Ich denke an dich
„Welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen, und wer begreift, was der Herr will?“ In diesem Satz des alttestamentlichen Weisheitslehrers steckt sehr viel an Erfahrung, Demut und auch Trost (Weish 9, 13). Aber ihn voll bejahen, wer kann das schon?
Über ein Jahr hatten wir nichts mehr voneinander gehört, und nun war ihre Stimme wieder am Telefon, munter und fast noch eine Spur selbstbewusster und energischer als ich es schon gewohnt war. Beim letzten Gespräch hatte mir die Frau offenbart, dass sie schon seit zwei Jahren an einer Krebserkrankung leidet. Schien das nun alles sich zu einem Besseren gewendet zu haben?
Ich wage nicht, danach zu fragen, doch dann spricht sie es selber an: „Ich erzählte Ihnen doch von meiner Krebserkrankung. Inzwischen habe ich drei weitere Operationen hinter mir. Nach der letzten wurde mir gesagt, dass der Tumor inoperabel sei. Nun bleibt nur noch übrig, durch die Chemotherapie das Ende so weit wie möglich hinauszuzögern. Das ist mir vor allem wegen meinen beiden Söhnen wichtig.“
Ich bin sehr betroffen, zumal diese Frau besser weiß als ich, was das bedeutet. Sie ist Ärztin. Wir sprechen auch darüber, welch schwierige und schmerzhafte, aber auch welch wertvolle Zeit wohl vor ihr liegt. Und am Ende des Gesprächs versichere ich ihr: „Ich werde an Sie denken.“ Da wird sie plötzlich unwirsch: „Wenn Sie damit meinen, dass Sie für mich beten wollen, dann lassen Sie diesen Unsinn. Verwenden Sie Ihre Kraft und Zeit besser für etwas anderes. Gott braucht Ihre guten Ratschläge nicht. Er weiß selber, was für mich richtig ist, und das wird er auch tun. Ich werde Gott auch nicht bitten, dass er mir die Schmerzen nimmt. Dafür müssen die Mediziner sorgen. Mir ist nur wichtig, dass ich die restliche Zeit meines Lebens gut nütze, und dann werde ich sehen, was Gott daraus macht.“
Dürfen wir nicht beten?
Ja, sie hatte mich recht verstanden. Ich wollte für sie beten, und fühlte mich jetzt geradezu zurückgestoßen. Gleichzeitig bewunderte ich aber ihren Glauben. Dennoch sagte ich ihr: „Mir ist es aber wichtig, an Sie zu denken und auch meine Wünsche zum Himmel zu schicken. Tut es Ihnen nicht gut zu wissen, dass jemand an Sie denkt, wenigstens in einem gewissen Maße Anteil nimmt an dem, was Sie bewegt?“
Das Gespräch endete in gemeinsamer Nachdenklichkeit. Ja, sie hatte recht: Gott weiß selbst, was gut für uns ist. Da musste ich dieser Frau recht geben. Aber Jesus hat uns doch gesagt, dass Gott unser guter Vater ist. Darf ich ihm denn nicht sagen, was für Gedanken und Gefühle mich umtreiben, welche Ängste und welche Wünsche ich in mir trage? Muss ich das alles unterdrücken? Das wäre doch grausam.
Natürlich ist mir bewusst, dass Gott viel besser weiß, was für mich gut ist, und dass ich vieles nicht verstehe. Aber tut es nicht gut, ihm das auch zu sagen? Das allein ist doch schon ein Stück Trost. Und warum soll ich ihm nicht auch sagen, was ich – mit meinem begrenzten Verstehenshorizont – mir für andere wünsche? Das geschieht doch aus Liebe, nicht aus Besserwisserei und Anmaßung heraus.
Auf dem Hintergrund dieser Gedanken schrieb ich einige Tage später dieser Frau eine Karte: „Ich habe Ihr Verbot nicht befolgt, sondern immer wieder im Gebet an Sie gedacht.“ Fast postwendend kam die Antwort: „Es tut gut, zu wissen, dass Sie an mich denken. Ich danke Ihnen dafür.“ Und beigelegt ist eine CD mit der Bach-Kantate: „Wer nur den lieben Gott lässt walten …“ Diese Liedmeditation sollte ihrem Wunsch gemäß auch bei ihrem Begräbnis erklingen.
Schicksal oder Güte?
Welche Gedanken den alttestamentlichen Weisen zu seiner Aussage bewogen haben, weiß ich nicht. Ich vermute, dass fast so etwas wie Resignation dahinter steckte nach dem Motto: So wie es kommt, so kommt es. Ich kann doch nichts daran ändern. – Bachs Kantate ist von einer anderen Tonart bestimmt: Gott will mich reicher segnen als meine Bitten ermessen können. Es heißt dort:
Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach?
Wir machen uns Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.
Trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.
P. Peter Hinsen
Bild: AdobeStock
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