Alle unter einem Dach
Ein Reisebericht von Pater Reinhold Maise
Am 1. April bin ich von meiner zweiten Reise durch Indien zurück gekommen. Fünf Wochen zuvor, am 25. Februar war ich aufgebrochen, um die Besuche in den pallottinischen Einheiten in Indien fortzusetzen. Während ich im Advent 2022 vor allem Mittelindien und die Gegenden um Nagpur und Raipur besuchte, lag der Schwerpunkt nun im Süden und Nordosten: von Chennai im Osten an der Küste des Bengalischen Golfes führte mich der Weg ganz in den Süden, an den sogenannten „Tip of India“ – an den Indischen Ozean, um von dort wieder der Westküste entlang durch den Staat Kerala Richtung Norden zu reisen. Anschließend besuchte ich die Mitbrüder in der Regio Gloria Dei, die vor allem in den Staaten Andrah Pradesh und Telangana wirken. Von hier ging es über Bangalore wieder in den Westen in den Staat Goa um schließlich als Höhepunkt ganz in den Nordosten, an die chinesische Grenze zu reisen.
Unity in Diversity
Seit meiner Rückkehr werde ich nun immer wieder gefragt, was denn das Besondere an Indien sei, was Indien zu Indien mache. Diese Frage kann ich nicht beantworten. Denn es gibt nicht DAS Indien: 30 Staaten haben sich zusammengeschlossen, um „Indien“ zu bilden. In jedem Staat gibt es mindestens eine eigene Sprache. Die Art zu kochen und zu essen unterscheidet sich im Süden von der im Nordosten. Der Westen ist sehr westlich orientiert und geprägt, während sich die Kulturen im Osten sehr ihre eigenen Traditionen bewahrt haben. Mir sind Menschen begegnet, die im Wohlstand leben. Ich habe aber auch Dörfer besucht, in denen die Menschen in einfachsten, mit Palmblättern oder Wellblech gedeckten Häusern leben müssen und als Tagelöhner arbeiten. In diesen fünf Wochen habe ich bei 35 Grad Celsius und hoher Luftfeuchtigkeit geschwitzt, während ich im Nordosten bei 10 Grad Celsius gefroren habe. Es gab Sonne pur, aber über Tage hin auch bedeckten, regnerischen Himmel, sogar Schnee. Üppige Vegetation mit Kokosnusspalmen, Ananaskulturen, Teeplantagen, Bananenstauden, Orangenbäumen bis hin zu trockenen Savannenlandschaften. Ich kann nun besser verstehen, was der Slogan bedeutet, mit dem die Inder selbst ihr Land beschreiben: Unity in Diversity – Einheit in aller Unterschiedlichkeit.
Indien ist bunt
Was vielleicht tatsächlich allen Landesteilen und den Indern von Nord bis Süd und Ost bis West gemeinsam ist, ist die Liebe zu Farben. Indien ist bunt: Saris in allen Farbtönen, Kirchen – innen und außen – in kräftigen Farben gestrichen und gestaltet. Früchte gibt es in allen Farben und Formen. Jeder Stamm hat seine eigene Farbe für die traditionelle Kleidung. Die Buntheit in Indien – ein Ausdruck für die Lebendigkeit, die diesem Land innewohnt.
Indien ist lebendig
Lebendig ist Indien. Das zeigt sich an der zunehmenden Bevölkerung. Die Augsburger Allgemeine schrieb am 28.12.2022, dass Indien im Jahr 2023 wohl „das bevölkerungsreichste Land“ vor China werden könnte mit über 1,4 Milliarden Menschen. Der Bedarf an Wohnraum ist deshalb groß. Auf meiner Reise ist mir aufgefallen, dass im ganzen Land sehr viel Werbung für „Cement“ gemacht wird; für das Baumaterial, das für die Herstellung von Beton nötig ist. Vielleicht kann man sogar von einem Bauboom sprechen?
Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf
Auch bei den Pallottinern ist dieser Trend festzustellen. An den allermeisten Orten, die ich besucht habe, geht es ums Bauen: Die Bereitstellung von Wohn- und Lebensraum ist das große Thema. Hier gibt es großen Bedarf. Ein paar Beispiele:
- Schulen und Hostels (Internate) müssen überall erweitert werden, da die Klassenräume und Schlafsäle nicht ausreichen, um alle Schülerinnen und Schüler, die anfragen, aufnehmen zu können. Die bestehenden Gebäude sind vor ca. 25 Jahren gebaut worden. Renovierungen sind jetzt dran, vor allem der Duschen und Toiletten.
- Damit Menschen aus den Klauen der entwürdigenden Armut heraus finden, brauchen sie ein stabiles Dach über dem Kopf. Den Hausbau zu unterstützen ist nach wie vor unbedingt notwendig.
- Vor allem für Menschen in ländlichen Gegenden ist der Ort der Kirche sehr wichtig. Der Kirchenraum ist für sie ein Ort der Heimat. Hier kommen sie zusammen und feiern gemeinsam ihre Hoffnung. Ein solcher Ort verbindet und stärkt sie. Verschiedene Anfragen für Kirchenbauten sind an mich herangetragen worden.
- Die bald 75-Jahre währende Geschichte der Pallottinischen Präsenz in Indien zeigt sich auch darin, dass die Mitbrüder älter werden und die Gemeinschaften auch Häuser brauchen, die altersgerecht gebaut und eingerichtet sind.
Um für Menschen dazu sein und sie in welcher Weise auch immer zu unterstützen, sei es in Schulen, sei es Pflegeeinrichtungen, sei es in Training-Centers, sei es in Women-Empowerment-Projekten – immer ist dafür ein Dach über dem Kopf als erstes notwendig. Hier die Mitbrüder in Indien weiterhin zu unterstützen – darin sehe ich auf die nähere Zukunft hin meinen Auftrag als Missionssekretär, denn wir stehen alle „unter einem Dach“.
Bericht & Bilder: Pater Reinhold Maise, Missionssekretär der Pallottiner
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