Was ist böse?
Wer fragt, was das Böse ist, betritt ein dunkles Feld. Schnell melden sich viele weitere Fragen: Woher kommt das Böse, woher seine Anziehungs- und Zerstörungskraft? Wie lässt es sich bekämpfen? Wer ist dafür verantwortlich? Richtig schwindelig kann einem da werden. Daher hier nur wenige Punkte.
Es fehlt etwas!
Wir sagen, es sei böse, wenn jemand nicht die Wahrheit sagt, eine notwendige Hilfe verweigert oder die Luft zum Leben nimmt. Das „Böse“ wird erfahren, wenn „jemand“, eine Person, sich gegen das Gute entscheidet. Es gibt vieles, was unangenehm, schmerzhaft oder sogar lebenszerstörend ist. Wenn es aber nicht willentlich durch eine Person verursacht ist, lässt sich zutreffender von einem Missgeschick sprechen, einem Unfall, einer Katastrophe, einer Krankheit oder Laune der Natur. Das Böse im moralischen Sinne geht immer von einer Person aus und entwickelt so eine lebensfeindliche Wirkung.
Erschreckend naiv wirkt die Behauptung des Philosophen und Theologen Thomas von Aquin, dass es das Böse gar nicht gäbe. Was wir als böse erleben, worunter wir leiden, was unser Leben belastet und verletzt, sei „nur“ ein Mangel an Gutem, also letztlich ein Minusposten.
Tendiert nicht auch unsere Sprache zu diesem Verständnis, wenn sie die Verweigerung des gesollten Guten als „Untat“ bezeichnet, also letztlich nicht als Tat anerkennt? Thomas erlebte natürlich wie wir alle die Wirkung des Bösen, doch er wertete diese als Mangel an Heil, als „Un-Heil“ – allerdings mit der Anziehungskraft eines Vakuums. Konsequent sagt Thomas: Allein das Gute entspricht dem Ursprung allen Seins, dem Schöpfergott. Das Sein oder Gute ohne jeden Mangel, das ist Gott.
„Ich habe Gutes unterlassen!“
Trotz allem Beifall für den scharfsinnigen Thomas melden sich offene Fragen. Sie können auf Dauer langweilig und ermüdend wirken, denn wir wollen gerne zweifelsfrei Antworten haben. Deswegen sagen viele ohnmächtig und leidenschaftslos: das Böse ist ein „Geheimnis“. Lateinisch klingt es erhabener: ein „Mysterium“. Ist diese Bezeichnung gerechtfertigt für etwas, was höchstens ein Rätsel ist?
Die Liturgie der Kirche empfiehlt in ihrer Altersweisheit im „Confiteor“ die regelmäßige Überprüfung unseres Verhaltens. Da offenbart sich nämlich meist die Summe des Versäumten als entscheidender Posten unseres Schuldenkontos. Nur zu berechtigt ist das Bekenntnis, „dass ich Gutes unterlassen habe“. Umgekehrt bedeutet dies, „dass ich Böses getan habe“. Das bekräftigt auch der Jakobusbrief (4,17): „Wer das Gute tun kann und es nicht tut, der sündigt!“
Wohin schaue ich?
Wer das Böse in den Mittelpunkt allen Denkens und Kämpfens stellt, überlässt ihm vorschnell einen Platz auf dem Siegerpodest. Erfahrungen in Seelsorge oder Therapie lehren, dass dies für die Befreiung vom Bösen oder von der Sünde nicht förderlich ist. Zielführender ist der Blick auf das Gute, auf das Lebensdienliche. Daher fordert die Kirche im Taufversprechen dazu auf, sich für eine veränderte Blickrichtung zu entscheiden: „Widersagt ihr dem Bösen, um in der Freiheit der Kinder Gottes leben zu können? Widersagt ihr den Verlockungen des Bösen, damit es nicht Macht über euch gewinnt?“ Dann büßt das Vakuum gewaltig an Anziehungskraft ein.
Habe ich das Gesollte getan?
Jesus spricht über das Böse immer wieder sehr anschaulich. Besonders eindrucksvoll ist, was er laut dem Matthäusevangelium in seiner letzten öffentlichen Rede sagt. Es ist gewissermaßen sein Vermächtnis. Im Blick auf das Endgericht prophezeit er denen, die auf der linken, also auf der falschen Seite stehen, das Urteil:
„Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben;
ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben;
ich war fremd und ihr habt mich nicht aufgenommen;
ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben;
ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht.“
(Mt 45, 41-43)
Das ist eine eindeutige Beschreibung: Böse ist, dass ich etwas nicht getan habe, was ich aber unbedingt hätte tun sollen. „Daraus folgt der überaus wichtige Grundsatz, dass Sünde vor allem als Ungehorsam verstanden wird“ (Hannah Arendt).
Gut ist, was dem Leben dient!
Es genügt nicht, die Übel der Welt aufzulisten und zu verurteilen. Das ist das Geschäft der Moralisten. Dazu gehörte wohl auch Johannes der Täufer, als er noch am Jordan predigte. Doch später im Gefängnis, als er Zeit zum Nachdenken hatte, kamen ihm Zweifel. Verunsichert schickte er seine Jünger zu Jesus von Nazaret und ließ ihn fragen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Jesus greift in seiner Antwort auf einen Kriterienkatalog zurück, der schon beim Propheten Jesaja nachzulesen ist. Da heißt es, dass der von Gott Gesandte, der das Reich Gottes bezeugen soll, einer ist, der den Blinden das Augenlicht schenkt, der die Lahmen wieder gehen lässt und den Armen die Frohe Botschaft verkündet (vgl. Mt 11,5; Jes 29,18 u.a.). Im Sinne Jesu und der alten Propheten ist böse, wer die Menschen in Ängste und Zwänge führt, ihr Heil gefährdet oder gar raubt. Gut ist, wer das Defizit an Güte behebt, wer wirklich dem Leben dient. So wird erlebt, dass das Reich Gottes angebrochen ist.
Das ist doch eine frohe Botschaft. Manches Rätsel bleibt zwar immer noch ungelöst – aber nicht ohne Hoffnung. Damit lässt sich leben!
P. Peter Hinsen
Bild: Adobe Stock
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