Heilung von Wunden und Erneuerung von Herzen und Horizonten
durch die Erfahrung derer, die das pallottinische Charisma leben
Reflexion für die Mitglieder der pallottinischen Unio - von Dr.ssa Marzia Pireli aus Italien
Ich bin Psychotherapeutin und beschäftige mich seit 40 Jahren mit psychologischen Problemen. Der Impuls, der mich dazu gebracht hat, diesen Beruf zu wählen und ihn so viele Jahre lang mit Begeisterung auszuüben, hängt mit einer der Grundlagen der Spiritualität des hl. Vinzenz Pallotti zusammen, der danach strebte, „dass in mir stets ein wahres Mitleid mit allen lebendig sei“ (vgl. OOCC X, 20).
Ein lebendiges Mitgefühl für alle Menschen und für all das in ihnen, was so schwer zu akzeptieren ist, zu bewahren, kann manchmal sehr unangenehm sein. In diesen Fällen halte ich, um meine Schwierigkeit, den anderen zu akzeptieren, die Gewissheit in mir wach, dass die Liebe heilt und die Wunden durch sie geheilt werden. Wie in verschiedenen Studien festgestellt wurde, ist es ein Trauma, also eine seelische Verletzung, das die Liebe zu sich selbst und zu anderen blockiert, so als ob es einen Damm errichten würde, der den Fluss der Liebe selbst verhindert.
Die Psychologie macht die Erfahrung, dass wir mit der Liebe verwoben sind und dass unsere wahre Identität die Liebe ist, die in uns ist. Schon hier klingen diese Worte des Heiligen Vinzenz an: „In meiner Seele gibt es einen natürlichen Bestandteil, der nach unendlicher Liebe strebt, … Ich bin also verpflichtet, ein Leben der Liebe zu führen.“ (OOCC XIII, 84 (IAI Med. XIII).
Für den Psychiater Carl Gustav Jung ist das „Selbst“ die psychische Gesamtheit und das „Ich“ lediglich der Teil des Selbst, der uns bewusst ist. Das „Ich“, als Teil des größeren Ganzen, kann das „Selbst“ nie begreifen. Das „Selbst“ als Gesamtheit ist für ihn unbeschreiblich und nicht von der Gottesebenbildlichkeit zu trennen. In jedem Menschen steckt demnach eine unendliche Weisheit, die zu heilen weiß: Man muss sie nur reaktivieren, indem man die Barrieren beseitigt, die diesen Heilungsprozess behindern.
Die menschliche Natur strebt nach unendlicher Liebe
Während eines Traumas, einer Verletzung, verschmilzt das Selbstbewusstsein (im Ego) mit dem Trauma selbst, und das führt dazu, dass wir aus den Augen verlieren, wer wir wirklich sind, d.h. wir verlieren den Kontakt zu unserer menschlichen Natur, die nach unendlicher Liebe strebt; und diese Abtrennung führt dazu, dass man sich in sich selbst zurückzieht (Depression oder Isolation) oder wütend oder abhängig wird (von anderen oder von den verschiedensten Substanzen, Drogen, Alkohol, Nikotin usw.), um sich vor dem Schmerz zu schützen. Die psychologische Betreuung hat nun die Aufgabe, zu entdecken, dass ein Versuch, sich vor dem Leiden zu schützen, positiv zu bewerten ist; sie muss aber lernen, mitfühlend zu sein und vor allem, anderen und sich selbst zu vergeben.
In den letzten dreißig Jahren haben wir versucht, Mitgefühl und Vergebung aus neurophysiologischer und psychologischer Sicht zu erforschen, und wir machen die Erfahrung, dass diese Aspekte von grundlegender Bedeutung für die Überwindung der Wunden der Vergangenheit sind. Diejenigen, die nicht wissen, wie man Mitgefühl für sich selbst empfindet, werden oft von Scham, mangelndem Selbstwertgefühl (Minderwertigkeitskomplex) und von Demütigungen überwältigt, die sie vor allem in der Kindheit erlitten haben und die ihnen Leid und Einsamkeit gebracht haben. Außerdem, um mit einer vertrauensvollen Haltung gegenüber dem Leben, sich selbst und anderen aufzuwachsen, ist es wichtig, ja, notwendig, in den ersten Lebensjahren, einem grundlegenden Lebensabschnitt, Zuneigung und Fürsorge zu erfahren.
Schmerzen annehmen, innere Wunden heilen lassen
Um eine mitfühlende Liebe zu sich selbst zu initiieren, versuche ich in meiner psychotherapeutischen Arbeit anderen zu helfen, den Mut zu entwickeln, sich wieder mit ihrem eigenen Leiden auseinander zu setzen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, indem ich an jene Episoden der Vergangenheit denke, die aufgrund von Schmerz, Wut, Angst oder Scham eine Fragmentierung unserer Integrität verursacht haben. Andere zu lehren, das eigene Leiden und das der anderen zu erkennen und zu akzeptieren, mag selbstverständlich erscheinen, ist es aber nicht: Alle Menschen neigen dazu, vor dem Leiden zu fliehen, den Kontakt mit ihm zu vermeiden, denn es verursacht Schmerzen und zeigt eigene Verletzlichkeit auf. Diese Schmerzen zu akzeptieren bedeutet, mit der Heilung der inneren Wunden zu beginnen.
