„Der Mensch hat Anteil am Leben Gottes“
Vor 60 Jahren wurde Vinzenz Pallotti heiliggesprochen
Als Vinzenz Pallotti am 20. Januar 1963, in Rom heiliggesprochen wurde, hatte in der römisch-katholischen Kirche das II. Vatikanischen Konzil begonnen. Papst Johannes XXIII. rief die Kirche zum „aggiornamento“ zur „Verheutigung“ auf. So war es kein Zufall, dass Vinzenz Pallotti, der das Apostolat aller Getauften gepredigt hatte, als Vorbild herausgehoben wurde. Zum 60. Jahrestag seiner Heiligsprechung hat die Leiterin des „Zentrum für Spiritualität – Pallotti Institut“ Brigitte Proksch UAC eine Jubiläumsakademie zum Thema „Phänomen Heiligkeit – theologische und religionswissenschaftliche Perspektiven – Sehnsucht und Projektion, Faszination und Manipulation – zur Ambivalenz des Heiligen“ vorbereitet. Die Vinzenz Pallotti University lädt am 8. und 9. November 2023 nach Vallendar ein.
Frau Proksch, gemeinsam mit der Provinzleitung der Pallottiner haben Sie im Pallotti Institut, dem Zentrum für Spiritualität, eine Jubiläumsakademie anlässlich der Heiligsprechung vor 60 Jahren vorbereitet. Worum geht es Ihnen dabei?
In den Schriften Pallottis spiegelt sich seine Überzeugung, dass der Mensch als Bild Gottes an den Attributen und Wesenszügen Gottes teilhat, also seinem Wesen nach heilig ist, heilig durch Teilhabe am Leben Gottes. Diese seinshafte Heiligkeit ist jeder moralischen vorgeordnet. Das ist ein Aspekt, der oft weniger im Bewusstsein ist. Eine sogenannte „Heiligsprechung“ hat im alltäglichen Verständnis immer zuerst die Konnotation einer moralischen Qualität, selbst, wenn das theologisch betrachtet nicht so ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollte das Heilige thematisiert werden, verbunden mit einem kurzen Blick in andere Kulturen und Religionen.
Die Pallottiner richten sich neu interkulturell aus, dabei spielt auch die Vinzenz Pallotti University eine wichtige Rolle. Wie passt das Thema zu Vinzenz Pallotti, der selbst ja nie weit über seine Heimatstadt Rom hinausgekommen ist?
Interkulturalität hängt mit Inkulturation zusammen: christlicher Glaube ist so unfassbar vielgestaltig, dass man kaum Überblick gewinnen kann – sei es innerhalb der katholischen Kirche vor Ort und weltweit, sei es innerhalb der christlichen Ökumene. Mit Ökumene hatte Pallotti damals noch nichts zu tun, die Vielfalt innerhalb der katholischen Kirche nahm er in Rom bewusst wahr und förderte unter den Studenten, den Priesteramtskandidaten verschiedener katholischer Ostkirchen die Pflege ihrer eigenen liturgischen Riten und Bräuche, nicht zuletzt bei der berühmten Epiphanieoktav.
Wie können wir das auf unsere heutige Situation anwenden?
Übertragen auf heutige Gegebenheiten ist die Auseinandersetzung mit der weltkirchlichen Vielfalt und den vielen Ungleichzeitigkeiten, die es da parallel gibt, das zentrale Bemühen des weltweiten synodalen Prozesses. Gerade im internationalen Austausch müssen die Kulturdifferenzen zum Thema werden. Das betrifft sowohl Migranten in Europa, damit verbunden die Internationalisierung der Orden, als auch die Beschäftigung mit den anderen Weltgegenden und den sie prägenden religiösen Traditionen. – Vielfalt war für Pallotti jedenfalls kein Problem, ihm ging es immer um „alle“ in der Überzeugung, dass jede und jeder einen Beitrag zum Ganzen habe.
Vinzenz Pallotti ist keiner der bekannten Heiligen. Wie haben Sie ihn kennengelernt und was gefällt ihnen an dieser Persönlichkeit besonders?
Bevor ich den Pallottinern begegnete, kannte ich Vinzenz Pallotti nur dem Namen nach – so viel war mir vom Studium noch im Gedächtnis geblieben –, und auch, dass er etwas mit Laienapostolat zu tun hatte. Als die Pallottiner zum 50-Jahr-Jubliäum der Heiligsprechung eine Pallotti-Studie zu seiner Spiritualität machen ließen und das mir zugefallen war, lernte ich diese Persönlichkeit langsam besser kennen.
