Wie weit gehe ich aus Liebe?

Eine spirituelle Deutung meiner Reise in den wilden Nordosten Indiens

Im äußersten Nordosten Indiens gibt es sieben Bundesstaaten. Sie sind nur durch einen schmalen Korridor zu erreichen, der zwischen Butan im Norden und Bangladesch im Süden verläuft. Der nördlichste Bundesstaat, Arunachal Pradesh, stößt an die Grenze zu China (Tibet).

Unterwegs in den Tälern des Himalaya-Gebirges

Es ist eine bergige Region, die schon zu den Vorläufern des Himalaya-Gebirges zählt. Es gibt viel Regen, viel Nebel und aufgrund der bergigen Lage kann es auch kalt werden. Befestige Straßen gibt es nicht. Die sind im Bau. Dagegen gibt es bloße Erde, bei Regen viel Schlamm, ansonsten Staub und viele Steine auf unbefestigten Trampelpfaden.

Wie weit gehe ich aus Liebe?

Die Vegetation ist subtropisch. In den Wäldern wachsen Bananen, Palmen, Baumfarne und viel, viel Bambus. Zahlreiche Wasserfälle stürzen immer wieder in die Tiefe. Hängebrücken überspannen die Täler. Es sieht sehr wildromantisch aus. Doch das ist es nicht.

Diese Region ist die Heimat von zahlreichen verschiedenen Tribes, Volksstämmen. Ureinwohner. Es wird geschätzt, dass im Nordosten Indiens ca. 3000 verschiedene solcher Tribes leben, in Arunachal sind es mehr als 104. Sie bauen sich ihre Häuser an den Hängen, auf Stelzen und aus Bambus. Strom gibt es für ein paar Stunden am Tag. Aber kein Internet oder Telefon. Für Informationen und Nachrichten – dafür braucht es Boten und Kuriere.

Abenteuerliche Fahrt zu den Mitbrüdern im Nordosten

Seit 2008 leben im Distrikt Upper Subansiri etwa elf Pallottiner an verschiedenen Orten. Zusammen mit Schwestern kümmern sie sich um die Pastoral in den Pfarreien. Sie gelten als wahre Missionare, denn sie waren es, die vielen Menschen in diesem Distrikt das erste Mal von Jesus erzählt haben. Im Laufe der Jahre haben die Pallottiner Schulen und Hostels, sog. Internate gebaut. Ohne sie hätten die Kinder aus den Bergen keine Chance auf irgendeine Form von Bildung.

„Sie waren es, die vielen Menschen das erste Mal von Jesus erzählt haben.“

Auf der letzten Etappe meiner zweiten Reise durch Indien hatte ich nun die Gelegenheit, diese Mitbrüder zu besuchen. Dort, gefühlt am Ende der Welt, verbrachte ich eine Woche.

Nachdem ich mit dem Flugzeug in der Hauptstadt Itanagar angekommen war, stiegen wir um ins Auto. Wir fuhren von einer Station zur nächsten, von einem Ort zum nächsten. Immer tiefer in dieses Gebiet hinein. Je weiter wir in das Innere vordrangen, um so schlechter wurden die Straßen, umso länger dauerten die Fahrten. Die längste dauerte 12 Stunden. 12 Stunden durch Matsch, an Schlaglöchern und Abhängen vorbei.

Anfangs konnte ich die wildromantische Landschaft und die Ausblicke genießen. Und auch das Abenteuer an sich. Doch das verging schnell. Die Fahrten wurden anstrengender und anstrengender. Vor allem körperlich. Ein ruhiges Zurücklehnen war nicht möglich. Irgendwann kamen mir die Fahrten endlos vor. Eine Stunde um die andere verging und es nahm kein Ende. Matsch, Geröll; die Gefahr, darin stecken zu bleiben, oder dass das Auto Schaden nimmt, war permanent zugegen… über Stunden, ohne scheinbares Ende.

„Wie weit gehe ich aus Liebe? Wozu bin ich bereit, aus Liebe?“

Eine spirituelle Deutung einer Reise in den Nordosten Indiens von unserem Missionssekretär Pater Reinhold Maise SAC

Trotzdem Ja sagen und bei den Menschen bleiben

All das ließ folgende Frage in mir wach werden: „Wie weit gehe ich aus Liebe? Wozu bin ich bereit, aus Liebe?“
Ich wusste, dass meine Erfahrung hier im Nordosten, unter diesen Umständen nach ein paar Tagen vorbei sein wird. Doch was ist mit den Mitbrüdern, die hier leben und arbeiten? Tagtäglich. Die regelmäßig diese schlechten Wege und stundenlangen Fahrten auf sich nehmen müssen? Die trotzdem Ja sagen und bei den Menschen bleiben und ihnen vom barmherzigen Gott, der bedingungslos liebt, erzählen.

Woher bekomme ich die Kraft für das Schwere?

„Wie weit gehe ich aus Liebe? Was bin ich bereit, aus Liebe auf mich zu nehmen?“ Diese Frage haben wir alle Tage zu beantworten, egal in welchen Zusammenhängen wir leben: „Wie weit gehe ich aus Liebe? Woher bekomme ich die Kraft für das, was auf mich wartet an Aufgabe, an Pflicht, an Herausforderung, für das Schwere, das mir begegnet, auf mich wartet? Für die Trauer, für die Angst, für die Verzweiflung, der ich nicht ausweichen kann, die auszuhalten ist?“

Das Kreuz verstehen als ein Gegenüber

Wie weit Jesus aus Liebe gegangen ist – das sehen wir. Im Kreuz. Er war bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Er war bereit, sein Leben zu geben, zu sterben. Aus Liebe.

Das möchte ich nun nicht als moralische Verpflichtung verstanden wissen: Leiden, weil der Herr gelitten hat. Und: Wir sind nur gute Christen, wenn wir es ihm gleichtun.

Vielmehr möchte ich das Kreuz verstehen als ein Gegenüber, das mich ruft und lockt in die Liebe hinein: „Wie weit kannst Du gehen aus Liebe?“ Diese Frage habe ich persönlich zu beantworten. Da gibt es keine pauschale Antwort, die für alle gilt und die letztlich nur werten und bewerten würde.

Das Kreuz mir gegenüber lässt mich in die Liebe hineinwachsen. Es zieht mich in die Liebe hinein: „Was kannst Du geben aus Liebe zum anderen, aus Sorge um ihn? Wie weit kannst Du gehen? Wo sind deine Grenzen?“ Das Kreuz mir gegenüber hilft mir, mich ins Leben hinein immer wieder neu auszustrecken und mir selbst darin auch immer näher zu kommen.

Das Kreuz, der Blick auf Jesus am Kreuz, sagt: Es geht nicht ums Leiden an sich, ums Aushalten von Schmerz, Qual, von Demütigung, von Last an sich. Es geht um die Frage: „Wie weit halte ich all das aus und gehe damit um – aus Liebe? Ich bleibe bei Dir, weil Du es bist. Weil Du mir wertvoll bist. Weil Du mir am Herzen liegst. Weil ich Dich Liebe.“

Der Ostermorgen ist dann schließlich die beglückende Bestätigung, dass das Kreuz nur ins Leben führen wird, nirgendwo anders hin. Dass sich jedes Aushalten und Bestehen und Schauen auf das Kreuz wirklich in Leben verwandeln wird – weil aus Liebe getan.

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