Lebendige Beziehung
Wann der französische Film im Fernseher lief, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall wollte ein reiches, kinderloses Ehepaar sein beträchtliches Vermögen an das glücklichste Paar in seiner Verwandtschaft vererben. Doch wie stellt man dieses Glück fest? Sie luden alle in ein schickes Restaurant ein und setzten sie an Zweiertische, um beobachten zu können, wie gut sich die Paare beim Essen unterhielten.
Französische Abendessen dauern lang. Das kann angenehm sein, oder anstrengend, wie in diesem Fall für die meisten der Paare. Sie aßen sich, irgendwie gespannt, warum es diesen Abend gab, mit der Zeit eher gelangweilt durch die vielen Gänge des Menüs. Auffallend: Ein Paar war dauernd im Gespräch; die beiden lachten zwischendurch sogar miteinander oder tuschelten. Das musste also das glücklichste Paar sein. Darum gewann es den Preis, die große Erbschaft.
Als das Erblasser-Paar dies verkündete, fiel den beiden die Kinnlade runter. Denn in der nächsten Woche stand der Scheidungstermin an. Sie hatten sich schon längere Zeit nur noch über ihre Anwälte unterhalten. Jetzt, bei diesem „erzwungenen“ Zusammentreffen, gab es natürlich noch viel Gesprächsstoff, gab es viel abzuklären, wurden auch noch mal Erinnerungen ausgetauscht. Kein Wunder, dass die beiden beim Essen viel zu reden hatten.
Die Pointe, den Ausgang des Films weiß ich nicht mehr. Blieben sie zusammen? Nahmen sie die Erbschaft an? Auf jeden Fall war mir klar, solch ein Film kann nur in Frankreich gedreht werden. Denn – wie sagt man – die Franzosen, auch die Italiener oder Spanier arbeiten, um zu essen. Uns Deutschen sagt man nach: wir essen, um zu arbeiten.
Wer isst schon gern allein?
Essen ist ja nicht allein Nahrungsaufnahme, die für den Menschen unerlässlich ist, damit er nicht verhungert. Essen ist immer auch ein soziales Geschehen und hat, seit es Menschen gibt, etwas mit Beziehung und Miteinander zu tun. Wer isst schon gerne allein? Manche müssen das. Etwa im Alter, wenn die Familie nicht mehr im Haus ist, wenn die Partnerin, der Partner verstorben ist. Da darf man sich nicht vernachlässigen, sonst geht viel Lebensqualität kaputt. Es braucht feste Zeiten und Riten wie früher, etwa der schön gedeckte Tisch, damit die Mahlzeit ihren Rundum-Effekt hat: nicht allein Zufuhr von „Lebensmitteln“, damit man am Leben bleibt, sondern auch Nahrung für das Mensch-sein, für die Seele. Ein gutes Essen hält eben Leib und Seele zusammen.
Leib, Seele, Herz sind eins. Gäbe es sonst das geflügelte Wort, dass Liebe durch den Magen geht? Womit wir wieder beim Miteinander sind, bei einem ganz exklusiven. Denn hier geht es, wie oben im Film, um Zweierbeziehung. Ob verliebt, verlobt, verheiratet, befreundet, wie schön ist es, zusammen essen zu gehen, oder daheim zu kochen und gemeinsam zu essen: das ist Ausdruck von Beziehung und stärkt die Beziehung. Man setzt sich nicht gerne mit jedem x-beliebigen Menschen zu Tisch.
Tischgemeinschaft ist immer etwas Besonderes und Persönliches. In einem Heim, einer Reha, während einer Gruppenreise oder bei einer Feier einen Platz und eine Tischgemeinschaft zugewiesen zu bekommen, ist daher immer eine Herausforderung, ein Wagnis. Es kann zum überraschenden Wohlfühl-Moment werden; kann daneben gehen.
„…, dass sie die Menschen fröhlicher machen.“
Stichwort Tischgemeinschaft. Das Wort und das Erlebnis sagen: Wir gehören zusammen! Da ist eine innere Verbindung in der Gemeinschaft bei Speis und Trank.
