„Kunst ist ein Schöpfungsakt“
Die Kunst liegt dem Augsburger Florian Lettl quasi im Blut. Sein Vater Wolfgang war ein surrealistischer Maler. Der Sohn, Religions- und Sportlehrer, hat mit ihm bis zu dessen Tod eng zusammengearbeitet. Sein Thema sind Skulpturen, die oft in Italien entstehen. Was bewegt ihn in der Kunst?
Wenn Sie am Strand spazieren gehen, stoßen sie oft auf Müll, Abfallstoffe und Gegenstände, die vom Meer abgelagert wurden. Aus Fischernetzen, verschiedenen Schwimmern und Bojen, Überresten und Gasflaschen erschufen sie jüngst eine Installation mit dem Titel „Madonna mit Kind“. Der Körper des Kindes ist eine Gasflasche, der Mantel der Madonna ist ein Fischernetz. Das Werk löst eine innere Regung im Betrachter aus. Welche Seelenregungen spüren Sie selbst, wenn Sie so ein Kunstwerk schaffen?
Florian Lettl: Natürlich ist da die Wut über die Ignoranz derer, die diese ganze Umweltverschmutzung verursachen. Aber religiöse Wallungen entstehen da nicht, es geht um Formen und Materialien und wie man diese zusammenbringt. Andererseits freut es ich mich, wenn ich wieder bei ausgedehnten Strandspaziergängen ein passendes Teil gefunden habe. Beim Körper des Jesuskindes hatte ich zunächst vor, ihn mittels eines „gewickelten“ Fischernetzes zu erschaffen. Aber dann fand ich diese verrostete Gasflasche.
Die Schwierigkeit bei der „Madonna dei Pescatori“ war, ob es mir gelingt, aus dem die Umwelt verschandeltem Müll etwas ästhetisch Schönes zu kreieren. Wobei Schönheit ja ein extrem schwieriger Begriff ist. Wer setzt die Maßstäbe? Hat Gott sie nicht schon mit seiner Schöpfung gesetzt?
Mein Vater meinte dazu: „Die Rose ist schön, aber warum sie schön ist, worin ihre Schönheit besteht, wissen wir nicht. Ich bemühe mich, Bilder zu malen, die nicht dumm sind. Vielleicht werden sie dann schön.“
Ist Kunst ein Schöpfungsakt?
Florian Lettl: Im älteren Schöpfungsbericht wird vom Verfasser ein Gott beobachtet, der ein Künstler ist. Er spricht mächtige Worte, ist Bildhauer, und bringt Farben in unsere Welt. Am Ende des Tages betrachtet er sein Werk und ist damit zufrieden. Er wird von Tag zu Tag geschickter. Und weil er den Menschen nach seinem Ebenbild schuf, steckt wahrscheinlich in uns die Sehnsucht nach Kreativität und Schönheit. In der Bibel heißt es am Ende jeden Tages „Und Gott sah, dass es schön war (καὶ εἶδεν ὁ θεὸς ὅτι καλόν).“ Und das bestärkte ihn wahrscheinlich weiterzumachen. Aber er geht mit dem Menschen, indem er ihm das Wertvollste, die Freiheit, mitgibt, ein großes Risiko ein. Denn ob einem ein Werk wirklich gelungen ist, stellt sich oft erst nach Jahren heraus, wenn es dann immer noch „schön“ ist und Gültigkeit hat.
Ist es das, was surreale Kunst und Religion verbindet?
Florian Lettl: Kunst ist ein Schöpfungsakt und da geht es mir wahrscheinlich genauso wie dem „Schöpfer“: Die Freude darüber, wenn es mir gelungen ist, was Neues zu schaffen, von dem man vorher nicht wusste, ob es einem gelingt, und das es aber nicht gäbe, wenn man es nicht gemacht hätte.
Bei Wahrig (Wörterbuch) habe ich folgende beiden Definitionen gefunden:
„Religion ist der Glaube an und die Auseinandersetzung mit einer überirdischen Macht sowie deren Verehrung.“ Und: „Surrealismus ist der Versuch das Überwirkliche und seine Verschmelzung mit der Wirklichkeit darzustellen.“
Daraus erkennt man schnell, dass surreale Kunst und Religion etwas miteinander zu tun haben, nämlich die Beschäftigung mit dem, was gewöhnlich unseren menschlichen Horizont übersteigt.
Um diesen Horizont zu spüren, haben Sie in Italien einen Rückzugsort gefunden, in dem sie fast zeitlos kreativ und schöpferisch sein können. Kann so Kunst überhaupt erst entstehen – im geschützten Raum?
Florian Lettl: Alle Kunst hat ihren Ursprung in der Einsamkeit des Schöpfers. Wobei diese Einsamkeit nicht unbedingt örtlich verstanden werden muss. Italien ist einfach praktisch, denn die meisten meiner Kunstwerke entstehen aus Platzgründen – ich habe kein Atelier – im Freien, zunächst aus Pappmaché und Gips, und da sollte es möglichst warm sein und nicht regnen, dass alles schnell trocknet. Erst in einen späteren Schritt werden sie wetterfest mit Epoxidharz überzogen und sogar manchmal auch in Bronze gegossen.
Kann Kunst heilsam sein? Und wenn ja, was genau kann sie heilen?
Florian Lettl: Da ist zunächst denke ich eine tiefe Berührung da, die den Betrachter unruhig im positiven Sinne werden lässt. Oft komme ich mit den Besuchern des Museums in tiefe Gespräche über einzelne Bilder. Neulich mit einer 3. Klasse Grundschule haben wir über das Bild „Parabel“ nachgedacht, das in der momentanen Sonderausstellung zu sehen ist. Ich denke, es ist immer „heilsam“, wenn man über die Bildbetrachtung mehr über sich selber in Erfahrung bringt. Es kommt vor, dass ein Besucher von einem ganz bestimmten Bild gefesselt ist und von mir dazu dann etwas wissen will. Da ich aber ein anderes Innenleben habe als dieser Besucher, gebe ich meistens den Ball zurück und stelle die Gegenfrage: „Warum interessiert Sie gerade dieses Bild?“ Und dann fängt diese Person meistens von sich aus zu reden an. Und das ist für viele dann heilsam.
Eine Frage zum Schluss: Wie soll ihr Grabstein aussehen?
Florian Lettl: Als mein Vater starb, haben wir auf dem Hermanfriedhof in Augsburg ein Familiengrab erworben, für das ich eine Bronzeskulptur angefertigt habe. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde auch ich irgendwann einmal dort beerdigt sein. Andererseits könnte ich mir gut vorstellen, im Körper des Jesuskindes meiner Madonna als Asche zu enden.
Die Fragen stellte: Alexander Schweda
Bild: Florian Lettl
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