Auch aus diesem Heft:

Wer schon einmal aufgefordert worden ist, als Zeuge auszusagen, fragt sich: Ist meine Aussage so wichtig? Bin ich mir dessen, was ich bezeugen soll sicher?

Eine große Seele

Mahatma wird er genannt. Der Name ist altindisch, Sanskrit. Maha bedeutet groß, atma Seele, Mahatma also große Seele. Mahatma ist ein Ehrentitel für eine geistig hochstehende Persönlichkeit, einen Weisen oder Heiligen. All das ist er, dieser Mahatma Gandhi, eine Persönlichkeit, geistig hochstehend und gebildet.

Er ist ein weiser und ein geistlich-spiritueller Mensch: Er ist jemand, den man auch als Heiligen bezeichnen könnte. Eine runde Nickelbrille auf der Nase, den Kopf kahl geschoren und in traditionelle indische Kleidung gewandet, ist Mahatma Gandhi zum Symbol und Inbegriff gewaltfreien Widerstandes geworden.

Der selbstgesponnene Baumwoll-Khadi wird zur Einheitskleidung der von ihm angestoßenen Unabhängigkeitsbewegung Indiens von der britischen Kolonialmacht. Das Spinnrad wird zum Zeichen der Unabhängigkeit auf der indischen Flagge.

Der gläubige Hindu war von zierlicher Gestalt, nur 1,70 Meter groß. Sein eigentlicher Name ist Mohandas Karamchand Gandhi. Er wird am 2. Oktober 1869 geboren und entstammt einer reichen Kaufmannsfamilie. Seine Eltern sind Jai. Der Jainismus ist eine Glaubensrichtung im Hinduismus, die von drei ethischen Grundprinzipien geprägt ist: Ahimsa (Gewaltlosigkeit gegenüber allem beseelten Leben), Aparigraha (Unabhängigkeit von unnötigem Besitz) und Satya (Wahrhaftigkeit).

Hingabe an die Wahrheit

Als junger Rechtsanwalt geht er nach Südafrika, um indische Einwanderer zu vertreten. Er verfolgt eine Politik des gewaltlosen Kampfes für durch die Rassengesetze der Apartheit benachteiligten Menschen. Er ruft auf zum passiven Widerstand und zur Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Behörden. Satyagraha nennt er das, Hingabe an die Wahrheit, frei von unnötigem Besitz.

Zunehmend beschäftigt er sich tiefer mit Spiritualität, mit Yoga und Ahimsa. In seiner Zeit in Südafrika lernt er viel von seiner Ehefrau. Sie lässt sich nicht durch seine anfänglichen Allüren beirren. Ruhig und beharrlich vertritt sie ihre Meinung. Als Unterwerfungsbeweis ließ er sie täglich die Toilette schrubben. Mohandas Gandhi war also nicht immer Mahatma, eine große Seele und weiser Menschenführer.

Gewaltfreiheit

Als Gandhi im April 1914 nach Indien zurückkehrt, soll er gesagt haben: „Wer sich mir anschließt, muss bereit sein, auf der nackten Erde zu schlafen, grobe Kleider zu tragen, von anspruchsloser Nahrung zu leben und sein Klo selber zu säubern.“ In Indien erlebt er den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Satyagraha und Ahisma, passiver Widerstand und Gewaltlosigkeit werden zum Kennzeichen seines Kampfes für die Freiheit und die Rechte von Benachteiligten.

1930 startet er eine Kampagne des zivilen Ungehorsams und ruft zum Salzmarsch gegen das britische Salzmonopol auf. Als Gandhi schließlich eine Handvoll Salzkristalle vom Strand aufhebt, waten von da an Menschen mit Pfannen ins Meer und gewinnen Salz, obwohl das von der kolonialen Regierung strengstens untersagt war. Über 60.000 Menschen werden verhaftet.

Im Gefängnis agitiert Gandhi weiter. Mit einem Hungerstreik tritt er ein für die Rechte der „Parias“, der „Unberührbaren“. Das sind die Menschen der niedrigsten Kaste im Kastensystem des Hinduismus. Christlich gesprochen ist das praktizierte Nächstenliebe zu denen, die ganz unten stehen. In religiöser Hinsicht setzt sich Gandhi für ein friedliches Miteinander von Hinduismus und Islam, von Hindus und Muslimen ein.

Doch als die Briten den indischen Subkontinent nach dem Zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit entlassen, zerfällt dieser in zwei Staaten, in die hinduistisch geprägte Indische Union und die muslimische Republik Pakistan; im Nordwesten von Indien der größere Teil, das heutige Pakistan, und im Osten ein kleinerer Teil, Ostpakistan, das heutige Bangladesch. Mit seiner moralischen Autorität sucht Gandhi Ausschreitungen und Gewalt zwischen Hindus und Muslimen, zwischen Indien und Pakistan zu verhindern. Wieder tritt er in den Hungerstreik, doch die Lage bleibt angespannt und ist es bis heute. Auch in seiner eigenen Religion wird sein Weg des gewaltfreien Ausgleichs nicht von allen befürwortet. Ein fanatischer Hindu erschießt ihn am 30. Januar 1948. Seine Asche wird nach hinduistischer Tradition in den Fluten des Ganges bestattet.

Botschaft für heute

In Deutschland leben wir in einer offenen Gesellschaft. Meinungen, Kulturen, Weltanschauungen und Religionen treffen aufeinander. Es herrscht Meinungsfreiheit. Es gibt keine staatliche Zensur, es gibt keine Repressionen. Wer aber nicht im Mainstream liegt, muss unter Umständen mit einem Shitstorm rechnen. Das fängt schon mit den Markenklamotten in der Schule an. Wer da nicht mithalten kann, ist außen vor.

In einer liberalen Gesellschaft ist es schwer, eigene Überzeugungen zu haben und zu vertreten. Eine säkulare Gesellschaft neigt dazu, besonders religiöse Überzeugungen für veraltet und rückständig zu erklären. Natürlich kann Religion für alte feudalistisch geprägte Herrschaftsformen stehen. Geistliche Macht kann missbraucht werden, um Menschen unmündig und klein zu halten. Es ist Respekt voreinander für ein friedliches Zusammenleben unerlässlich und Dialog zwischen den Weltanschauungen, Kulturen und Religionen.

Mahatma Gandhi bricht als gläubiger Hindu die Grenzen von Religion und religiös begründeter, gesellschaftlicher Stellung auf. Gewaltfreiheit wird zum Kennzeichen seines Einsatzes für Benachteiligte und Unterdrückte jeglicher Couleur. Heute lässt Udo Lindenberg in einem Lied ein Kind danach fragen, wozu Kriege gut sein sollen. Sie bringen doch nur Grauen, Schrecken und Tod. Ein zehnjähriges Mädchen hat dieses Lied jüngst neu interpretiert, wo Krieg herrscht in der Ukraine, und sie hat die Herzen vieler Menschen angerührt. Mahatma Gandhi lehrt das Lied des Mutes der Gewaltfreiheit zu singen und dementsprechend zu leben und zu handeln.

Heinz-Willi Rivert

Bild: akg-images/picturealliance

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