Jünger in der Schule des Meisters
Reflexion für die Mitglieder der pallottinischen Unio von Erzbischof Julio Endi Akamine SAC aus Brasilien
Normalerweise sind unsere Reisen fröhlich und hoffnungsvoll: Sightseeing, Entspannung, Familienbesuch, Flitterwochen, Lernen, Kurse, kultureller Austausch usw. Doch dies war eine traurige Reise, von der Lukas berichtet (Lk 24,13-35); es war eher eine Flucht.
Die beiden Jünger sprachen über das, was in Jerusalem geschehen war: „Jesus aus Nazareth war ein Prophet, mächtig in Tat und Wort, vor Gott und dem ganzen Volk“. Er hatte so viel Hoffnung geweckt! Alles, was er tat und sagte, versprach eine neue Welt! Aber was keiner von uns je erwartet hätte, geschah: „Unsere Hohenpriester und unsere Führer haben ihn zum Tode verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen.“ Und „wir hatten gehofft, dass er es sei, der Israel erlösen werde. Und heute ist schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist“.
Auf dieser traurigen Reise gab es jedoch eine Überraschung: „Jesus selbst kam auf sie zu und ging mit ihnen“. Er ist anwesend, präsenter und aktiver als je zuvor; näher als je zuvor, aber sie erkennen ihn nicht. Sie halten ihn für einen Pilger: „Seid ihr der einzige Pilger in Jerusalem, der nicht weiß, was in den letzten Tagen dort geschehen ist?“ Dieser Eindruck wird durch die Frage dieses etwas seltsamen Pilgers bestätigt: „Was ist denn in Jerusalem passiert“?
Jesus ist in seiner vollen menschlichen Realität auferstanden. Er ist kein körperloser Geist, kein Gespenst oder eine nostalgische Halluzination. Sein Leib ist jetzt verherrlicht: Er ist „mit Gottheit und Menschheit“ zugegen. Es ist die Blindheit der Jünger, die sie dran hindert, die Gegenwart des auferstandenen Herrn zu erkennen. Sie betrachteten den Tod als das letzte und endgültige Ereignis. Sie erwarteten nichts mehr, und deshalb konnten sie Jesus nicht sehen. Jesus muss die Blindheit der Emmaus-Jünger durchbrechen, um sich all ihren Sinnen zu offenbaren.
Trotz ihrer Blindheit akzeptierten diese Jünger auf dem Weg nach Emmaus diesen seltsamen Pilger als ihren Reisebegleiter. Jesus fragt die Jünger: „Was ist denn geschehen“? Es liegt eine Ironie darin. Der Pilger scheint nicht zu wissen, was geschehen ist, aber in Wirklichkeit sind es die Jünger, die nicht wissen, was wirklich geschehen ist. Jesus lebt und spricht zu ihnen, und sie wissen nicht, was vor sich geht.
Jesus stellt uns dieselbe Frage: Was ist denn los?
Die Frage Jesu bringt alles, was sie bedrückt, aus ihrem Herzen heraus. Jesus stellt uns dieselbe Frage: Was ist denn los? Er erwartet von uns, dass wir ihm sagen, was uns innerlich nicht zu Ruhe kommen lässt.
Die Jünger offenbaren die ganze Enttäuschung, die an ihnen nagt: Jesus war eine große Enttäuschung für sie! Er hat ihre Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht. Sie erwarteten, dass Jesus ein siegreicher Führer sein würde, der die nationale Unabhängigkeit politisch durchsetzen würde. Sie erwarteten von ihm, dass er seine göttliche Macht durch Wunder kundtut. Sie erwarteten von ihm eine sichere Zukunft, wirtschaftlichen Wohlstand und Reichtum. Jesus hat all diese Erwartungen enttäuscht.
Denken Sie über die Situation der Enttäuschung und Entmutigung der „Apostel von heute“ nach! Denken Sie über die Erfahrungen von Jüngern nach, die nun müde und entmutigt sind.
Die Wellen der Müdigkeit scheinen auch uns zu erreichen, die wir uns berufen fühlten, an der Befreiung mitzuarbeiten. Wir haben mit Begeisterung die Veränderungen in der Kirche wahrgenommen; wir dachten, dass die Kirche nun endlich das Licht des Evangeliums widerspiegelt. Als Studenten im Seminar fühlten wir uns berufen, eine neue Generation von Propheten zu sein, die die Welt und die Kirche durch die Gnade Jesu Christi verändern würden.