Ich erinnere mich an den Fall einer bulimischen Patientin* mit schweren Angstzuständen und Depressionen, die sich daran erinnerte, wie sie als Kind versuchte, die Aufmerksamkeit ihres Großvaters zu bekommen, der ihre ältere Schwester bevorzugte, indem sie alles tat, um ihm zu gefallen. Stattdessen sagte er mehrmals barsch: „Es ist nutzlos, dass du nett zu mir bist, ich will dich nicht, weil du die Zweite bist.“ Sie empfand in diesen Momenten großen Schmerz und fühlte sich so gedemütigt, dass sie am liebsten verschwinden wollte, sie begann zu denken, dass sie hässlich und nutzlos sei (sie entwickelte einen überkritischen Teil von sich, den sie „Fräulein Rottenmeier“ nannte, Heidis unsympathische Erzieherin (Heidi ist der Name eines Romans und einer Filmserie für Kinder), aber sie fuhr fort, ihrem Großvater zu dienen (sie entwickelte einen unterwürfigen/zufriedenen Teil, den sie „Zerbinella“ nannte), in der Hoffnung, gesehen zu werden. Das Wiedererleben ihres kindlichen Leids, ignoriert zu werden, den Schmerz der Demütigung zu spüren und ihre unausgesprochene Wut auf den Großvater, ermöglichte es ihr, eine große mitfühlende Zärtlichkeit gegenüber ihrem eigenen Kind zu empfinden, und von da an begann sie, sich selbst zu respektieren, anständig zu essen und ihre wahren Bedürfnisse auszudrücken.
Um Mitleid für andere Menschen zu entwickeln, versuche ich, die Idee zu eigen zu machen, dass es nicht schädlich ist, anderen zu helfen, im Gegenteil, sogar Freude bereiten kann. In Fällen von Magersucht besteht eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf den eigenen Hungerreiz zu lenken, oft darin, einen freiwilligen Dienst in den Suppenküchen der Caritas anzubieten: Der Kontakt und das Mitgefühl mit denjenigen, die wirklich Hunger haben und ihn nicht stillen können, bringt einen dazu zu erkennen, dass der eigene Hunger blockiert ist.
Mitgefühl gegenüber allem, was uns blockiert
Wir sollten dann die Worte des heiligen Vinzenz wieder in uns erklingen lassen, der versuchte, „ich will danach streben, dass in mir stets ein wahres Mitleid mit allen lebendig sei“ (vgl. OOCC X, 20), und spüren, dass es auch darum gehen kann, Mitgefühl gegenüber allem, was uns blockiert, was wir am liebsten aus unserem Gedächtnis auslöschen möchten, gegenüber unseren Leiden, gegenüber unseren Traumata zu erwecken; dann wird es uns eher möglich, andere in ihren Leiden zu verstehen und Mitleid spüren.
Es wäre für jeden von uns sehr interessant, eine einfache Achtsamkeitsübung zu machen, um zu sehen, was uns blockiert und den heilenden Kontakt mit dem Selbst behindert.
Sie können das Folgende tun:
- Setzen Sie sich in eine entspannte Position und atmen Sie ein paar Mal tiefer als gewöhnlich.
- Dann fangen Sie an, sich auf das zu konzentrieren, was sie am meisten stört, auf bestimmte Erinnerungen, Erlebnisse, Ereignisse, und wählen Sie ein bestimmtes aus.
- Geben Sie ihm einen Namen, so wie er Ihnen spontan einfällt (z.B. der Skorpion, die Vogelscheuche, der Feigling, etc.)
- Versuchen Sie zu sehen, wie ihr Körper darauf reagiert: Wo lauert er? Wie fühlt es sich bei Ihnen an? (Herzrasen, Taubheit, Muskelanspannung, der Wunsch, die Beine zu bewegen, als ob man fliehen wollte…)
- Fangen Sie nun an, ein Gespräch mit ihm zu beginnen, so wie Sie ein Kind in Ihrer Obhut fragen würden, ob ihm etwas fehlt, was es gerne wissen möchte. Vielleicht wird er Ihnen etwas über ihre Kindheit erzählen, etwas, das Sie vergessen haben, vielleicht werden Sie einige kindliche Gefühle spüren, die eingefroren waren.
- Lassen Sie den anderen nun wissen, wie alt Sie jetzt sind, und sagen Sie ihm, dass er nicht mehr allein ist, und beobachten Sie, ob es eine körperliche oder geistige Reaktion gibt.
- Bitten Sie nun diesen Gesprächspartner, sich zu entspannen, ruhig zu sein und versuchen Sie, ein tiefes Mitgefühl für dieses Erlebnis, dieses Leid, diese Emotionen, die er Ihnen mitgeteilt hat, zu empfinden, wie Sie es für ein missbrauchtes, ausgeschlossenes oder verängstigtes Kind empfinden würden…
- Schließen Sie diese kurze Übung mit einer Danksagung für das, was Ihnen eine Hilfe war und an Gott, der die unendliche Liebe und Barmherzigkeit ist.
Dr.ssa Marzia Pireli UAC
Gemeinschaft Quinta Dimensione
Italien
*Bulimie ist eine schwere Erkrankung, bei der regelmäßige Essanfälle auftreten und Betroffene Angst haben, dick zu werden. Behandlung ist notwendig.
Quelle: Apostel heute, Monatliche Reflexion für die Mitglieder der UNIO im April 2024, Hrsg.: Union des Katholischen Apostolats (Pallottinische Unio), Rom. (Übersetzung aus dem italienischen Original.) Kontakt: uacgensec@gmail.com / www.vincenzopallotti.org. Foto: kieferpix Adobe Stock.
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