„Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht“ (Mt 25,36)
Ein Reflexionsimpuls zur „Heiligjahrfeier der Gefangenen“ von Don Carmelo di Giovanni SAC aus Italien
Vom 12. – 14. Dezember 2025 war in Rom die Heiligjahrfeier der Gefangenen; zu diesem Anlass erzählt P. Carmelo di Giovanni aus Rom von seinen Erfahrungen mit Gegangenen und Gefängnissen: Meine Erfahrungen begannen in London Anfang der 70er Jahre, als ich Vikar an St. Peter’s Italian Church war. Das Gefängnis war mir total unbekannt, bis mich ein Kaplan eines Hochsicherheitsgefängnisses bat, einen italienischen Jungen zu besuchen, Pierluigi aus Vicenza, der in Drogen verwickelt und so depressiv war, dass er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Ich ging zu ihm. Zum ersten Mal betrat ich ein Gefängnis, und die Erfahrung war traumatisch. Ich sah viele andere junge Männer, die aus verschiedenen Gründen inhaftiert waren, und diese erste Begegnung beeindruckte mich zutiefst. Ich erinnere mich noch genau, dass ich nach dem Besuch beim Warten auf den Bus geweint habe. Dieser Kontakt mit der Welt des Gefängnisses hat mich für mein Leben geprägt.
Mein Abenteuer: In Kontakt mit Menschen, Drogen, AIDS, Terrorismus, Mord
Genau in diesem Moment begann mein Abenteuer. Ich besuchte weiterhin die Häftlinge, erhielt offizielle Genehmigungen und gewann mit der Zeit so viel Hilfe in den Einrichtungen, dass ich sogar Schlüssel für den Zugang erhielt. Ich lernte die englische Gefängniswelt gut kennen und wurde Gefängnisgeistlicher. Anfangs kümmerte ich mich hauptsächlich um italienische Häftlinge, die mit Drogenproblemen und dem Ausbruch von AIDS zu kämpfen hatten, zwei Plagen, die in den 70er und 80er Jahren explodierten.
In den 80er Jahren kam das Thema Terrorismus hinzu. Nach den Ereignissen im Fall Moro (Aldo Moro, ein italienischer Politiker, der viele Jahre Ministerpräsident war, wurde 1978 von Mitgliedern der „Roten Brigade“ entführt und ermordet) flohen viele Mitglieder der bewaffneten terroristischen Bewegungen, sowohl der extremen Rechten als auch der extremen Linken, nach England, wurden in London bald entdeckt, verhaftet und eingesperrt. Zu vielen hatte ich manchmal wunderbare Kontakte. Ich suchte mit allen den Dialog und begleitete sie bei einer Überprüfung ihres Lebens und auf einem spirituellen Weg. Anfangs waren einige misstrauisch und dachten, ich sei ein Spitzel, und es dauerte eine Weile, bis sie mich akzeptierten. So konnte ich mit ihnen ins Gespräch kommen und ihnen verständlich machen, dass es Perspektiven für ein neues Leben gibt. Auch mit denjenigen, die nach Italien ausgeliefert wurden, hielt ich Kontakt und habe sie weiterhin in italienischen Gefängnissen besucht und auch diese Realität kennengelernt. Ich wollte die Terroristen, die im Gefängnis saßen und für Aufsehen erregende Morde bekannt waren, kennen lernen. Mit vielen habe ich langsam eine freundschaftliche Beziehung aufbauen können und mit ihnen oft Wege tiefer Spiritualität und des Glaubens eingeschlagen. Eine persönliche Erfahrung, für die ich dankbar bin: Menschen, die sich der schlimmsten Verbrechen wie Mord und internationalem Terrorismus schuldig gemacht haben, haben sich bekehrt. Gott sei Dank!
Man muss beten und arbeiten und eine Versöhnung erreichen
Heute ist diese Welt hinter Gittern vielleicht noch schwieriger als damals geworden und ich verstehe sehr gut, dass Menschen Angst davor haben. Selbst heute, im Jahr 2025, kann ich es, trotz meiner 47-jährigen Erfahrung (40 Jahre in London und sieben Jahre in Italien) manchmal kaum erwarten, ein Gefängnis wieder zu verlassen. Ich hatte auch die Möglichkeit, Gefängnisse in vielen anderen Ländern zu besuchen, wo ich mit den schwierigsten Situationen konfrontiert wurde. Während der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Nordirland, die viele Jahrzehnte dauerten, habe ich viele Erfahrungen gemacht, die mich sehr beeindruckten und wurde nach Belfast eingeladen, als der Friedensprozess begann. Zusammen mit ehemaligen italienischen Terroristen konnte ich erzählen, wie der Terrorismus in Italien besiegt worden war. Die Ereignisse des bewaffneten Kampfes der ETA in Spanien (eine terroristische Organisation, die für die Unabhängigkeit des Baskenlandes kämpfte) habe ich mit viel Interesse verfolgt. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, und habe immer versucht diese Überzeugung zu vermitteln, dass mit bewaffnetem Kampf und Gewalt niemals etwas gelöst wird, sondern nur weitere Gewalt und Hass erzeugt werden. Man muss beten und arbeiten und eine Versöhnung erreichen.
