Auch aus diesem Heft:

Die Kühle des Raums mitten im Sommer, seine Stille... - der Dom ist ein Rückzugsort mitten im Trubel der Stadt

Ins Leben eintauchen – Rückzugsort Garten

Im Sommer, an sonnig warmen Tagen ohne Wolken am Himmel, wenn das Thermometer die angenehmen 22 Grad Celsius bei weitem übersteigen, da ist der Sprung ins kühle Nass eine willkommene Erfrischung. Doch nicht für alle ist bei heißen Temperaturen das Schwimmbad oder das Ufer eines Sees oder der Strand am Meer ein Wohlfühlort. Manche suchen lieber einen Garten als Rückzugsort auf und ziehen den Schatten unter einem Baum zur Erfrischung vor.

Nicht nur, dass die belaubten Äste vor den kräftigen Strahlen der Sonne schützen. Unter dem Laubdach herrscht auch eine angenehme Kühle. Denn auf der Oberfläche eines Blattes geschieht bei heißen Temperaturen nichts anderes als auf unserer Haut, wenn wir schwitzen: Um sich vor Überhitzung zu schützen gibt eine Pflanze über ihre Blätter Wasser an die Umgebung ab. Dabei entsteht die sogenannte „Verdunstungskälte“. Sie tut dem Blatt und somit dem ganzen Baum gut und wird von uns als angenehme Abkühlung empfunden, in der wir uns im Sommer gerne aufhalten.

Garten mitten in der Stadt

Der Trend hin zum Garten ist groß. Nicht nur im Sommer. Wer keinen eigenen Garten hinter dem Haus hat, der bemüht sich um einen Schrebergarten. Doch die Wartelisten sind lang. Vielleicht auch deshalb bedingt entwickelt sich immer mehr das „Urban Gardening“, der Gartenbau mitten in der Stadt: Balkone und Dachterrassen werden begrünt, mit Hochbeeten bestückt und mit eigenem Gemüse bepflanzt.

Wenngleich hier auch ökologische Aspekte eine große Rolle spielen, so ist doch in allen Beispielen auch ein Zurück zur Natur zu beobachten: Das Werkeln im Boden, selbst aussäen und pflanzen, die Blumen wachsen sehen und die eigenen Erdbeeren ernten können – das hat was. Das tut gut. Denn im Grünen sein, im Garten arbeiten lässt mich das Leben intensiv spüren und mich selbst als lebendig erfahren.

Beide biblischen Schöpfungserzählungen sehen den Menschen als Teil der Natur und in den Prozess des Werdens allen Lebens einbezogen. In Genesis 1 ist der Mensch die Krone der Schöpfung. Ihm ist alles Leben auf der Erde anvertraut und er darf es in Verantwortung nutzen. Genesis 2 beschreibt die Erschaffung des Menschen als ein Genommensein von der Erde. Sein Lebensraum ist der Garten Eden, den er bearbeiten und hüten soll und der ihm als Nahrung dienen darf.

Mit beiden Beinen auf der Erde

Wir Menschen stehen nicht über der Erde, sondern mit beiden Beinen auf ihr. Die Hände im Boden und barfuß im Gras lassen uns diese Erdverbundenheit spüren: Von der Erde sind wir genommen und zur Erde kehren wir zurück. In den Prozess von Werden und Vergehen, von Pflanzen und Wachsen, Reifen und Ernten sind wir einbezogen und können uns ihm nicht entziehen.

Viel eher bringt mich der Garten mit dem Geheimnis des Lebens, ja mit dem Geheimnis meines Lebens in Berührung. Im Garten kann ich erkennen und verstehen, was Leben heißt, wie Leben geht. Von der Natur kann ich lernen zu leben: Leben gibt es nur im Licht. Dahlien in den Schatten gepflanzt werden dort nicht gedeihen. Sie lieben es, in der Sonne zu stehen.

Leben braucht Pflege und Aufmerksamkeit, Schutz und Geborgenheit. Samen in die Erde gelegt und Jungpflanzen frisch ins Beet gepflanzt müssen feucht gehalten werden, damit sie keimen und einwurzeln können. Dafür brauchen sie ihre Zeit und wir Geduld. Vor möglichen Gefahren müssen wir sie schützen, zum Beispiel vor Schneckenfraß und vor zu viel Licht.

Leben wird beschnitten, damit es zur Fülle kommt. Werden Apfelbäume und Johannesbeersträucher im Frühjahr nicht zurückgeschnitten, dann geht die begrenzte Kraft in zu viele Triebe und die einzelnen Früchte bleiben klein und kümmerig. Auch Rosen danken uns einen kräftigen Rückschnitt mit kraftvollen Blüten.

Leben bedeutet fruchtbar sein. Eine Blüte hat keinen Selbstzweck. Ihre Schönheit, ihr Duft und ihre Farben sollen Insekten zur Bestäubung anlocken. Denn nur so kann die Pflanze Samen bilden, die das Überleben ihrer Art sichert.

Was Leben braucht

Leben braucht Standfestigkeit. Das lehrt uns ein Baum in seinem Stamm und seinen Wurzeln.

Leben braucht Zeiten der Ruhe. Blumenzwiebeln in die Erde gelegt warten dort auf die Wärme im Frühjahr, um sich aus dem Dunkel ins Licht zu schieben. Bis es so weit ist, sparen sie sich ihre gesammelten Kräfte in der Zwiebel auf. Bäume unserer gemäßigten Klimazone werfen im Herbst ihr Laub ab und stellen ihre Stoffwechselvorgänge bis auf ein Minimum ein. Auch sie warten so darauf, dass das Licht wieder mehr wird und die Temperaturen steigen und sie von neuem durchstarten und austreiben können.

Leben bedeutet Sterben und Auferstehen. Während Bäume eine jahrzehntelange Lebensdauer haben können, ist die von Sträuchern, von mehrjährigen Stauden und von zwei- oder einjährigen Pflanzen deutlich begrenzter. Doch wenn auch das Leben zu Ende geht, im kostbaren Humus bleibt es erhalten und dient dem Leben in ausgesäten Samen und frisch getopften Jungpflanzen.

Ich darf Fehler machen

Und auch das ist ein Geheimnis des Lebens: Ich darf Fehler machen. Der berühmte grüne Daumen ist keine Voraussetzung, um im Garten zu sein und in ihm dem Leben zu begegnen. „Erfahrung ist des Lebens Meisterin“, wusste schon Goethe. Leben wächst mir zu, wenn ich es riskiere und in die Hand nehme. Nur Mut.

P. Reinhold Maise

Bild: Wilfried Bahnmüller

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