Was hat Sie damals am meisten beeindruckt?
Pallottis universale Offenheit und Weite bewegten mich zunehmend. Ich sehe ihn als jemanden, der das Charisma des Ignatius von Loyola, das Konzept der Teilhabe an der Sendung, am Apostolat Jesu, von seiner klerikalen Engführung ausweitet auf alle. Mein Vorgänger im Pallotti-Institut, Pater Ulrich Scherer, der ein wirklich hervorragender Kenner aller Schriften Pallottis war, hat immer hervorgehoben, dass es Pallotti um ein universelles Apostolat ging und um die Zusammenarbeit aller. Das geht weit über die Förderung der Mitarbeit von sogenannten Laien hinaus.
Würde Vinzenz Pallotti heute leben, was würde er uns in der Gegenwart mit auf den Weg geben?
Das ist die Frage nach der aktuellen Bedeutung seines Charismas und dieses liegt in der Teilhabe an der Sendung Jesu durch den Vater in die Welt. Es ist also sehr weit gefasst. Pallotti reagierte auf alle Anfragen mit großem Einsatz und grenzenlosen Engagement, oft jenseits seiner physischen Kräfte. Er nahm Aufgaben wahr, die auf ihn zukamen. Wenn wir heute die Zeichen der Zeit immer wieder neu zu erkennen und zu deuten suchen, dann geben diese uns die Richtung für unseren Einsatz an. In diesem Sinn kommt die Sendung „von unten“, aus den Nöten der Zeit.
Was hat Pallotti besonders ausgezeichnet?
Kennzeichen der Haltung Pallottis war, wie schon erwähnt, die Universalität und Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Er nennt sie „die göttlichste aller Gaben“. Auch der große Respekt vor anderen und ihrer Meinung charakterisierten Pallotti. Er wollte allen zuhören, um von allen zu lernen. Diese Fähigkeit zur Kommunikation müssen Menschen immer neu üben und lernen. Austausch und Zusammenarbeit, wie sie auf der Synode weltweit oder in Deutschland holprig versucht werden, zeigen die Dringlichkeit solcher Fähigkeiten. Pallotti hatte jedenfalls keine Berührungsängste, sprach und arbeitete mit jedem und jeder, mit Menschen ganz unterschiedlichen Milieus. Ihm ging es um die Vertiefung der Gottesbeziehung, der Spiritualität, aber auch um eine „weltweite Caritas“ wie er es ausdrückte. Heute würde man das globale Gerechtigkeit nennen und um das Glaubenszeugnis, die Verkündigung, die jedenfalls auch den Dialog mit verschiedenen Kulturen und Religionen einschließt.
Zum Schluss noch kurz gefragt: Gibt es einen besonderen Impuls für unsere Spiritualität in der Krise der Gegenwart?
Aus mehreren würde ich den folgenden hervorheben: Ein wichtiger Punkt ist Pallottis Überzeugung von der Gegenwart Gottes in jedem Menschen – nichts Neues, könnte man sagen, alte biblische Theologie. Und doch hat es heute große Bedeutung, dies neu zu entdecken und den Wert der persönlichen Gotteserfahrung ernst zu nehmen. Die Dimension der Erfahrung wurde zu lange, nicht zuletzt durch den Antimodernismus, gänzlich zurückgedrängt, weil sie sich der Struktur und Verwaltbarkeit durch Institution entzieht. Pallotti mahnt dazu, die Gegenwart Gottes „in der eigenen Seele“, wie er es ausdrückt, immer wieder und ständig zu betrachten.
Die Herz-Jesu-Provinz der Pallottiner lädt ganz herzlich zur Jubiläumsakademie „Phänomen Heiligkeit“ – anlässlich des 60. Jubiläums der Heiligsprechung Vinzenz Pallottis – ein. Alle Informationen zum Programm und zur Anmeldung (bis 27. 11. per E-Mail) gibt es in diesem Flyer:
Zur Person
Dr. Brigitte M. A. Proksch ist promovierte Theologin (Patrologie und alte Kirchengeschichte) und lebt in Wien. Ihre Schwerpunkte sind der interreligiöse und interkulturelle Dialog, sie ist im Forum für Weltreligionen tätig und leitet seit 2022 das „Zentrum für Spiritualität – Pallotti Institut“ in Vallendar. Brigitte Proksch ist seit 2019 die Vorsitzende des Nationalen Koordinationsrats der Unio (UAC) in Österreich.
Interview: Andreas Schmidt
Beiträge aus der pallottinischen Unio (UAC)
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