Auch aus diesem Heft:

An Weihnachten werden einige Rezepte für die Feiertage gebraucht. Es gibt jedoch ein Grundrezept, das sich jeder merken kann: Wir nehmen, was gegeben ist.

Ein einfaches Lied geht um die Welt

„Stille Nacht, heilige Nacht“ ist das bekannteste Weihnachtslied der Welt und das meist übersetzte obendrein. Entstanden ist es in einem kleinen Dorf im Salzburger Land, wo am Weihnachtsabend des Jahres 1818 seine erstaunliche Karriere begann.

Der katholische Hilfspriester Joseph Mohr war ein hoffnungsloser Fall. Statt sich um einen ordentlichen Lebenswandel zu kümmern, saß er bei den Leuten im Wirtshaus und schwatzte. Statt sich um die Pflege des lateinischen Kirchenliedguts zu bemühen, nahm er seine Gitarre und sang deutsche Volksweisen. Statt sich mit den Honoratioren im Dorf gut zu stellen, gab er sich mit dem Pöbel am Biertisch ab und scherzte mit Personen des anderen Geschlechts.

Es war abzusehen, dass der geistliche Herr Mohr keine Karriere machen würde. Immer wieder beschwerten sich seine Vorgesetzten über ihn, warfen ihm fehlenden „Subordinationsgeist“ vor sowie ein in hohem Maße unziemliches Betragen. Er ließ sich nicht beirren, sondern lieber neunmal versetzen. An seiner letzten Station in Wagrain im Salzburger Land gründete er eine Schule, reformierte die Armenpflege und ackerte wie ein Besessener für die Dorfbewohner, ehe er am 4. Dezember 1848 arm wie eine Kirchenmaus starb. Alles, was er hinterließ, waren ein Talar und seine Gitarre.

Verse, die Geschichte machten

Vermutlich wären das Musikinstrument und das Leben Joseph Mohrs gänzlich unbekannt geblieben, hätte der sangesfreudige und leutselige Pfarrer nicht Jahrzehnte zuvor ein paar Verse geschrieben, die Geschichte machen sollten. Es waren schlichte Verse, allgemein verständlich in deutscher Sprache abgefasst und getragen von der Friedenssehnsucht der Zeit nach dem Ende der Napoleonischen Kriege.

Er hatte sie 1816 an seiner ersten Stelle in Mariapfarr im Lungau zu Papier gebracht und mit zu seiner nächsten nach Oberndorf an der Salzach genommen, als am Weihnachtsabend des Jahres 1818 die Orgel ausfiel. Mohr fackelte nicht lange, ging um Organisten des Nachbarorts und bat ihn, sein Gedicht für zwei Männerstimmen und eine Gitarre zu vertonen. Noch in derselben Nacht sangen der 26-jährige Hilfspfarrer Joseph Mohr und der 31-jährige Kirchenmusiker Franz Xaver Gruber „Stille Nacht, heilige Nacht“ bei der Christmette in der St.-Nikolaus-Kirche Oberndorf. Es war die Welturaufführung eines Liedes, das heute rund um den Erdball von zwei Milliarden Menschen gesungen wird und in über 320 Sprachen und Dialekte übersetzt wurde.

Doch davon ahnten Mohr und Gruber nichts. Ihre Wege trennten sich bald wieder, und das Lied geriet am Ort seiner Entstehung in Vergessenheit. Erst ein Orgelbauer namens Carl Mauracher interessierte sich wieder für das Stück. Er nahm es mit ins Tiroler Zillertal, gab es ein paar dort ansässigen Sängergruppen und sah, wie es allmählich ein fester Bestandteil ihres Repertoires wurde.

Sie sangen es zu Hause, aber auch auf Reisen und Messen, und 1832 schrieb das „Leipziger Tagblatt“, dass die Geschwister Strasser bei ihrem Konzert der Bitte entsprochen hätten, „das schöne Weihnachtslied ,Stille Nacht‘ vorzutragen“. 1839 ist eine Darbietung auf dem Friedhof der New Yorker Trinity Church verbürgt, und bereits einige Jahre zuvor hatte man es Österreichs Kaiser Franz und Russlands Zar Alexander zu Gehör gebracht: Wer immer die „Stille Nacht“ auch vernahm, war entzückt von dem „ächten Tiroler (!) Volkslied“, dessen Verfasser als unbekannt galten.

Auf allen Kontinenten verbreitet

Erst die Königlich-Preußische Hofkapelle in Berlin ging 1854 der Sache auf den Grund. Sie landete nach zahlreichen Nachforschungen schließlich beim Chorregenten der Pfarrkirche in Hallein. Es war Franz Xaver Gruber, der Komponist des Liedes, der 36 Jahre nach der Uraufführung zu ahnen begann, dass er womöglich an der Entstehung von etwas ganz Großem beteiligt war. Am 30. Dezember desselben Jahres schrieb der inzwischen 67-Jährige die so genannte Authentische Veranlassung und gab damit endlich Aufschluss darüber, wie es wirklich zur Entstehung des weltweit bekanntesten Weihnachtsliedes gekommen war.

Joseph Mohr war zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Jahre tot. Als man ihm 1912 an seinem letzten Wirkungsort in Wagrain ein Denkmal setzen wollte, wusste man nicht einmal, wo seine Gebeine lagen. Das Lied war längst von katholischen und protestantischen Missionaren auf alle Kontinente getragen worden und fester Bestandteil der Kirchenliederbücher. Der Bildhauer nahm schließlich den nach langer Suche entdeckten Totenschädel zum Zwecke der Remodellierung mit, weil kein einziges Bildnis des Armenpfarrers überliefert war. Das Grab Joseph Mohrs ist heute ein viel besuchter Ort auf dem Friedhof in Wagrain.

Oberndorf ist inzwischen das Zentrum des Stille-Nacht-Tourismus. In der Vorweihnachtszeit kommen hier Busladungen von Touristen aus aller Welt an. Sie gehen in die Stille-Nacht-Kapelle, die 1937 anstelle der hochwassergeschädigten und abgerissenen Nikolaus-Kirche erbaut wurde, eilen durchs Heimatmuseum und verweilen schließlich im Souvenir-Shop, der Liedtexte, Notenblätter, Bierseidel und Schneekugeln mit Stille-Nacht-Motiven bereithält. Am Heiligabend werden dort wieder Tausende von Menschen zusammenkommen und gemeinsam das Lied aller Lieder singen.

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Informationen

Alles über das berühmte Lied, seine Entstehung und Verbreitung bei der Stille-Nacht-Gesellschaft: www.stillenacht.at

Andreas Steidel

Bild: AdobeStock

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