Warum Kirche sich einmischen muss
Der Entwurf des Seearbeitsgesetzes passierte die Personalabteilung im Blitztempo. „Matrosen und Kapitäne beschäftigen wir im Erzbistum Hamburg nicht“, war die Begründung. Das stimmt. Glücklicherweise kam der Gesetzentwurf aber über Umwege dann doch noch in die Seemannsmission und in das Katholische Büro. Dies ist die Verbindungstelle zwischen Kirche und Politik. Dort gehört es zum Alltag, Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen zu schreiben und bei Ministerien oder in Parlamentsausschüssen die entsprechenden Positionen zu vertreten. Wie zum Beispiel in Schleswig-Holstein und Hamburg.
Die Themen im Katholischen Büro reichen vom Seearbeitsgesetz über das Bestattungs- oder Stiftungsrecht bis hin zu der Frage, ob vollautomatisierte Kleinstverkaufsstellen, also Minisupermärkte ohne Personal, am Sonntag geöffnet sein dürfen. Zu den Arbeitsbedingungen auf See, die in dem oben erwähnten Seearbeitsgesetz geregelt werden, gibt es kirchlicherseits durchaus etwas zu sagen, denn in der katholischen Seemannsmission im Hamburger Hafen bekommen die Mitarbeitenden Tag für Tag mit, mit welchen Schwierigkeiten die Seeleute zu kämpfen haben. Und weil der einfache Matrose von den Philippinen nicht gewerkschaftlich organisiert ist, ist die Kirche, die Seemannsmission, seine Stimme hinein in die Politik und die Gesellschaft.
In diesen sozialen Bereichen ist das kirchliche Engagement gesellschaftlich breit akzeptiert. Die staatliche Seite will von den Erfahrungen der Seemannsmission profitieren – genau wie auch in anderen, primär sozialen, Bereichen. Bei so manch anderen Fragen soll sich die Kirche dann aber bitte nicht einmischen. Christen dürfen beten, dem Obdachlosen an der Ecke helfen und dem Geflüchteten Kleidung spenden. Es soll aber bitte keine Einmischung geben bei der Frage, ob der Geflüchtete bleiben darf.
Den Gefallen sollten und dürfen die Christen der Politik und der Gesellschaft aber nicht tun. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Bereits in „Gaudium et Spes“, einem der wirkmächtigsten Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils, wird zu einem Zusammenwirken von Staat und Kirche aufgerufen: „Beide (Staat und Kirche) aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen.“
Die offiziellen Scharniere
Die katholische Kirche hat dieses Zusammenwirken institutionalisiert und strukturiert. Die meisten Bundesländer haben mit dem Heiligen Stuhl einen Vertrag geschlossen, in dem nicht nur Bekenntnisfreiheit garantiert wird, sondern beispielsweise das Recht auf Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen geregelt ist, das Recht eigene Stiftungen zu gründen oder das Recht, eigene Schulen zu betreiben. Katholische Büros, also die ständigen Vertretungen des jeweiligen Ortsbischofs bei den Landesregierungen, sind dabei die offiziellen Scharniere zwischen Staat und Kirche.
Sie sind gleichzeitig auch Lobbyisten einer der mitgliederstärksten Organisationen in Deutschland. Nur der ADAC kann da mithalten und hat in 2023 mit deutlich mehr als 21 Millionen Mitgliedern die katholische Kirche mit 20,9 Millionen Mitgliedern überholt. Wichtigster Unterschied zu anderen Lobby-Verbänden ist, dass die Kirche nicht aus einem kommerziellen oder territorialen Interesse heraus handeln, sondern aus und mit der Kraft des Evangeliums. Das führt zu politischen Diskussionen, die manch einem nicht schmecken.
Dass zum Beispiel die Ladenöffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen nicht immer weiter ausgedehnt und der besondere Schutz dieser Tage immer weiter ausgehöhlt wird, ist ein großes kirchliches Anliegen. Der Grund ist nicht – wie häufig unterstellt -, dass so mehr Menschen in den Gottesdienst kommen sollen, sondern weil es dieser Gesellschaft guttut, wenn an einem Tag möglichst viele Menschen gleichzeitig frei haben, weil der Tag gut für Familien und ehrenamtliches Engagement – auch in der Kirche – ist, und es dem Leben eine besondere Struktur gibt, wenn ein Tag anders ist als andere.
Auf Unverständnis stößt in der Gesellschaft häufig auch das kirchliche Engagement für die Menschen, die in der Strafhaft oder Abschiebehaft sitzen. Dabei ist dieses Engagement jedem Christen ins Stammbuch geschrieben. „Ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht“, heißt es im Matthäus Evangelium. Die Seelsorgenden in den Einrichtungen sind gefragt, denn auch der Staat respektiert das Beichtgeheimnis. Nichts von dem, was der Gefangene dem Seelsorger erzählt, landet in irgendeiner Akte oder wird weitergegeben. In der Abschiebehaft ist es mehr die Begleitung bis zum Schluss, denn auch wenn die katholische Kirche akzeptiert, dass es Rückführungen geben muss, so plädiert sie zum Beispiel mit der Seelsorge für eine würdige Behandlung bis zum Schluss – also bis zum Abflug.
Aber egal, ob auf Landesebene oder im Dorf oder der Kleinstadt: Christen sind immer dazu aufgerufen, zum Gemeinwohl beizutragen. Papst Franziskus macht es konkret, indem er sagt, Politik sei nur gut in dem Maß, in dem jeder seinen Teil zum Dienst am Frieden beiträgt. Und es ist die Politik von der kommunalen Ebene bis zum Bund und nach Europa, wo Entscheidungen getroffen werden, die das Leben vieler Menschen beeinflussen. Wenn sich Christen hier aktiv einbringen, können sie die Welt verändern und sie besser machen.
Beate Bäumer
Zur Person:
Beate Bäumer ist die Leiterin der Katholische Büros in Schleswig-Holstein und Hamburg und somit die Ständige Vertretung des Erzbischofs am Sitz der Landesregierung und die Ständige Beauftragte des Erzbischofs bei Senat und Bürgerschaft.
Bild: foto-select/AdobeStock
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