Das wussten schon die Alten. Wir kennen wunderbare Berichte über die Tischgemeinschaften im antiken Griechenland oder die Tafelrunden des Mittelalters in unseren Breiten. Berühmt und gut dokumentiert sind die Gastessen im Hause Martin Luthers (1483 – 1546). Es war eine große Ehre, dazu eingeladen zu sein. Für den Reformator galt: „Gastmähler sollen dazu dienen, dass sie die Menschen fröhlicher machen und nach Traurigkeit das Gemüt wieder erquicken“.
Das gilt bis heute. Da kommt es eben nicht allein darauf an, was in Schüsseln und Kannen, auf Platten und Schalen gereicht wird, es kommt viel darauf an, wer mit am Tisch sitzt. Und wenn es eine geladene Runde ist, wie schnell entsteht die Frage: Warum ist die oder der nicht dabei? Wie oft hat es da schon Enttäuschung und Verletzung gegeben? Oder den Schmerz, nicht gefragt zu sein: denn eigentlich möchte ich auch gerne zu der Gruppe gehören, die sich am Dienstag immer zum Frühstück trifft, oder zu jener, die donnerstags immer zum Italiener geht. Wieder die Erfahrung: Essen hat etwas mit Lebensqualität und Herzensfrieden zu tun, Gesundheit für Leib und Seele.
Ohne Stoffserviette und Untertasse
Hier ist nicht der Ort, auch über Tischmanieren nachzudenken oder über die Art und Weise, wie Familien gemeinsam essen (sollten). Es macht sicher einen Unterschied, ob Kinder mit Cola und Chips allein vor dem Fernseher oder der Spielkonsole sitzen oder ob sie gemeinsam mit Eltern und Geschwistern, vielleicht noch der Oma und dem Opa am Familientisch sitzen – dem schön gedeckten im Esszimmer oder dem schlicht hergerichteten Küchentisch.
Eine als wohltuend erfahrene Tischgemeinschaft braucht nicht unbedingt die Stoffserviette oder die Untertasse, es braucht das Gespräch, das tiefe Gefühl, zueinander zu gehören. Dann ist es kein zu großes Unglück, wenn heute mal die Nüsse für das Müsli fehlen. Und ob die Lieblingsspeise schmeckt, hängt auch von der Laune des Tischnachbarn ab.
Vom Arbeitsessen und Herrenmahl
Zurück zu den Gastmählern der Antike. Bei manchen dieser Mähler ging es nicht allein um gutes Essen, um gepflegte Freundschaft, sondern auch um Wissensvermittlung, Belehrung der Generationen, auch um das Schmieden von Plänen. In diesem Zusammenhang muss schnell noch das Stichwort „Arbeitsessen“ auftauchen. Diese Art des gemeinsamen Speisens wurde vermutlich nicht im Mittelmeerraum erfunden, sondern eher nördlich der Alpen. Ältere werden sich in diesem Zusammenhang an das berühmte Frühstück in Wolfratshausen 2002 von Angela Merkel und Edmund Stoiber erinnern.
Die „Bildungs-Mähler“ Griechenlands spiegeln sich übrigens stark wieder in den Erzählungen der Bibel, besonders im Neuen Testament. Jesus kommt in seinen Gleichnissen oft auf Gastmähler zu sprechen, blickt auf das himmlische Hochzeitsmahl, und nimmt selbst die eine oder andere Begebenheit bei einem Mahl zum Anlass, eine „Lehre“ daraus zu ziehen und sie an seine Jüngerinnen und Jünger weiterzugeben.
Das berühmteste Mahl der Bibel, das bis heute weiterlebt, ist das Letzte Abendmahl, das Herrenmahl, die Eucharistie, die Jesus den Seinen als Vermächtnis mit durch die Geschichte gegeben hat. Gerade hier wird klar, was immer vom gemeinsamen Mahl gilt: dass es letztlich nicht um Brot und Wein geht, sondern um lebendige Beziehung, um erlebte Freundschaft, um tief gespürtes Leben!
Selig, wer solches am Küchentisch, im Restaurant oder am Altar erleben darf!
Alexander Holzbach
Bild: Wilfried Bahnmüller
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