Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden
Ein Reflexionsimpuls zum „Jubiläum der Mitarbeiter der Justiz“ von Don Nicola Gallucci SAC aus Rom
„In Gott sind Macht und Wesen, Wille und Verstand, Weisheit und Gerechtigkeit ein und dasselbe, sodass es in der göttlichen Macht nichts geben kann, was nicht auch im gerechten Willen Gottes oder in seiner weisen Vernunft enthalten wäre.“ (Thomas von Aquin, Summa theologica, I q. 25 a. 5 ad 1).
Wir sind nicht vollkommen frei, solange wir nicht aus reiner Gerechtigkeit leben, d. h. aus einer Gerechtigkeit, die ihr Vertrauen nicht nur auf menschliche und greifbare Mittel setzt und nicht in einem sichtbaren Ziel ruht.
Wenn wir die Dinge dieser Welt nicht mehr um ihrer selbst willen begehren, werden wir fähig, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind. Wir erkennen sofort ihre Güte und den Zweck, dem sie dienen, und können sie schätzen, wie wir es zuvor nie getan haben. Und indem wir nicht auf sie vertrauen, erhalten wir gemäß der Lehre des Evangeliums alles andere: „Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere (was für unser irdisches Leben notwendig ist) dazugegeben.“ (Mt 6,33).
Die übernatürliche Gerechtigkeit ist die Tugend, die uns von allen Dingen losreißt, um uns den Besitz von allem zurückzugeben. Unsere Gerechtigkeit wird nicht davon bestimmt, was wir haben, und in Gerechtigkeit zu leben bedeutet, nichts zu besitzen. Und doch haben wir alles, wenn wir uns dem Wirken der göttlichen Vorsehung hingeben. Durch den Glauben erkennen wir Gott, ohne ihn zu sehen; durch die Gerechtigkeit besitzen wir ihn, ohne seine Gegenwart zu spüren. Wenn wir ihm vertrauen, besitzen wir ihn bereits, denn Gerechtigkeit ist ein Vertrauen, das er in unseren Seelen schafft, als geheimes Zeugnis dafür, dass er Besitz von uns ergriffen hat. So gehört die Seele, die auf Gott vertraut, bereits ihm, und ihm zu gehören ist dasselbe wie ihn zu besitzen, denn er gibt sich denen, die sich ihm hingeben, ganz und gar hin.
Die Gerechtigkeit nimmt uns nämlich alles, was nicht Gott ist, damit alle Dinge ihrem wahren Zweck dienen können, als Mittel, um uns zu Gott zu führen. Die Gerechtigkeit steht im Verhältnis zur Loslösung; sie führt unsere Seelen zum Zustand der vollkommenen Loslösung und stellt dabei alle Werte wieder her, indem sie jedem seinen Platz zuweist. Die Gerechtigkeit macht unsere Hände leer, lässt uns erkennen, dass es etwas gibt, für das es sich zu engagieren lohnt, und lehrt uns, wie wir dies tun können.
Ohne Gerechtigkeit ist unser Glaube nur eine oberflächliche Kenntnis Gottes. Ohne Liebe und ohne Gerechtigkeit bleibt Gott uns letztlich fremd; denn es ist die Gerechtigkeit, die uns in die Arme seiner Barmherzigkeit und Vorsehung wirft. Wenn ich statt auf Gott nur auf meine Intelligenz, meine Kraft und meine Klugheit vertraue, werden mich alle Mittel, die Gott mir gegeben hat, um den Weg zu ihm zu finden, enttäuschen. Nichts Geschaffenes kann ohne Gerechtigkeit nützlich sein. Sein Vertrauen in sichtbare Dinge zu setzen bedeutet, in Verzweiflung zu leben.
Wenn ich jedoch auf Gott vertraue, meine wahre und einzige Gerechtigkeit, muss ich auch vertrauensvoll all jene natürlichen Hilfen nutzen, die mich zusammen mit der Gnade befähigen, zu ihm zu gelangen. Wenn er gut ist und wenn meine Intelligenz ein Geschenk von ihm ist, muss ich mein Vertrauen in seine Güte zeigen, indem ich meine Intelligenz nutze. Ich muss zulassen, dass der Glaube das Licht meines Verstandes erhebt, heilt und verwandelt.
