Auch aus diesem Heft:

Bischof Ulrich gilt als Retter des christlichen Abendlandes – aber was ist das christliche Abendland eigentlich?

Wo ist der katholische Lebensstil?

Heiligenfiguren erkennt man nicht auf Anhieb. Durch Stab und Mitra etwa wird klar, hier ist ein Bischof dargestellt. Aber welcher? Heilige erkennt man an ihren Attributen. Den Heiligen Ulrich an einem Fisch. Warum? Da gehen die Meinungen auseinander.

Die einen sagen, das habe etwas mit dem Wasser zu tun. Denn es gibt viele Ulrichs-Brunnen und -Quellen im Gebiet seiner Diözese Augsburg. Vielleicht hat es auch mit der Wasserversorgung Augsburgs selbst zu tun. Die Stadt ist zurecht stolz auf ihr ausgeklügeltes System, das heute zum UNESCO-Kulturerbe gehört. Bischof Ulrich (890 -973) hat zwar viel für seine Stadt getan, aber versorgte schon zu seiner Zeit ein hoch ausgefeiltes System Bewohner und Betriebe mit Wasser?

Vielleicht trifft doch eher die zweite Meinung zu, dass Ulrich mit einem Fisch dargestellt wird wegen des so genannten Fischwunders: Der Bischof gab ein Abendessen. Das war an einem Donnerstag. Die Gespräche nach dem Mahl gingen bis weit nach Mitternacht. Ein Bote war von einem Herzog gekommen, mit dem Ulrich im Clinch lag. Der Bischof wickelte ihm ein Stück Braten ein und gab es ihm mit für den Heimweg. Der Bote freute sich schon, seinem Herrn zeigen zu können, dass Bischof Ulrich kein guter Katholik war. Als er das Packpapier aufwickelte, lag darin kein Fleisch, sondern ein Fisch. Will heißen: Ulrich hielt das Freitagsgebot.

Das Freitagsgebot prägte das katholische Milieu

Heute wäre solch ein Vorfall kein Grund, jemanden als lauen Katholiken hinzustellen. Wird das Freitagsgebot überhaupt noch ernst genommen? Kennt man es? Es gibt es, wie man im ,Gotteslob‘ unter Nummer 29,7 nachlesen kann: „Die Gebote der Kirche“.

Seit Mitte des 2. Jahrhunderts ist es schriftlich verbürgt, dass man schon früh in der Christenheit am Freitag auf Fleischspeisen verzichtete. Fleisch aßen die Menschen früher sowieso nicht sehr häufig. Es gehörte zu den gehobenen Speisen, etwa im Unterschied zu Fisch. Und darum waren Fleischgerichte oft auch mit Fest und Feier verbunden. Das passte nicht zum Todestag Jesu.

So wurde im Laufe der Zeit der Freitag ein besonderer Fast-Tag, eben auch dadurch, dass er fleischlos war. Dieser Brauch wurde zum Gebot und war den Katholiken lange Zeit wichtig. Der Brauch war stilprägend. Er gehörte zum katholischen Lebensgefühl, zum katholischen Milieu.

Das gibt es heute so nicht mehr, wie es etwa auch kein Arbeitermilieu mehr gibt. Darum haben die Bischöfe das Freitagsgebot in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts insofern neu ausformuliert, als dass Gläubige den Freitag zwar als Fasttag beachten sollen, Fasten aber nicht nur Essen und Trinken meint, sondern vor allem gelebte Nächstenliebe.

Diese Neuformulierungen waren gut und richtig; sie beschrieben oder beschleunigten den Trend zur Aushöhlung des Freitagsgebotes als Ausdruck eines Lebensstils und Lebensgefühls, das durchaus verbindende Kraft hatte. Die Verantwortlichen haben das wohl gespürt, rufen sie doch dazu auf, dass Ordensgemeinschaften und kirchliche Häuser bei ihrem Speiseplan das Freitagsgebot beachten sollen.

Glaube zeigt sich in Formen

Letztlich ist aber der Trend nicht aufzuhalten, dass es kaum noch etwas gibt, das Katholikinnen und Katholiken in ihrem Lebensstil verbindet und sie auch erkenntlich macht. Früher gehörten der Gräbergang an Allerheiligen oder die Wallfahrten in Mai und Juni dazu. Natürlich der Sonntagsgottesdienst. Seit die Vorabendmesse eingeführt wurde, haben es Verantwortliche etwa in Sport, Verbänden und Feuerwehr schwer, den Sonntagmorgen von Veranstaltungen freizuhalten. Und wer lässt sich noch von „geschlossenen Zeiten“ wie die 40 Tage vor Ostern oder dem Advent beeindrucken? Die Alten wissen es: da gab es früher keinen Tanz, keine Feste und Feiern. Heute müssen Pfarrbüros kämpfen, um zu erklären, dass etwa an Karfreitag oder Karsamstag (jetzt oft Ostersamstag genannt) keine Hochzeiten möglich sind.

Was haben Katholiken erkennbar gemeinsam? Bei Gottesdiensten und ökumenischen Begegnungen erkennt man sie am Kreuzzeichen. Das gehört zur katholischen Identität. Noch, muss man sagen, denn auch das nimmt ab. Schade. Denn christlicher Glaube, wie Religion überhaupt, ist nicht allein eine Sache des Herzens und des Verstandes, also des Fühlens und des Wissens. Glaube will Leben prägen und hat darum auch Ausdruck im Lebensstil.

Georges Bernanos (1888 – 1948) schreibt in seinem Roman „Tagebuch eines Landpfarrers“ das schöne Wort: „Man verliert den Glauben nicht, aber er hört auf, dem Leben Form zu geben.“

Es braucht Gefährtinnen und Gefährten

Unsere Zeit ist unter anderem gekennzeichnet durch den Individualismus. Gut, dass es den gibt. Der hat aber seine Herausforderungen, auch im Bereich des Christlichen. Was verbindet da, was macht das Gemeinsame aus? Das Kreuz, die Madonna in der Wohnung, Christophorus im Auto? Das Tischgebet? Der Sonntagsgottesdienst? Der Lebensstil, zu dem es gehört, am Freitag keine Fleischspeisen zu essen? In der Fastenzeit keinen Alkohol zu trinken? Und sich zu freuen, wenn man Gleichgesinnte trifft, Gefährtinnen und Gefährten auf dem Weg.

Der Fisch des Heiligen Ulrich, das „Fischwunder“ – oft in der Kunst dargestellt, nicht zuletzt in der großartigen Basilika St. Ulrich und Afra in Augsburg – sollte die Getauften daran erinnern, dass Glaube Leben prägen will, dass Glaube sich in Formen äußert, dass es Gewohnheiten gibt und Traditionen, die verbinden und Identität stiften.

P. Alexander Holzbach

Bild: Lisa Bahnmüller

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