Wir waren voller Emotionen und hochherzig in allem, was wir taten. Die Kirche veränderte sich innerlich durch die konziliare Erneuerung. Durch ihr neues Engagement für eine soziale und befreiende Präsenz stellten sich christliche Laien an die erste Stelle. Doch dann kam der Moment der Müdigkeit und der Entmutigung.
Dann kam der Moment der Müdigkeit und der Entmutigung
Zuerst kam die Entmutigung. Die Dinge haben sich nicht so verändert, wie wir gedacht hatten. Jetzt scheint nicht nur die Hierarchie einen Rückschritt zu machen, sondern die jüngeren Generationen beginnen, Verhaltensweisen und Ziele wieder aufleben zu lassen, die überholt schienen: Sie holen alte Gewänder aus ihren Schränken, sie beanspruchen das Recht, die tridentinische Messe zu feiern.
Auf die Flut der Entmutigung folgt die Müdigkeit. „Warum sich weiter abmühen und arbeiten? Wäre es nicht besser, die Netze, die schon so lange leer sind, aufzugeben? Sogar noch mehr. Es scheint, dass die Netze durchlöchert sind und die wenigen Fische, die einmal gefangen wurden, durch die Löcher entkommen. Warum sollen wir weiterarbeiten, wenn wir sehen, dass immer weniger Gläubige immer älter werden?“
Entmutigung und Müdigkeit haben einige dazu gebracht, ihre Arbeit aufzugeben. In der Tat haben viele die Kirche verlassen, frustriert, verbittert und skeptisch. Wenn sie nicht aus lauter Frust aufgeben, dann aus Überdruss: „Das überlassen wir lieber anderen“, „wir haben ja doch schon verloren“, „es ist alles umsonst“.
„Wenn wir unser Leben im Licht des Emmaus-Evangeliums lesen, können wir den Sinn unseres Lebens neu entdecken und die Texte werden transparent und sehr aktuell.“
Denken wir uns in dieser verzweifelten Situation an die Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Denken wir über ihre Berufungskrise und ihre Traurigkeit angesichts ihres Lebens und ihrer Berufung nach. Wenn wir unser Leben im Licht des Emmaus-Evangeliums lesen, können wir den Sinn unseres Lebens neu entdecken und die Texte werden transparent und sehr aktuell. Die Texte hören auf, bloße Theorie zu sein, sie sprechen zu unserem Herzen, denn sie sind für uns geschrieben.
Auch die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus träumten einst von einer herrlichen Zukunft. In den Dienst Jesu gestellt, setzten sie sich tapfer für die radikale Bekehrung des Volkes ein. Sie kämpften gegen Krankheiten und den Satan. Sie gingen hinaus und verkündeten das Reich Gottes in der Kraft und Stärke Jesu. Sie erkannten, dass sogar die bösen Geister sich der Macht unterwarfen, die Jesus ihnen übertrug.
Nun ist der Tag gekommen, an dem sie sich verwundet, atemlos und ohne Kraft wiederfinden, wie so viele von uns. Versuchen wir, uns in die Krise, die Müdigkeit und die Entmutigung der Jünger auf dem Weg nach Emmaus hineinzuversetzen. Von der Tiefe unserer Kontemplation kann die Echtheit unserer persönlichen Begegnung mit Jesus abhängen. So schien das Leben als Jünger Jesu für diese beiden zu enden: auf der Flucht nach Emmaus, müde, enttäuscht, besiegt, auf dem Weg ins Nichts.
