Der Gesalbte der Frauen
Eine Welt ohne sie war für Jesus keine Option
Er war anders, er war wirklich ganz anders. Dieser Junge, der Maria prophezeit wurde, lange bevor sie mit ihrem Verlobten Joseph zusammengekommen war, und den sie Jesus nennen sollte. Vater und Mutter sind das notwendige Geländer, woran Kinder Halt finden. Manch eines verblüfft und versetzt schon früh die Eltern in Angst und Schrecken, wie die Bibel von dem Erlebnis einer Reise nach Jerusalem zu berichten weiß (Lk 2,4ff).
Bereits auf dem Rückweg vom mehrtägigen Passa-Fest zeigte sich, dass einer aus der Gruppe fehlte: ein Junge von Joseph und Maria. Eigenmächtig war der Zwölfjährige im Tempel von Jerusalem zurückgeblieben, saß unter honorigen Männern, und stand ihnen Rede und Antwort, sehr zu deren Verwunderung. Auf den Vorwurf der Mutter und ihre Frage, warum er den Eltern diese Aufregung zugemutet habe, antwortete er souverän mit einer Gegenfrage: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49f). Welche Verzweiflung man in einer solchen Situation erlebt, kenne ich recht gut.
Es wird nicht das einzige Mal gewesen sein, dass Jesus seine Eltern mit der Frage „wusstet ihr nicht?“ konfrontiert hat; heranwachsende Kinder sind ja bekannt dafür, dass sie ihren Eltern gern deren Ahnungslosigkeit zeigen; auch Jesus war davon nicht frei. Wohin das führen kann, ahnt man als Vater oder Mutter, schweigt aber lieber.
Er sprach ihnen aus der Seele
Jesus wuchs zu einem reifen, androgynen Mann heran, der männliche wie weibliche Seelenanteile erfolgreich in sich verkörperte. Frauen erlebten ihn als charismatische Erscheinung; während seine männliche Gefolgschaft einfacher Natur war, und durch Jesus eher an gesellschaftliches Emporkommen als an spirituelle Weiterentwicklung dachte.
Mit dreißig Jahren trat er erstmals in Galiläa auf, „erfüllt von der Kraft des Geistes“ wie es im Lukas-Evangelium heißt, „und wurde von allen gepriesen. Seine Zuhörer staunten darüber, wie begnadet er redete“ (Lk 4,14ff; Lk 4,32).
Dennoch fand er nicht überall Gehör, machte manche der Anwesenden wütend und musste sich manchmal unfreiwillig in Sicherheit begeben. Woraus er frustriert das Fazit zog: Ein Prophet gilt nichts im eigenen Land.
Weil er ihnen aus der Seele sprach, waren Frauen besonders beeindruckt von ihm. Er schenkte ihnen Hoffnung, wertete sie auf und gab ihnen zurück, was die Gesellschaft ihnen abgesprochen hatte: Würde und Wert. Er hörte ihnen vor allem zu, was für einen Mann seiner Zeit recht ungewöhnlich war.
Manche seiner Zuhörerinnen waren durch seine Reden so tief berührt, dass sie ihnen sogar die Heilung von körperlichen Beschwerden verdankten. Andere Frauen baten ihn, auch ihre Liebsten daheim zu heilen. Hatte die Frau von Pilatus nicht sogar schwere Träume, als ihr Mann sich anschickte, Jesus richterlich zu verurteilen?
Doch nicht von Anfang an verhielt er sich kooperativ, wie das Zusammentreffen mit einer samaritischen Frau an einem Brunnen bewies. Ganz der patriarchal geprägten Welt seiner Herkunft verpflichtet, wirkte Jesus manchmal recht hochmütig. Doch aus der Zurechtweisung einer Frau zog er eine Lehre. Was zeigt, dass Jesus auch andere Sichtweisen respektierte, und sich durchaus von einer Frau zurechtweisen ließ.
Duftendes Salböl zur Empörung der Männer
Frauen ist als anziehenden Erscheinungen oftmals die Aufmerksamkeit aller sicher; dafür werden sie von manchen Männern gern als personifizierte Sünde abgestempelt. Wie die „Sünderin“ genannte Frau im Lukas-Evangelium (Lk 7,38). Sie muss auf prüde Zeitgenossen wie der totale Verfall guter Sitten gewirkt haben. Seelisch ziemlich aufgewühlt, konnte die Frau ihre Tränen nicht zurückhalten. Als sie sah, dass diese Jesu Füße benetzt hatten, trocknete sie sie mit ihrem Haar und küsste sie hinterher auch noch. Was für eine unglaubliche Geste! Ein Beweis, dass sie Jesus auf größtmögliche Weise zugetan war. Als sie auch noch duftendes Salböl über ihn goss, empörten sich anwesende Männer über diese kostspielige Verschwendung. Doch Jesus wehrte die Frau keineswegs ab; er konnte nachfühlen, wie es um sie gestanden haben muss: Sie hatte viel geliebt und war doch immer leer ausgegangen.
Die männliche Angst vor dem Weiblichen kann immense Ausmaße annehmen. Viele fürchten seit alters her weibliche Stärke und erlassen sicherheitshalber Regeln und Verbote, während Jesus den Mut von Frauen und ihre mentale Kraft schätzte; eine Welt ohne Frauen war für ihn keine Option. Nicht, dass sie die besseren Menschen wären; sie sind die notwendige andere Hälfte der wunderbaren Schöpfung, deren Ergänzung und Korrektiv. Sie dürfen niemals nur zu Erfüllungsgehilfen von einseitig männlichem Handeln werden!
Man darf annehmen, dass Mutter Maria, die ja die erste Frau im Leben Jesu gewesen ist, ihn nicht über Gebühr eng an sich gebunden, sondern den Muttersohn für ein eigenständiges Leben freigegeben hat. Auch wenn es sie alles gekostet haben wird, was sie ihm mitgeben konnte: Bedingungslos zu lieben.
Herma Brandenburger
Bild: Christus im Haus des Pharisäers Simon, Dierick Bouts, 1460
Hier finden Sie weitere Artikel aus "das zeichen"
Das könnte Sie auch interessieren
Mitreden, Mitmachen, Mithelfen!
In Kontakt bleiben. Kostenlos 12 x pro Jahr!
Pallotti per Post: 4 x im Jahr kostenlos!
Impulse in Büchern, CDs, Whitepapers u.v.m
Öffnen Sie sich Räume
Gemeinsam die Welt verändern!