Wenn er barmherzig ist und meine Freiheit ein Geschenk seiner Barmherzigkeit ist, muss ich das Vertrauen zeigen, das ich in diese Barmherzigkeit habe, indem ich meinen freien Willen nutze. Ich muss zulassen, dass Gerechtigkeit und Nächstenliebe meine menschliche Freiheit reinigen und stärken und mich zur großartigen Freiheit eines Kindes Gottes erheben. „Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apg 10,35).
Manche, die glauben, auf Gott zu vertrauen, sündigen gegen die Gerechtigkeit, weil sie den Willen und das Urteilsvermögen, die Gott ihnen gegeben hat, nicht ausüben. Was nützt es, auf die Gnade zu hoffen, wenn ich mich nicht traue, einen Willensakt zu vollbringen, der ihr entspricht? Wie kann ich davon profitieren, mich passiv seinem Willen zu überlassen, wenn mir die Willenskraft fehlt, ihm zu gehorchen? Wenn ich auf Gottes Gnade vertraue, muss ich auch Vertrauen in die natürlichen Fähigkeiten zeigen, die er mir gegeben hat, nicht weil sie meine Möglichkeiten sind, sondern weil sie seine Gaben sind. Wenn ich an Gottes Gnade glaube, muss ich auch meinen freien Willen berücksichtigen, ohne den seine Gnade vergeblich in mich fließen würde. Wenn ich glaube, dass er mich lieben kann, muss ich auch glauben, dass ich ihn lieben kann. Wenn ich nicht glaube, dass ich ihn lieben kann, dann glaube ich nicht an ihn, der uns das erste Gebot gegeben hat: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit all deiner Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst (vgl. Mt 22,37.39).
Wir können Gott lieben, weil wir wissen, dass wir aufgrund der Gerechtigkeit, die seiner Treue gebührt, etwas von ihm erhalten werden, oder wir können gerecht sein, indem wir ihn lieben, weil wir wissen, dass er uns liebt. Manchmal beginnen wir mit der ersten Art von Gerechtigkeit und entwickeln uns dann zur zweiten weiter. In diesem Fall wirken Gerechtigkeit und Nächstenliebe zusammen, wie gute Gefährtinnen, und beide ruhen in Gott. Dann kann jede gerechte Handlung die Tür zur Kontemplation öffnen, denn eine solche Gerechtigkeit ist ihre volle Verwirklichung.
Setzen wir all unsere Gerechtigkeit in die Liebe Gottes: Das ist besser, als zu hoffen, vom Herrn etwas zu erhalten, das über seine Liebe hinausgeht, denn diese Gerechtigkeit ist so sicher wie Gott selbst und kann niemals enttäuscht werden. Sie ist mehr als ein Versprechen der Erfüllung; sie ist eine Folge der Liebe selbst. Ich suche die Liebe, weil ich sie bereits gefunden habe; ich suche Gott in dem Wissen, dass ich aufgrund seiner Treue bereits von ihm gefunden worden bin. Es ist ein Weg zum Himmel mit der dunklen Wahrnehmung, bereits angekommen zu sein. Das Jüngste Gericht wird offenbaren, dass die Gerechtigkeit Gottes über alle Ungerechtigkeiten seiner Geschöpfe triumphiert und dass seine Liebe stärker ist als der Tod (vgl. Hohelied 8,6).
Alle Wünsche können enttäuscht werden, außer dem Wunsch, von Gott geliebt zu werden. Nun können wir diesen Wunsch nicht wirksam hegen, ohne gleichzeitig aus Gerechtigkeit heraus den Wunsch zu haben, ihn unsererseits zu lieben, und dieser Wunsch kann nicht enttäuscht werden. Allein durch den Wunsch, ihn zu lieben, beginnen wir bereits, das zu tun, was wir uns wünschen. Die Freiheit ist vollkommen, wenn keine andere Liebe unser Verlangen, Gott zu lieben, behindern kann. Wenn wir Gott jedoch wegen etwas lieben, das ihm unterlegen ist, hegen wir einen Wunsch, der uns täuschen kann. Wir laufen Gefahr, ihn zu hassen, wenn wir nicht bekommen, was wir uns erhoffen. Es ist erlaubt, alle Dinge zu lieben und zu suchen, wenn sie Mittel sind, um Gott zu lieben. Es gibt nichts, was wir nicht erbitten können, wenn wir es wünschen, damit er von uns und anderen mehr geliebt wird.