„Es entwickelt sich eine Psychologie des Grabes, die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt.“ (Papst Franziskus)
Die Emmaus-Jünger leiden unter dem schrecklichen Leiden der Akedia (pastorale und spirituelle Lustlosigkeit, Überforderung, Mutlosigkeit). Es ist überraschend, dass das, was Papst Franziskus als pastorale Akedia bezeichnet, auf die Emmaus-Jünger zutrifft und auf uns. Schauen wir es uns gemeinsam an: „Die größte Bedrohung ist der graue Pragmatismus des kirchlichen Alltags, bei dem scheinbar alles mit rechten Dingen zugeht, in Wirklichkeit aber der Glaube verbraucht wird und ins Schäbige absinkt. Es entwickelt sich eine Psychologie des Grabes, die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt. Enttäuscht von der Wirklichkeit, von der Kirche oder von sich selbst, leben sie in der ständigen Versuchung, sich an eine hoffnungslose, süßliche, Traurigkeit zu klammern, die sich des Herzens bemächtigt wie das kostbarste der Elixiere des Teufels. Sie sind gewiss glühende Seelen in ihrem Eifer, aber sie sind nicht mit einem großen Sinn für Besonnenheit und Mäßigung ausgestattet. In der gegenwärtigen Zeit sehen sie nichts als Ausflüchte und Verderben. Wir müssen diesen Untergangspropheten widersprechen, die immer unheilvolle Ereignisse ankündigen, als ob das Ende der Welt unmittelbar bevorstünde“ (vgl. Päpstliches Schreiben Evangelii Gaudium, 83,84).
Was sind die Folgen der pastoralen Akedia? Diejenigen, die darunter leiden, versinken in eine tiefe und dauerhafte Unzufriedenheit, wo immer sie auch leben, fühlen sie sich auf dem verkehrten Platz, sie mögen alles nicht, sie verachten die Brüder und Schwestern, die mit ihnen leben und sehen nur ihre Fehler, sie ignorieren die, die weit weg sind, sie verlieren ihren Sinn für Humor, sie reagieren ungeduldig, sie scheuen den Umgang mit Gleichaltrigen, alles langweilt sie, es fehlt ihnen der Mut für die Arbeit, die sie tun müssen, sie können sich nicht aufraffen, Zeit der Handarbeit, dem Lesen oder dem Gebet zu widmen. Mehr noch, sie schämen sich dafür, sie fühlen sich nutzlos und unfähig, sie erdrücken das Umfeld, in dem sie leben, anstatt einen positiven Beitrag zum Leben der Gemeinschaft zu leisten. Wenn man einen fragt, was mit ihm los ist, antwortet er: „Nichts“. Wenn man ihn fragt, was er braucht, sagt er ebenfalls „nichts“, aber selbst er weiß es nicht. In der Akedia hat die Person das Objekt ihres Glaubens nicht wirklich verloren. Sie hat nicht den Glauben an Gott verloren, aber sie hat die Vitalität, die Begeisterung und die Freude am Engagement verloren. Damit einher geht unweigerlich das Gefühl der Verlassenheit und Einsamkeit. Diese Beschreibung stammt vom heiligen Johannes Cassian in seinem Werk „Über die Grundsätze der Zönobiten und Heilmittel gegen die acht Hauptlaster“ (X,430-33).
Ich fühle mich unzufrieden, unglücklich und unmotiviert durch das, was ich lebe und tue
Ich muss gestehen: Ich identifiziere mich mit diesen beiden Jüngern! Ich erkenne mich in diesen Beschreibungen wieder: Es gibt Zeiten, in denen die Sehnsucht zu erlöschen scheint und die Vitalität nachlässt. Ich habe Momente mehr oder weniger intensiver Niedergeschlagenheit erlebt, einen Mangel an Interesse und Geist, einen Verlust an Lebensfreude, den Wunsch, morgens nicht aus dem Bett zu kommen. Aus diesen Erfahrungen habe ich gelernt, dass die pastorale Akedia nicht sofort lähmend wirkt: Sie kann sich still und leise in mein Leben einnisten: Das Leben fließt, Aufgaben werden erfüllt, aber im Innersten fühle ich mich abgekoppelt, schleppe mich in der Erfüllung meiner Verpflichtungen und meines Terminkalenders dahin, ohne Zweck, ohne Ziel, mit einem leeren Herzen. Ich erkenne, dass Akedia ein gefährlicher Dämon ist, der mich immer umgibt. Ich sehe die Ohnmacht und Unwirksamkeit persönlicher Bemühungen. Ich spüre, dass ich enttäuscht bin von einem Leben, das sinnlos erscheint. Ich fühle mich unzufrieden, unglücklich und unmotiviert durch das, was ich lebe und tue. Ich bin es leid, mich einem Druck auszusetzen, der meine Kräfte übersteigt. Ich merke, dass ich mich oft hinter der Erfüllung meines Jobs verstecke und mich verteidige. Es macht mich traurig, wenn ich das Priestertum nur mechanisch und ohne persönliches Engagement ausübe. Ich spüre, dass die erste Liebe erlöscht. Der Gemütszustand der Jünger auf dem Weg nach Emmaus beschreibt in der Tat, was ich erlebe.
