Was die Erfahrung lehrt
Der Werbeflyer einer Firma verspricht: „Unserer Erfahrung können Sie vertrauen.“ Erfahrung ist in vielerlei Hinsicht Gold wert, besonders im Bereich der Erziehung, bei der Gestaltung des Lebens und bei der Weitergabe von Werten. Wie ist Jesus vorgegangen, als er für seine Lebensweise geworben hat?
Immer wieder gab Jesus jenen, die sich für seine Art zu leben interessierten, Hinweise. Das waren in der Regel sehr klare Worte, zuweilen sogar recht krasse. Gebündelt hören sie sich so an: „Wer Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. Wer sein Kreuz nicht annimmt und sein Leben nicht hingibt, taugt nicht für meine Lebensweise“ (vgl. Mt16,24f; Mk 8,34f; Lk 9,23f). Das sind harte Brocken. Eine verlockende Werbung klingt anders.
Hinter diesen Worten steht Jesu eigene Erfahrung. Dreißig Jahre hatte er im „Hotel Mama“ gelebt. Das war damals fast die Zeitspanne eines ganzen Lebens. Ein besonders luxuriöses Leben wurde ihm vermutlich dort nicht geboten, aber immerhin war alles Notwendige geregelt. Es gab jeden Tag etwas zu essen, die Wäsche wurde gewaschen, für alles war gesorgt. Aber das hatte auch seinen Preis. Spätestens nach seinem zwölften Lebensjahr schien klar zu sein: Er war seinen Eltern „gehorsam“ (Lk 2,51). Von Alleingängen wie damals in der beginnenden Pubertätszeit ist nichts mehr bekannt.
Freiheit gibt es außerhalb des Regiments der Familie
Doch eines Tages stieg Jesus aus dem „Hotel Mama“ aus, ging an den Jordan, ließ sich taufen und entdeckte: „Gott hat mir eine ganz persönliche Berufung gegeben.“ Das hat er nicht mehr vergessen. Der Wille des himmlischen Vaters war jetzt seine Speise (vgl. Joh 4,34), nicht der gedeckte Tisch von Nazaret. Er hatte gelernt: Den eigenen Weg kann man erst in wirklicher Freiheit gehen, wenn man nicht mehr unter dem Regiment seiner Familie steht. Diese Einsicht legt er bis heute allen ans Herz, die wie er durchs Leben gehen wollen.
Notwendige Klarheit
Einfach war dieser Weg bei aller Entschiedenheit selbst für Jesus nicht. Wir wissen: Seine Mama meinte ihm auch nach seinem Auszug aus dem Elternhaus immer noch sagen zu müssen, was er tun sollte. Die Szene von der Hochzeit zu Kana ist bekannt. Jesus verstand es, sich abzugrenzen. Schroff sagte er zu seiner Mutter: „Frau, was willst du von mir! Was habe ich mit dir zu schaffen?“ (vgl. Joh 2,4). Ein hartes, aber vermutlich notwendiges Wort.
Als Jesus schon öffentlich predigte, wollte ihn seine Familie sogar „mit Gewalt“ wieder heimholen, weil sie meinte, das sei besser für ihn. Sie hielten ihn für verrückt und daher sein Leben für gefährdet (Mk 3,21). Doch Jesus ließ sich auf keine Diskussion ein. Er blieb dabei: Ich geh jetzt meinen eigenen Weg (vgl. Mt 12,40f).
Spät, aber nicht zu spät zog Jesus aus seiner Erfahrung den Schluss: Ich muss auf die Stimme in meinem Innern hören, auf die „Stimme aus dem Himmel“ (Lk 3,22). Und der „Himmel“ hat ihn immer wieder daran erinnert. Das wird deutlich in der Erzählung von der verklärten Begegnung mit dem himmlischen Vater auf dem Berg (vgl. Lk 9,35).
Damit Leben wachsen kann.
Der Blick in die Vergangenheit vermag durchaus Einsichten von unumstößlicher Klarheit zu schenken. Sie bieten Orientierung und Kraft in schwierigen Situationen. Wer einmal erlebt hat, wie gewaltige Wassermassen Häuser zum Einsturz bringen können, der weiß, wie nötig es ist, ein „Haus auf Felsen“ zu bauen (Mt 7,24). Mündigkeit erweitert die Kreativität, aber auch die Verantwortung. Zudem werden andere provoziert, zu urteilen und auch zu verurteilen. Dann gilt es, selbst sein Kreuz auf sich zu nehmen. Auf Mama oder Papa lässt sich nichts mehr abschieben. Das kann sehr weh tun, aber so wächst Leben.
Die innere und äußere Freiheit, die Jesus beansprucht und gelebt hat, verleitete ihn jedoch nicht dazu, das Kreuz zu verherrlichen. Leider wurde in späteren Zeiten mit dem Rat Jesu, das Kreuz auf sich zu nehmen, oft Schindluder getrieben, um Menschen klein zu halten. Es geht Jesus nicht um Abtötung oder Opfer, sondern um Wachstum, um Leidenschaft für das Leben. Sein Fazit lautet: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren, wer es aber (wie er) einsetzt, der wird es gewinnen.“
Die Erfahrung Jesu bestätigt sich immer wieder. Wer etwas mit aller Gewalt festhalten will – und sei es das Wertvollste -, seien es Vater oder Mutter, Kinder oder Freunde, Haus oder Hof, wirtschaftliche Sicherheit oder eine fixe Idee, ein Amt oder ein Pöstchen im Verein, der richtet damit oft genau das zugrunde, was er retten will. Das trifft selbst für die krampfhafte Sorge um die Gesundheit zu. Ängstliches Festhalten kostet enorm viel Kraft und zerstört Lebensfreude.
Leben in Fülle!
Wenn Jesus aus seiner Erfahrung Ratschläge weitergibt, dann sieht er seinen Weg nicht als Kopiervorlage. Er hatte seinen eigenen Weg, seine eigene Schrittlänge und lebte in einer anderen Zeit. Aber er sicherte jenen, die wie er den Willen des himmlischen Vaters achten und mutig dem Leben trauen, die Fülle des Lebens zu (vgl. Joh 10,10).
P. Peter Hinsen
Bild: Adobe Stock
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