Es wäre eine Sünde, der gerechten Liebe zu Gott irgendwelche Grenzen zu setzen. Wir müssen ihn ohne Maß lieben. Jede Sünde hat ihre Wurzel in einem Mangel an Liebe. Jede Sünde ist eine Entziehung der Liebe zu Gott, um etwas anderes zu lieben. Die Sünde setzt unserer Gerechtigkeit Grenzen und sperrt die Liebe in ein Gefängnis. Wenn wir unser letztes Ziel in etwas Begrenztem setzen, haben wir unser Herz vollständig vom Dienst am lebendigen Gott entfernt. Wenn wir ihn weiterhin als unser höchstes Ziel lieben, aber unsere Erwartung von Gerechtigkeit auf etwas anderes als ihn setzen, sind Gerechtigkeit und Liebe nicht so in uns, wie sie sein sollten, denn niemand kann zwei Herren dienen. „Zu aller Zeit und in jedem Volk ruht Gottes Wohlgefallen auf jedem, der ihn fürchtet und gerecht handelt“ (LG 9 – vgl. Apg 10,35).
Gerechtigkeit ist das schlagende Herz der Askese. Sie lehrt uns, uns selbst zu verleugnen und die Welt zu verlassen, nicht weil wir selbst oder die Welt schlecht sind, sondern weil wir, wenn uns eine übernatürliche Gerechtigkeit nicht über die zeitlichen Dinge erhebt, absolut unfähig sind, die wahre Güte, die in der Welt und in uns ist, gut zu nutzen. In der Gerechtigkeit hingegen besitzen wir uns selbst und alle Dinge, weil wir sie so haben, wie sie in Christus sind: erfüllt von der Verheißung. Alle Dinge sind zugleich gut und unvollkommen: ihre Güte zeugt von der Güte Gottes, aber ihre Unvollkommenheit erinnert uns daran, uns von ihnen zu lösen, um in Gerechtigkeit zu leben, im Bewusstsein, Geschöpfe zu sein, die dem Schöpfer verpflichtet sind.
An sich sind sie unzureichend: Wir müssen über sie hinausgehen und uns zu Dem vorwagen, von dem sie ihr wahres Sein haben. Wir lösen uns von den guten Dingen der Welt, nicht weil sie nicht gut sind, sondern weil sie nur als Teil einer Verheißung gut sind. Und diese wiederum hängen für die Verwirklichung ihres Schicksals von unserer Gerechtigkeit und unserer Loslösung ab. Wenn wir sie missbrauchen, ruinieren wir uns selbst und sie; wenn wir sie als Kinder der göttlichen Verheißungen nutzen, bringen wir sie zusammen mit uns zu Gott.
„Denn die Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Gewiss, die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin: Denn auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,19-21). Von unserer Gerechtigkeit hängt also die Freiheit des gesamten Universums ab, denn sie ist das Unterpfand eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in denen alle Dinge so sein werden, wie sie nach Gottes Plan sein sollen. Sie werden zusammen mit uns in Christus auferstehen. Tiere und Pflanzen werden eines Tages mit uns die neue Schöpfung teilen, und wir werden sie so sehen, wie Gott sie sieht, und erfahren, dass sie wirklich gut sind.
Wenn wir sie jedoch jetzt so nehmen, wie sie sind, werden wir das Böse in uns und in ihnen entdecken. Das ist die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse: Abscheu vor den Dingen, die wir missbraucht haben, und Hass auf uns selbst, die wir sie missbraucht haben. Aber die Güte der Schöpfung ist Teil der Struktur der übernatürlichen Gerechtigkeit. Die gesamte Schöpfung verkündet Gottes Treue zu seinen Verheißungen und drängt uns aus Liebe zu uns selbst und zu ihm, uns selbst zu verleugnen, in Gerechtigkeit zu leben und auf das Gericht und die allgemeine Auferstehung zu schauen.
