutage zu sein … Fitness und Yoga. Diese beiden Lebensbereiche nehmen astronomisch zu, insbesondere bei jungen Menschen.

Die Welt verändern mit der guten Nachricht

Und da ist er nun – ein junger Mann, der gerade vom Morgensport zurückgekehrt ist und versucht, seinen Tag mit Sinn zu füllen. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache, denn das Heilige existiert für meinen Gesprächspartner nicht, und er wird nicht verstehen, dass das Heilige so real ist wie das Brot, das man zum Frühstück isst.

Im Gespräch und im Dialog gibt es immer einen Konflikt, ein Aufeinandertreffen zweier Welten. Jesus sagt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ (Mt 10,34). Aber in der Bergpredigt sagt er: „Selig die Sanftmütigen“ (Mt 5,5). Ist das nicht ein offensichtlicher Widerspruch? Ein Blick auf die ursprüngliche Bedeutung der Worte helfen uns beim Verständnis. Zunächst einmal bezeichnet das griechische Wort „machaira (μάχαιρα)“ kein traditionelles Schwert, das wir mit dem Bild von Schlachten im Mittelalter in Verbindung bringen. Es ist ein einschneidiges Messer, mit dem wir das Gute vom Bösen trennen. Das griechische Wort „sanftmütig“ (οἱ πραεῖς) verbindet uns mit dem Adjektiv „praos“, d. h. sanft, zahm. Er bezieht sich auf eine Kraft, die zurückgehalten wird. Zum Beispiel ein wildes Pferd, das gezügelt wird. Wenn wir also diese beiden Aussagen kombinieren, müssen wir das Modell Jesu widerspiegeln, der über unbegrenzte Macht verfügt, aber in der Lage ist, seine göttlichen Kräfte zu „zähmen“, indem er sein Schwert in der Scheide hält. Er verändert die Welt mit der Guten Nachricht.

Als Christen sind wir durch Gottes Liebe und Hilfe sehr stark. Wir sind nicht klein und hilflos. Im Gegenteil, wenn wir ein Schwert in der Scheide tragen, bewegen wir uns auf die Liebe und den Frieden Gottes zu. Der Dialog ist nur ein Mittel zum Zweck.

Dies ist meine „conversatio“, mein Gespräch mit meinem Nachbarn, meinem Kollegen, der Hilfe braucht, meinem Bruder und meiner Schwester, die fragen: „Gibt es noch etwas anderes?“

Die “Monatliche Reflexion der UAC”
im Oktober 2021
stammt von Cäsar Szwebs UAC
aus Dänemark

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