Hermann Hesse und seine Suche nach Heimat
Der berühmte Schriftsteller verarbeitete in seinen Werken auch seine Umzüge. Von ihm kann man lernen: Das Außen ist gar nicht so wichtig, auf das Innen kommt es an.
Das Thema Heimat ist nicht nur Gegenstand vieler Volkslieder geworden, sondern findet sich auch in den Werken vieler Schriftsteller. Einer davon ist Hermann Hesse, der 1877 als Sohn eines protestantischen Missionarsehepaares im schwäbischen Calw geboren wurde. Die Idylle dieser Kleinstadt mit ihren engen Gassen, der malerischen, über der Nagold gelegenen Nikolausbrücke und auch die manchmal vielleicht schrullig wirkenden Menschen prägten ihn in seinen frühen Jahren. Besonders die Plätze am Fluss schienen für ihn eine große Anziehungskraft gehabt zu haben. Die Stadt besaß damals viele Gerbereien, weshalb Hesse in seinen frühen Erzählungen für Calw den fiktiven Namen „Gerbersau“ wählte. Darin erweckt er viele sonderbare Typen zum Leben und gibt uns in den Schilderungen einen Einblick in die Atmosphäre dieses Ortes und dieser Zeit. Wie stark beide ihn geprägt haben mögen, lassen folgende Worte deutlich werden, wie er im Rückblick auf diese Jahre schreibt:
„Zwischen Bremen und Neapel, zwischen Wien und Singapore habe ich manche hübsche Stadt gesehen, Städte am Meer und Städte hoch auf Bergen, und aus manchen Brunnen habe ich als Pilger einen Trunk getan, aus dem mir später das süße Gift des Heimwehs wurde. Die schönste Stadt von allen aber, die ich kenne, ist Calw an der Nagold, ein kleines, altes, schwäbisches Schwarzwaldstädtchen. Jetzt habe ich hier und da eine Nacht Heimweh nach Calw. Wohnte ich aber dort, so hätte ich jede Stunde des Tags und der Nacht Heimweh nach der schönen alten Zeit, die vor dreißig Jahren war und die längst unter den Bogen der alten Brücke hinweggeronnen ist.“
Ihrem berühmten Sohn hat die Stadt später mit einer Bronzestatue auf eben dieser Nikolausbrücke ein Denkmal gesetzt.
In diesem Zitat wird deutlich, was für ihn Heimat bedeutet: ein Ort, wo er sich zu Hause gefühlt hat und der ihm vertraut geworden ist. Daneben spielen aber auch die Erinnerungen an konkrete Erlebnisse eine Rolle, die er mit diesem Ort verbindet.
Allerdings ist sein Leben nicht nur idyllisch und behaglich gewesen, denn häufige Umzüge seiner Eltern – auch während der Zeit in Calw – lösten in ihm ein Gefühl der Heimatlosigkeit aus. Verstärkt wurde diese Situation durch den Konflikt mit seinem Vater. Dieser hatte ihn mit 14 Jahren in das evangelisch-theologische Seminar Maulbronn gesteckt, damit er später Theologe werden sollte. Hesse, der in dieser Zeit die Liebe zur Schriftstellerei entdeckt hatte, floh aus dem Seminar und wurde anschließend für einige Zeit in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Jetzt fühlte er sich von seiner Familie gänzlich unverstanden und verstoßen, als Mensch ohne Zuhause. Diese Erfahrungen verarbeitete er in der Figur des Internatsschülers Hans Giebenrath im Roman „Unterm Rad“. Als dieser die Anforderungen der Lehranstalt nicht mehr erfüllt, stürzt er in eine seelische Krise und wird zur Erholung nach Hause geschickt. Dort empfindet sich dieser „verlassen und ungeliebt, saß im kleinen Garten an der Sonne oder lag im Wald und hing seinen Träumereien oder quälerischen Gedanken nach.“ (Hesse, Unterm Rad, S. 117)
Heimat ist für Hesse also nicht nur eine Frage des geografischen Standortes, sondern vor allem ein inneres Gefühl der Zughörigkeit.
Diese Vielschichtigkeit wird sich auch in seiner späteren Entwicklung und seinen Werken zeigen. Er wechselt – auch durch private Schicksalsschläge – später immer wieder die Wohnorte, unternimmt eine Indien- und mehrere Italienreisen, lebt sowohl in Basel als auch am Ende im Tessin. Überall und nirgends zu Hause bleibt doch eine geheime Sehnsucht – sesshaft zu werden und Wurzeln zu schlagen.
Letztendlich muss er aber auf einer seiner vielen Wanderungen beim Anblick der Natur erkennen: „Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir drinnen, oder nirgends.“ (Hesse, Wanderung, S. 63)
Werner Enders
ist Diplomtheologe und pensionierter Studiendirektor. Für das „zeichen“ ist er als freier Fotograf seit 1983 tätig, als Textautor seit 2025.
Bild: globetrotter1/AdobeStock: Eine Zeit lang lebte Hesse im schweizerischen Hochgebirgstal des Engadin. Hier der Blick auf Soglio
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