Diejenigen, die alles aufgeben, um Gott zu suchen, wissen sehr wohl, dass er der Gott der Armen ist; Gott der Armen, den wir auch eifersüchtigen Gott und Gott der unendlichen Barmherzigkeit nennen können. Es gibt nicht zwei Götter, einen eifersüchtigen, den wir fürchten müssen, und einen anderen barmherzigen, auf den wir unseren Durst nach Gerechtigkeit richten können. Der Gott aller Gerechtigkeit ist eifersüchtig auf sein Vorrecht als Vater der Barmherzigkeit, und der höchste Ausdruck seiner Gerechtigkeit ist es, denen zu vergeben, denen niemand sonst jemals vergeben hätte. Der reuige Verbrecher, der zusammen mit Christus starb, konnte in ihm Gott sehen, während die Gesetzeslehrer gerade in diesem Moment ihn deswegen verspotteten: wenn du Gottes Sohn bist, dann steig herab vom Kreuz.
Nur wer sich selbst in einer verzweifelten Lage befunden hat, ist wirklich davon überzeugt, Barmherzigkeit zu brauchen. Diejenigen, die dieses Bedürfnis nicht verspüren, suchen sie auch nie. Es ist besser, Gott an der Schwelle der Verzweiflung zu finden, als sein Leben in einer Selbstgefälligkeit zu riskieren, die nie das Bedürfnis nach Vergebung verspürt hat. Ein Leben ohne Probleme kann buchstäblich verzweifelter sein als eines, das ständig am Rande der Verzweiflung steht.
Eines der größten spekulativen Probleme der Theologie wird in der Praxis durch ein christliches Leben in Gerechtigkeit gelöst. Das Geheimnis des freien Willens und der Gnade, der Vorherbestimmung und der Zusammenarbeit mit Gott wird durch die Gerechtigkeit gelöst, die diese beiden Punkte in der richtigen Beziehung zueinander koordiniert. Wer an Gott glaubt, weiß nicht, ob er für den Himmel vorherbestimmt ist, aber wenn er in dieser Gerechtigkeit ausharrt und ständig von der göttlichen Gnade inspirierte Willensakte vollbringt, dann wird er zu den Vorherbestimmten gehören: denn das ist das Ziel seiner Gerechtigkeit. Jede Gerechtigkeitstat ist eine frei vollbrachte Tat, aber auch ein Geschenk Gottes. Gerechtigkeit ist die Vereinigung zweier Freiheiten, der menschlichen und der göttlichen, in der Annahme einer Liebe, die zugleich Verheißung und Beginn der Verwirklichung ist.
Der Glaube, der mir sagt, dass Gott alle Menschen retten will, muss durch die Gerechtigkeit, dass Gott, der Schöpfer, mich retten will, und durch die Liebe, die seinem Wunsch entspricht, vervollständigt werden. Durch diese göttliche Gerechtigkeit werden alle Wahrheiten, die der gesamten Menschheit auf abstrakte und unpersönliche Weise präsentiert werden, für mich zum Gegenstand einer innigen und persönlichen Überzeugung. Die Gerechtigkeit ist das Tor zur Kontemplation, denn diese ist eine Erfahrung des Göttlichen, und wir können nicht erfahren, was wir in gewisser Weise nicht besitzen. Durch die Gerechtigkeit wissen wir, wo wir die Substanz dessen finden, woran wir glauben, und durch sie besitzen wir die Substanz der erfüllten Verheißung der Liebe Gottes, die uns in Christus geschenkt wurde. Die Nächstenliebe ergreift seine Liebe zu mir, die Gerechtigkeit zahlt den Tribut der Liebe, den ich ihm schulde.
Don Nicola Gallucci SAC
Rom, Italien
Quelle: Apostel heute, Monatliche Reflexion für die Mitglieder der UNIO im September 2025, Hrsg.: Union des Katholischen Apostolats (Pallottinische Unio), Rom. Übersetzung: Pater Wolfgang Weiss. Symbolbild: Salvatore Leanza (Fresco von Giotto Scrovegni in Padua) über Adobe Stock.
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