Der andere Aspekt, der ein immer größerer Anteil meiner Arbeit wurde, waren die Drogenabhängigen. Nach den 80er Jahren wanderten Tausende junger Menschen aus Italien nach London aus. Viele von ihnen waren drogenabhängig (Heroin, Crack, LSD) und landeten im Gefängnis. Ein großes Problem war das Verhältnis zu den Familien: Viele dachten, ihre Kinder würden in London arbeiten, stattdessen saßen sie im Gefängnis oder starben an Drogen. Der Kontakt mit den meisten Familien, insbesondere aus Sardinien, Venetien und der Lombardei, war für mich sehr, sehr schmerzhaft. Für viele dieser jungen Menschen kam noch das Problem AIDS hinzu; viele habe ich beerdigt, oft war ich allein; weder Angehörige noch Freunde waren anwesend. Was mich jedoch oft positiv beeindruckt hat, war die Tatsache, dass viele junge Menschen zum Glauben zurückkehrten und beichteten. Ich habe versucht, diesen jungen Menschen zu helfen, ihr Herz von aller Bitterkeit, Wut und Versagen zu befreien. Es war für mich oft eine schwere Last, aber andererseits war es auch wunderschön, denn es bedeutete ein neues Leben.
„Die Kirche muss den Gefangenen nahe sein und versuchen zu verstehen, was die Ursachen für Drogen, Gewalt und Kriminalität sind; muss versuchen, jeden Menschen mit seinem falschen Leben zu versöhnen, damit er seine Würde wiederfindet.“
Der heilige Vinzenz Pallotti hatte ein großes Herz für Gefangene
Bei all dem muss ich sagen: Es geschehen noch immer Wunder. Ich habe gesehen, was Gott aus schwachen, gedemütigten, verachteten Menschen machen kann, wenn sie auf den Anruf der Gnade antworten. Wenn du ja sagst, reinigt Gott dein Leben von Schuld, schenkt dir die Gnade eines neuen Anfangs. Der heilige Vinzenz Pallotti hatte ein großes Herz für Gefangene und wurde oft in die Gefängnisse in Rom gerufen. Sein Beispiel zeigt, die Kirche muss den Gefangenen nahe sein und versuchen zu verstehen, was die Ursachen für Drogen, Gewalt und Kriminalität sind; muss versuchen, jeden Menschen mit seinem falschen Leben zu versöhnen, damit er seine Würde wiederfindet. Der Samariter „beschmutzte sich die Hände” mit dem Verletzten. Nach meiner Erfahrung war es für mich eine Gnade, mit diesen Menschen zusammen zu sein.
Nach meiner Meinung bringt die Zeit im Gefängnis für viele Gefangene oft nicht das, was wir erhoffen. Es ist sicherlich notwendig, aber es muss in seiner richtigen Dimension überdacht werden. Viele der Gefangenen sind drogenabhängig und wenn wir sie für Jahre ins Gefängnis stecken, wo Drogen sehr präsent sind, was nützt das dann? Ich glaube, dass das Gefängnis mehr Kontakt zur „Außenwelt” haben muss, es braucht mehr Freiwillige, die sie nach ihrer Entlassung begleiten. Leider habe ich festgestellt, dass viele nach ihrer Entlassung wieder in ihr altes Leben, das sie ins Gefängnis gebracht hat, zurückfallen, weil sie keine Alternative haben.
„Wir haben keinen Grund, hochmütig zu sein und auf andere herabzublicken, die Fehler gemacht haben.“
Wir müssen aufmerksamer sein. Es geht nicht darum, diese Menschen von aller Schuld loszusprechen. Es ist wie in der Episode der beiden Verbrecher, die mit Jesus gekreuzigt waren: Der eine lästert, der andere erkennt seine Schuld und sagt: „Wir sind hier, weil wir es verdienen, aber dieser Mann hat nichts Böses getan”. Er bittet nicht darum, gerettet zu werden, sondern bittet Christus: „Denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Demütig und ehrlich wollen wir bekennen, dass auch wir Sünder sind und den Herrn um Gnade bitten. Wir haben keinen Grund, hochmütig zu sein und auf andere herabzublicken, die Fehler gemacht haben.
Die Mission der Kirche ist es, die Wunden der Menschheit zu heilen
Ein Nachtrag: Ein großes Problem heutzutage ist die Familie: Wenn wir ihr nicht helfen, werden wir immer verlassene Kinder haben. Die Mission der Kirche ist es, die Wunden der Menschheit zu heilen, die Kirche, wie Papst Franziskus sagte, als Feldlazarett verstehen. Ich möchte sagen, dass es uns guttun würde, ab und zu ein Gefängnis zu besuchen, denn eines Tages werden wir nicht nach großen Worten und schönen Vorsätzen beurteilt, sondern nach der Liebe, die wir gezeigt haben: Jesus wird zu uns sagen: „Ich war im Gefängnis, und so weiter“. Das ist das wahre Christentum. Bitten wir den Herrn, dass er uns helfe.
Don Carmelo di Giovanni SAC
Rom, Italien
Quelle: Apostel heute, Monatliche Reflexion für die Mitglieder der pallottinischen UNIO im Dezember 2025, Hrsg.: Union des Katholischen Apostolats (Pallottinische Unio), Rom. Übersetzung: Pater Wolfgang Weiss. Symbolbild: Elena Dijour Adobe Stock
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