In der Welt von heute sind die Anzeichen von Akedia sehr wohl bekannt und wurden auf ein Krankheitsbild reduziert: Sie wurde in „Burnout“ umbenannt; doch auch wenn man die Medizin zu Hilfe ruft, mit Pillen allein kann man nicht geheilt werden. Ich halte es für aussichtslos, Burnout nur unter psychologischen oder psychiatrischen Gesichtspunkten zu behandeln und zu untersuchen. Sowohl Burnout als auch Akedia betreffen die Seele und erfordern eine Behandlung des ganzen Menschen, weshalb mit Gottes Hilfe ein geistlicher Weg der Heilung notwendig ist.
Der biblische Text ist voll von köstlichem, heilendem Humor. Er zeigt mit Finesse, dass wir blind sind, wie die beiden Jünger, die nicht erkannten, dass Jesus zu ihnen sprach. Wir sehen ihn nicht, nicht weil Jesus nicht da ist; wir sehen ihn vielmehr nicht, weil wir nicht bereit sind, seinen Willen zu tun.
Jesus hat nie das versprochen, was die Jünger erwartet haben
Gott sei Dank! Die tiefe Enttäuschung der Jünger wurde nicht durch falsche Versprechungen von Jesus verursacht. Jesus hat nie das versprochen, was die Jünger erwartet haben.
Es war gut für die Jünger, die Enttäuschung, die an ihnen nagte, zum Ausdruck zu bringen. Jetzt konnten sie erkennen, dass das Problem nicht darin lag, was Jesus ihnen versprochen hatte, sondern was die Jünger erwartet hatten. Es waren ihre Hoffnungen, die falsch waren, nicht die Versprechen Jesu.
Jesus warnt die Jünger zu Recht: „Wie dumm seid ihr und glaubt einfach nicht, was schon die Propheten gesagt haben“. Sie hatten nichts von den Propheten verstanden, und so beginnt eine Osterlektion, in der Jesus ihnen die Heilige Schrift erklärt. Die Jünger kannten die Heilige Schrift, aber sie hatten sie falsch interpretiert: Sie hatten nur die triumphierenden Teile aus der Heiligen Schrift ausgewählt und sich einen Messias nach dieser Auswahl vorgestellt. Jesus zeigt, dass die Jünger auch die Abschnitte über den leidenden Gottesknecht, die Klagelieder des Jeremias und auch viele Psalmen, in denen Leid und Elend beklagt wird, lesen müssen. Noch wichtiger ist es, die ganze Heilige Schrift zu lesen, ausgehend vom Leben und Wirken Jesu. Nur so erhalten sie Zugang zum authentischen Sinn der Heiligen Schrift.
Die Erklärung wärmt die Herzen der Jünger, weshalb sie eindringlich bitten: „Bleib bei uns, denn es ist spät und die Nacht bricht herein“. Lasst uns auch den lebendigen Herrn einladen: Herr, bleibe bei uns!
Jesus isst mit seinen Jüngern und wiederholt, was er beim letzten Abendmahl getan hat: „Er nahm das Brot, segnete es, brach es und gab es ihnen“. Das öffnet die Augen der Jünger und offenbart ihnen die Identität des geheimnisvollen Pilgers: Er ist es, Jesus lebt, die Heilige Schrift hat tatsächlich von all dem gesprochen, was geschehen sollte! Und dann ist Jesus aus ihrem Blickfeld verschwunden, denn nun ist seine physische Anwesenheit nicht mehr notwendig. Jesus bleibt gegenwärtig, und das erleben sie.
Die Erfahrung, dass der Herr auferstanden ist, ist zu groß, als dass man sie für sich allein behalten könne. Trotz aller Müdigkeit und der Entfernung kehren sie sofort nach Jerusalem zurück, um die frohe Botschaft von der Auferstehung zu verkünden: Jesus lebt!
Erzbischof Julio Endi Akamine SAC
Município de Sorocaba, Bundesstaat São Paulo, Brasilien
Quelle: Apostel heute, Monatliche Reflexion für die Mitglieder der UNIO im September 2024, Hrsg.: Union des Katholischen Apostolats (Pallottinische Unio), Rom. Übersetzung: Pater Wolfgang Weiss.
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