„Placebo-Effekt“: Sind gläubige Menschen gesünder und zufriedener?
Weniger Depressionen, weniger Psychosen, weniger Alkohol- und Drogenmissbrauch, weniger Kriminalität, mehr Glücksempfinden und Optimismus – eigentlich müsste der Staat Boni für Religion als Gesundheitsvorsorge vergeben. Doch es gibt auch Schattenseiten.
„Religion ist doch nur eine Krücke, um das sinnlose Leben erträglich zu machen,“ sagte ein selbsterklärter Atheist am Stammtisch mit lallender Zunge und trübem Blick. „Der erste Schluck aus dem Glas der Wissenschaft macht Sie zu einem Atheisten, aber Gott wartet auf Sie am Boden des Glases,“ meinte der Physiker Werner Heisenberg. Und Sigmund Freud sah in der Religion lediglich eine psychische Störung, eine Art universelle Zwangsneurose. Wenn dem so ist, haben die Psychotherapeuten viel zu tun; denn ein nicht unbeachtlicher Teil der Menschheit ist an irgendeine Religion beziehungsweise Glaubenspraxis gebunden. Kurz gesagt: er betet.
Ist das Gebet nur ein simples Placebo? Jein. Inzwischen ist bei den Medizinern die einstmals belächelte Placebowirkung anerkannt als durchaus seriöse Therapie für Menschen mit psychsomatischen Krankheiten und anderen Gebrechen. Es sind-P-Dragees (Zuckerpillen), deren Wirkung allein auf der Erwartungshaltung des Patienten beruhen.
So kann auch der Glaube an einen heilenden Gott durchaus als Placebo betrachtet werden, im Sinn des Wortes „Gefälligkeit“. Und dennoch ist der Gaube an Gott mehr. Gott hilft aus der Verzweiflung. Er wird zum großen Ordnungsprinzip für alle menschliche Wirrnis, zum Ziel aller Anstrengungen, zum Sinnstifter des Lebens. Er verhindert, dass wir uns fühlen wie die Feder im Wind. Das auf einen Gott ausgerichtete Leben erhält Sinn und hat Bestand über den Tod hinaus.
Amerikanische Hirnforscher haben in jüngster Zeit sogar ergründet, wie durch chemische Reaktionen im Kopf des Menschen religiöse Gefühle ausgelöst werden. Sie beanspruchen damit nicht weniger als „den Ursprung der Religion im menschlichen Gehirn lokalisiert“ zu haben.
Ein überraschendes Experiment in Südkorea
In einer koreanischen Studie, die nach allen Regeln der Wissenschaft aufgebaut war, stellte sich Unglaubliches heraus: wird für unfruchtbare Frauen gebetet, erhöht sich deren Chance auf Schwangerschaft um das Doppelte ((Ärztliche Praxis Nr 84 vom 19.10.2001). Die betreffenden Frauen kannten nicht einmal die Beter. Ja, nicht einmal die Ärzte noch die 169 Patientinnen wussten, dass und für wen gebetet wird. Die betenden Menschen erhielten das Foto „ihrer“ Patientin und den Auftrag, drei Wochen lang für sie zu beten. Die Schwangerschaftsrate betrug 50 Prozent, unabhängig vom Alter und von der Ursache der Unfruchtbarkeit. Somit wäre der Placebo-Effekt vom Tisch, oder?
Es ist erwiesen, dass religiöse Menschen seltener Herzinfarkte erleiden, weniger übergewichtig sind, bessere Blutdruckwerte und ein kleineres Risiko haben, Drogen oder Alkohol zu verfallen. Das zeigen Studien der Mayo Clinic, eines US-Instituts für Gesundheitsforschung. Religion gibt Menschen Glauben, gibt ihnen Struktur und bietet typischerweise die Möglichkeit, sich mit Menschen ähnlicher Überzeugungen zu verbinden. Diese Aspekte können sich positiv auf die psychische Gesundheit auswirken. Viele Studien deuten darauf hin, dass Religiosität Selbstmordraten, Alkoholismus und Drogenkonsum senkt. Man hat sogar herausgefunden, dass regelmäßig betende Menschen einen niedrigeren Interleukin 6- Wert im Blut haben, also zu weniger Entzündlichkeiten neigen.
Über 1.200 Studien und 400 Untersuchungen haben ergeben, dass sich religiöser Glaube positiv auf die Gesundheit auswirkt, indem er vor Krankheit schützt, den Umgang mit Krankheit positiv beeinflusst und Erholung beschleunigt.
Wer den Glauben praktiziert, kann sogar Psychosen fernhalten
Patienten, die mit Hilfe ihres Glaubens mit solchen Beschwerden fertig wurden, waren einsichtiger und nahmen williger ihre Medizin ein. Die Mehrzahl der Untersuchungen brachten eine religiöse Praxis in Verbindung mit Wohlsein, Glück und Zufriedenheit; Hoffnung und Optimismus; Lebenssinn und –zweck; mit mehr Selbstachtung. Patienten wurden mit Trauerfällen eher fertig, genossen mehr soziale Unterstützung und fühlten sich weniger einsam; sie waren weniger depressiv und erholten sich schneller von etwaigen Depressionen; sie wiesen eine niedrigere Selbstmordrate auf und waren der Selbsttötung eher abgeneigt; sie litten weniger unter Angst oder Psychosen und hatten weniger psychotische Neigungen; bei ihnen kam Alkohol- und Drogenmissbrauch, aber auch (Jugend)Kriminalität weniger vor; Patienten genossen mehr Stabilität und Zufriedenheit in der Ehe. So lautet die zusammenfassende Schlussfolgerung der größten Untersuchung zu diesem Thema. Angesichts solcher Bilanzen sollte der Staat Boni für diese Art der Gesundheitsvorsorge vergeben.
Doch kann Religion auch krank machen? Ja. Wenn religiöse Aussagen falsch verstanden werden (z.B. „wer zurückblickt, ist meiner nicht wert“ oder „wer seinen Nächsten Idiot nennt, ist der Hölle verfallen“) und wenn sie zu Intoleranz führen. Wir stellen in der Heilenden Gemeinschaft immer wieder fest, dass ein strafendes, leibfeindliches und moralisierendes Gottesbild sowie eine übertriebene Frömmigkeit zu einem erheblichen Verlust der Lebensqualität führen. Verzerrte Religiosität wie Fundamentalismus, Rigorismus, Moralismus und das wörtliche Verstehen mancher biblischer Aussagen sind Gift für das eigene und das soziale Leben. Doch keine Klinik und therapeutische Praxis thematisiert diesen Bereich, der bei nicht wenigen Menschen zu Störungen des seelischen Gleichgewichts beiträgt. Das ist dann der Nocebo-Effekt mit der schädlichen Seite der frommen Medaille. Aber halten wir fest: Man kann nie glücklich werden, wenn sich das, woran man glaubt, nicht mit dem deckt, was man tut
P. Jörg Müller
hat über 60 Bücher geschrieben und ist auch als Kabarettist unterwegs. Neben Theologie hat er unter anderem klinische Psychologie studiert und als Therapeut in eigener Praxis gearbeitet. Den Pallottinern in Freising trat er nach einem Berufungserlebnis in Medjugorje bei.
Bild: Arnaud Mooij/istock
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