Trösten bedeutet, Hoffnung zu machen
Natürlich ist es schön, in krisengeschüttelten Zeiten menschliche Nähe zu spüren; sie ist sowieso das Wertvollste, worauf man bauen kann. Nicht umsonst heißt es bei Jesus Sirach: „Ein treuer Freund ist ein Trost im Leben“ (Sir 6,16). Aber es gibt noch andere Trostspender.
Manchmal könnte ich schon am Morgen beim Aufwachen einen tröstlichen Zuspruch gebrauchen. Wenn mich, kaum dass ich die Augen aufschlage, Gedanken an den bevorstehenden Tag wie ein lästiger Mückenschwarm überfallen, gegen den kein Abwehrspray hilft. Meist bleibe ich dann noch eine Weile liegen, bevor ich, auf der Bettkante sitzend, nach Brille und Armbanduhr greife und überlege, was heute dringlich ist und keinen weiteren Aufschub duldet. Besonders, wenn es um eine schwierige Verhandlung geht. Dann frühstücke ich erst einmal in Ruhe; sich mit leerem Magen der Wirklichkeit zu stellen, ist nicht ratsam.
In meiner Kindheit kamen oft zwei Bänkelsänger, ein älterer Mann und eine Frau in ärmlicher Kleidung, in unsere Straße und sangen vor unserem Mietshaus zu ihrer Drehorgel: „Sei zufrieden, sei zufrieden, jeder Mensch hat seine Not. Jeder Mensch hat seine Sorgen, wer nicht Sorgen hat, ist tot.“ Der Trost gebende Sinn dieser Worte erschloss sich mir erst mit der Zeit.
Auf mich gestellt, habe ich nach und nach meine eigene Methode entwickelt, um mich selbst so gut es geht über Verluste und Enttäuschungen hinweg zu trösten. Heute, alt und grau geworden, gehe ich meine Bücherregale ab und finde dabei garantiert ein Buch, das zu meiner augenblicklichen Situation passt. Lesen hilft, weil man sich in der Literatur selbst wiederfindet.
Gern nehme ich auch mal einen Kunstband in die Hand und genieße die wunderbaren Gemälde von Künstlern aus Vergangenheit oder Gegenwart. Bilder anzuschauen, lenkt ab und „setzt mich auf eine neue Schiene“.
In einem Lyrikband von R. M. Rilke finde ich jedes Mal genau den Gedanken, der mir im Moment Kraft gibt. Ebenso in Versen von Hilde Domin und Mascha Kaléko. Selbst ein umfangreiches Lehrbuch über Rosenkultur ist manchmal genau das, was mir gerade guttut.
Literatur, Musik, Garten
Neben der Literatur ist Musik eine meiner ergiebigsten Kraftquellen. Ohne die einzigartigen Sinfonien und Klavierkonzerte wäre mein Leben gar nicht denkbar. Dass auch meine Kinder Zugang zu dieser Kraftquelle fanden, darauf habe ich schon frühzeitig Wert gelegt.
Nicht zu vergessen, mein Garten; er ist für mich der ideale Trostspender. Sich mit der Natur zu verbinden, tut immer gut, weil einem aus ihr Kraft zuströmt. Sich an ihr abarbeiten kostet zwar Kraft, aber sie gibt sie auch vielfach zurück.
Gern vertiefe ich mich in die Bibel des Alten wie des Neuen Testamentes. Die Menschen aus dem alten Israel ähneln mit ihrem Verhalten doch erstaunlich unseren Erfahrungen mit heutigen Menschen.
Immer finde ich auch Trost im Gebet; es trägt mich, damit ich nicht der Hoffnungslosigkeit verfalle. „Deine Gnade ist mein Trost“, betet der Psalmist (Ps 109,21) und „Dein Stecken und Stab trösten mich“ (Ps 23,4). Gebete, verstanden als Stecken und Stab, die mir wie zwei Walkingstöcke meine Balance sichern und mich vor dem (Ab)stürzen bewahren.
Berührung ist Balsam für die Seele
Derart gestärkt und gerüstet, kann ich dort helfen, wo jemand eine schwere Last zu tragen hat. Ohne selbst gerüstet zu sein, und sich selbst trösten zu können, könnte man niemandem Trost spenden. Trösten bedeutet, Hoffnung zu machen. Dazu ist Nähe notwendig, eine stumme Umarmung; Berührung ist Balsam für die Seele. Manchmal wusste ich mir nicht anders zu helfen, dann habe ich einfach einen Kuchen gebacken und vorbeigebracht; der war wohl immer willkommen, denn niemals hat mich jemand gefragt, ob ich noch recht bei Trost sei.
Warum können kleine Kinder so rührend trösten? Wenn ihre Mama weinte, holte klein Yara, die noch nicht sprechen konnte, eine Packung Papiertaschentücher, reichte sie ihr und rutschte ganz nah an Mama heran. Kleine Kinder sind noch so unverbildet, fühlen unmittelbar mit und zeigen das auch. Ähnliches weiß man selbst von Tieren zu berichten.
Von einem übel heimgesuchten Mann namens Hiob aus dem Alten Testament heißt es, drei Freunde hörten von Hiobs Elend, machten sich von weit her auf und setzten sich zu ihm auf die Erde, sieben Tage und Nächte lang. Keiner sprach ein Wort, denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war (Hiob 2,13).
Wer kann schon von sich sagen, drei solche Freunde zu haben? Die alles stehen und liegen lassen und bei einem ausharren; die spüren, wo Worte unpassend wären und einfach nur ihre Nähe schenken? Ratschläge entpuppen sich dagegen oft als Schläge, mit denen man noch zusätzlich verletzt. Wer wirklich trösten will, sollte sich auch nicht scheuen, mit Weinenden zu weinen.
Für Christen ist das Abschiedswort Jesu gültiges Vermächtnis und Versprechen: „Seid gewiss, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20). Gewissheiten sind Sicherheiten, die beruhigen und trösten. So muss auch Dietrich Bonhoeffer empfunden haben, als er kurz vor seiner Hinrichtung durch den Nazi-Terror schrieb: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Herma Brandenburger
Bild: mnimage/AdobeStock
Hier finden Sie weitere Artikel aus "das zeichen"
Das könnte Sie auch interessieren
Mitreden, Mitmachen, Mithelfen!
In Kontakt bleiben. Kostenlos 12 x pro Jahr!
Pallotti per Post: 4 x im Jahr kostenlos!
Impulse in Büchern, CDs, Whitepapers u.v.m
Öffnen Sie sich Räume
Gemeinsam die Welt verändern!