Der Zweifler Thomas fragt zurecht
Der tschechische Religionsphilosoph Tomás Halik hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Glaube und sein Bruder Zweifel“. Wie Zwillinge gehören sie zusammen. Der Glaube, die Überzeugung, und der Zweifel, das Fragen und Suchen nach Antworten.
Lange Zeit war der Zweifel in der Kirche nicht genug gewürdigt worden. Thomas der Apostel, der zweifelt, wurde lange als nicht standfest im Glauben und als nicht überzeugt von der Sache Jesu dargestellt, zu Unrecht. Denn, und das kennen wir, wenn wir ehrlich zu uns selber sind, fast alle. Zweifel an dem, was ich von Glaubenden gelernt und übernommen habe. Zweifel an Gott, wenn er nicht eingreift in ein vermeintliches sich im Chaos befindendes Weltgeschehen. Zweifel, wenn mich oder liebe Menschen eine schwere Krankheit oder der Tod heimsucht.
Und ja, „der Zweifler Thomas fragt zurecht“. Er drückt aus, was ihn bewegt, er zwingt sich nicht in eine für ihn nicht stimmige Antwort hinein. Er fragt, auf die Gefahr hin, nicht verstanden und als ungläubig oder als „Zweifler“ gesehen zu werden. Thomas ist ein Beispiel für einen Menschen, der etwas lebt, was uns oft versagt wurde. Zu zweifeln, zu fragen, anderer Meinung zu sein. Zweifeln ist positiv gewendet ein Prozess der Meinungsbildung.
Unsere Zeit verlangt diese Eigenschaft, diese Gabe, diesen Mut von uns ab. Vieles erscheint nicht mehr sicher und klar. Gesellschaften, Politik, Kirche und Glaube sind mit vielen Fragen, Unsicherheiten, und für uns oft mit Antwortlosigkeit behaftet. Gerade dann und gerade jetzt ist es wichtig, dass wir Zweifeln lernen. Dass wir wahrnehmen lernen, was uns bewegt. Dass wir vorgegebene Antworten hinterfragen. Dass wir unsere Gefühle ernst nehmen, dass wir sie in unsere Gedanken lassen und dass wir sie ins Wort überführen lernen.
Es ist wichtig, dass wir das, was in uns an Zweifeln und Fragen auftaucht, ins Wort zu bringen lernen, und dass wir Menschen haben, die uns zuhören. Hier können wir vom synodalen Prozess, den unsere Kirche gerade durchschreitet, auch für uns und unsere Gesellschaft einiges lernen.
Zusammen gehen in Verschiedenheit. Zusammen fragen in Gemeinschaft. Zusammen nach Antworten suchen in Verbundenheit. Wir können so Unterschiede aushalten und zuhören lernen, damit ich den und die Andere wirklich verstehen lerne, und sich aus dem Gehörten dann langsam Antworten formen und zeigen können.
Zweifeln lernen ist der Motor für Entwicklung
Zweifeln hat nichts mit Prinzipienlosigkeit, hat nichts mit Werteverlust zu tun. Sondern, in rechter Weise Zweifeln lernen ist der Motor für Entwicklung. Ist der Motor um zu innerer Klarheit, zu Entschiedenheit und zu einem authentischen Leben zu gelangen. Ein Weg, zu dem wir alle gerufen und berufen sind. Doch, so zeigt es unser Menschsein, diesen Weg gibt es nicht ohne die tägliche Auseinandersetzung mit mir, mit den Gegebenheiten, mit unserer Gesellschaft. Dieser Weg kann uns in Unsicherheit, in Leere oder in Ohnmacht führen, die es dann von uns auszuhalten gilt. Auszuhalten, bis sich neue, manchmal leise Antworten zeigen.
Diese Zeit verlangt von uns vor allem die Fähigkeit, in konstruktiver Weise Zweifeln zu können, damit das, was uns bewegt, sich fortbewegen kann, hinein in eine befreiende Antwort und Wahrheit, mit der ich Schritt für Schritt das Leben ehrlich und wahrhaftig leben kann.
Der Zweifel ist also wirklich der unverzichtbare Bruder des Glaubens, wie es Tomás Halik beschreibt. Lassen wir also diesen Bruder, diese Schwester, in unser Leben, damit er unseren Glauben, unseren Verstand, und unser Leben befruchten und uns zu unserer Ganzheit verhelfen kann.
Thomas heißt „Zwilling“ was oft noch viel mehr und inniger ist als Bruder oder Schwester zu sein. Denn, wenn Geschwister, wenn Zwillinge spüren, da fehlt ein Teil, eine Schwester, ein Bruder, dann kann das für sie sehr schmerzlich, verlustreich und einengend sein. Deswegen ist es wesentlich diesen „Zwilling“ des Zweifels in unseren Glauben in unser Leben zu integrieren, damit wir offen, ganz, heil werden können. Denn, „der Zweifler Thomas fragt zurecht“.
P. Sascha Heinze
Bild: Adam Jan Figel/AdobeStock
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