Dem Leiden begegnen und sich stellen
Es ist nicht immer so, dass ein Garten positive Erinnerungen weckt, ein Ort des Lebens und der Freude ist. Jesus selbst hat in so einem Garten gebetet: Der Garten Getsemani ist seither Inbegriff der Angst und des Gebets in dieser Angst.
âDies ist ein Ort der UnterdrĂŒckung und Qual. Er fordert uns heraus, uns fĂŒr Frieden und Versöhnung einzusetzen und auch vor dem Unrecht von heute die Augen nicht zu verschlieĂen. Unser Auftrag besteht darin, zu Hause zu sein und den Menschen, die zu uns kommen mit ihren EindrĂŒcken, Fragen und WĂŒnschen, Gastfreundschaft anzubieten.â Dies sagte eine Ordensschwester, die mit anderen Mitschwestern in einem ehemaligen Konzentrationslager lebt und wirkt. Die Schwestern verstehen so ihren Auftrag an diesem Ort des Leides und der Verzweiflung. An diesem Ort haben sich Schicksale, Verzweiflung, Leid und Tod ereignet, welche diesen Ort zu einem Ort der Erinnerung und der Erfahrung machen können.
Der Ort selbst spricht unĂŒberhörbar und manchmal schwer aushaltbar ĂŒber dieses Leid. Er hĂ€lt fĂŒr uns aber auch die Möglichkeit der Wahrnehmung, der Erfahrung und der BerĂŒhrbarkeit mit fremdem und mit eigenem Leid bereit. Dieser Ort lĂ€dt uns ein, nicht nur als Zuschauer und Touristen einen Ort des Leidens zu besuchen, sondern uns von der getrĂ€nkten Geschichte dieses Ortes menschlicher Erfahrung und menschlichen Leidens berĂŒhren zu lassen. Dann macht ein Besuch dort Sinn, dann macht die Arbeit und das Leben der Schwestern dort Sinn, wenn sie die Erinnerung lebendig halten und Menschen, die eine BerĂŒhrung erfahren, in ihren Erfahrungen begleiten.
Getsemani â beliebtes Ziel der Pilger und Touristen
Ein solcher Ort ist auch der Garten Getsemani, der auĂerhalb der Stadtmauer in Jerusalem am Ălberg liegt. Heute ist er ein beliebtes Ziel vieler Pilger und Touristen, die im Heiligen Land unterwegs sind. Dieser Ort wird besucht, weil sich dort die Verzweiflung, das Fragen nach dem Sinn des Leidens, die Einsamkeit, die Verlassenheit und die Angst Jesus ereignet und diesen Ort mit seinen TrĂ€nen getrĂ€nkt haben. âVater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen. Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stĂ€rkte ihn. Und er betete in seiner Angst noch instĂ€ndiger und sein SchweiĂ war wie Blut, das auf die Erde tropfte.â So steht es im Lukas-Evangelium (22,42ff). Fragen der Ă€uĂersten inneren Not, die Angst vor dem Leiden und vor dem Sterben, das ganz Auf-sich-zurĂŒckgeworfen-Sein, die Frage nach dem Sinn, die Verzweiflung angesichts des nahen Todes haben hier ihren Ort und ihren Platz.
Und dieser Ort zeigt uns in seiner ganzen Dichte diese Seite menschlicher Erfahrungsmöglichkeit und menschlichen Leides. Dieser Ort verklÀrt und verdrÀngt nicht, dieser Ort ist kein Ort des Jubels und der Freude, dieser Ort ist das, was er ist, ein Ort des Leidens, ein Ort des Fragens, ein Ort der Suche nach einer Antwort.
Dieser Ort kann uns berĂŒhren
Wie wir diesen Ort, diesen Garten erfahren, wenn wir ihn besuchen, hĂ€ngt von unserer Offenheit und von unserer Einstellung ab, in der wir diesen Ort betreten. Ob als Pilger, der eine Erfahrung machen möchte, oder als Tourist, der kommt, um diesen Ort zu besichtigen. Doch egal, mit welcher Einstellung wir auch kommen, dieser Ort kann uns berĂŒhren, dieser Ort kann uns eigenes und fremdes Leid bewusst machen. Dieser Ort kann uns in Resonanz bringen mit dem, was wir an Leiderfahrungen in uns tragen.
Dann ist es gut, wenn Menschen da sind, die uns, wie die Schwestern in dem ehemaligen Konzentrationslager, in unserem erinnerten oder aufgebrochenen Leid begleiten und es uns deuten helfen können. Der Garten Getsemani kann somit ĂŒberall fĂŒr uns ein. Der Garten Getsemani kann jeder Ort fĂŒr mich sein, an dem ich mich unausweichlichem Leid, innerer oder Ă€uĂerer Not, meiner Angst, meiner Verzweiflung, meiner Frage nach einer Antwort stelle. Und diesen Ort finde ich nur, wenn ich im Hier und im Jetzt versuche, mich diesen Anfragen des Lebens zu stellen, an dem Ort, an dem diese Fragen mich ergreifen, sich in mein Leben drĂ€ngen.
In diesen Fragen sind wir oft alleine, so wie es uns auch von Jesus geschildert wird, und wir mĂŒssen die Antwort fĂŒr uns selber finden. Wir sind aufgefordert, eine Einstellung zu unserem Leid oder zu dem, was uns bedrĂ€ngt, zu finden. Denn diese Einstellung hilft uns, mit dem Leid umzugehen. In der Sprache Jesu heiĂt das: âAber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.â Wenn wir es schaffen, eine Einstellung, eine eigne Stellungnahme und somit einen Sinn zu finden, welcher uns helfen kann, mit unabĂ€nderlichem Leid umzugehen, dann haben wir viel gewonnen. Dann haben wir das Leben gewonnen, auch wenn es im Tod enden sollte.
Im Garten Getsemani stehen und blĂŒhen bis heute OlivenbĂ€ume, deren Abkömmlinge bis in die Zeit Jesu zurĂŒckgehen. Diese BĂ€ume können uns zeigen, dass sich das Leben kontinuierlich durchsetzt. Durchsetzt gegen das Leid, gegen die Schuld, gegen den Tod. Es sind BĂ€ume, denen man ansieht, dass sie den StĂŒrmen, den Auseinandersetzungen der Natur standgehalten haben. Sie sind oft im Stamm gebrochen, vom Feuer verkohlt, ausgehöhlt und angefressen. Und trotzdem tragen sie frische, grĂŒne Ăste und bringen FrĂŒchte hervor. Das Leben ist unausrottbar, wenn wir durch unsere WiderstĂ€ndigkeit, mit der âTrotzmacht des Geistesâ, wie der Psychiater und BegrĂŒnder der Logotherapie, Viktor Frankl, es nennt, uns immer wieder fĂŒr das Leben einsetzen uns fĂŒr das Leben entscheiden. FĂŒr das eigene Leben und fĂŒr das fremde Leben.
Sascha Heinze
Bild: Dave McIntosh / AdobeStock
Hier finden Sie weitere Artikel aus "das zeichen"
Das könnte Sie auch interessieren
Mitreden, Mitmachen, Mithelfen!
In Kontakt bleiben. Kostenlos 12 x pro Jahr!
Pallotti per Post: 4 x im Jahr kostenlos!
Impulse in BĂŒchern, CDs, Whitepapers u.v.m
Ăffnen Sie sich RĂ€ume
Gemeinsam die Welt verÀndern!