Das Priester- und Kirchenbild muss sich wandeln

Die Frage ist: Wer kann den priesterlichen Dienst gut tun?

Was mich geprägt hat…
Geboren 1967, bin ich in den 70er und 80er Jahren in eine Kirche hineingewachsen, die in Bayern sehr stark traditionell geprägt und gleichzeitig von vielen von 2. Vatikanum begeisterten Priesterpersönlichkeiten beeinflusst war. Ich erlebte eine lebendige Gemeinde, Familienwochenenden, Jugendverbandsarbeit und viele Menschen auf dem Weg in dieser Kirche. Im Laufe meines Lebens habe ich viele Menschen kennen gelernt, die mich und meinen Glauben beeinflusst haben, Klosterschwestern, eine Religionslehrerin, ich hatte geistliche Mütter und Väter und im Studium durch die Salesianer Don Boscos eine Weitung meines Glaubenslebens. Jetzt lebe ich in einer pallottinischen Pfarrei, habe lange Jahre im kirchlichen Dienst gearbeitet und bin nun als Supervisorin und unter anderem als Lehrbeauftragte in der Ausbildung von Priestern und SeelsorgerInnen tätig.

Ich erlebe heute Menschen auf der Suche nach Sinn und Identität, nach Tiefe und Heilung, aber ich sehe sie nicht innerhalb traditioneller Kirchenstrukturen. Die Erwartung an einen „Seelsorger“ sind nicht mehr an einen Priester geknüpft, andere Lehrer, Berater oder Begleiter und Begleiterinnen lösen den Seelsorger ab. Selbst „Liturgie“ wird anderweitig gestaltet und geleitet – wie ich es in Beerdigungen, bei Hochzeiten oder Namensfesten sehe.

Wir könnten eine bunte Kirche sein …
Gerade habe ich eine Kurswoche mit 12 angehenden oder schon geweihten Priestern geleitet. Zwischen 28 und 45 Jahre sind sie alt, in dieser Ausbildung zur 2. Dienstprüfung, sie kommen aus sechs verschiedenen Ländern und drei Kontinenten. Eine buntes Truppe, mit ganz unterschiedlichen Prägungen, Kulturen und Vorstellungen von Priester-Sein im Kopf.
Es könnte das Bild einer weltumspannenden Kirche sein, globaler Vernetzung und bunter Vielfalt, ja sogar ein Modell wie Frieden gestaltet und Begegnung ermöglicht wird. Wir haben es innerhalb der Kirche geschafft, uns weltumspannend wieder zu finden in den Ritualen, die wir feiern. Gleichzeitig trauen wir ausländischen Priestern nicht zu, wirklich gute Seelsorge zu machen, schon allein die Sprache halten wir für einen Hinderungsgrund.

Mangel als Leitidee
In der Diskussion mit Haupt- und Ehrenamtlichen und den Priestern selbst leitet das Gefühl des Mangels. Der Priestermangel scheint die leitende Idee für alle Strukturreformen, Entscheidungen und Ausrichtungen zu sein. Und er steckt an: Wir haben einen Mangel an Kirchenmitgliedern, einen Mangel an Gemeinde- und PastoralreferentInnen und einen Mangel an lebendigen Ideen für die Zukunft.
Aus Mangel laden wir ausländische Priester ein, bilden WortgottesdienstleiterInnen aus, überlegen, ob verheiratete Männer geweiht werden könnten und denken an Frauen in Führungspositionen.
Dabei haftet all diesen Mangelideen an, dass sie immer als 2. Wahl, als nicht vollwertig erlebt werden.

Mangel produziert Depression und Gier
Dieses Gefühl hat einerseits etwas Depressives, andererseits produziert es eine Art Gier. Die Depression breitet sich innerkirchlich aus als ein Gefühl des „Immer weniger und kleiner Werdens“, des Bedeutungsverlustes und eines Rechtfertigungsdrucks: „Wie kannst Du noch katholisch sein?“
Wir spüren Zweifel auch in uns selbst: Lohnt es sich noch, sich in den Strukturen der Kirche zu engagieren? Halten wir damit nicht ein überholtes System aufrecht? Trauen wir uns und anderen Aufbruch überhaupt noch zu?
Mit Gier meine ich eine Art fast unmenschlichen Anspruchs an den Seelsorger, der in immer größeren Seelsorgeeinheiten trotzdem für alle da und nah sein soll, der milieuorientiert und mit spiritueller Tiefe arbeiten soll, er soll leiten, managen und zu Herzen gehende und gleichzeitig theologisch fundierte Ansprachen halten, und, und …. und dabei gleichzeitig als Mann sexuell enthaltsam leben, obwohl man ihm eigentlich nicht wirklich zutraut, dass das geht.
Ich benutze sehr bewusst das Wort Gier: Ich erlebe als Supervisorin, wie sich Priester von diesem Anspruch verschlungen fühlen, und ich höre manchmal übermenschliche Forderungen an Person und Rolle des Priesters.

Überhöhung und Abwertung verhindern Visionen
Es ist heute viel Gegensätzliches im Priesterbild: Einerseits ist es überhöht und gleichzeitig wird es abgewertet. Über den Wandel des Priesterbildes zu schreiben, bedeutet für mich in dieses Spannungfeld hineinzugehen, das dazu noch innerkirchlich geprägt ist von einer Kultur des eingeschränkten Visionierens – immer wieder enden Diskussionen damit, dass wahlweise der Verweis auf die Tradition, das Kirchenrecht oder die Bibel, gerne auch mal auf den heiligen Geist selbst ein absolutes Ende setzen. Wir sind insgesamt mehr damit beschäftigt, den Status quo zu begründen, als die Zukunft zu entdecken.

Dabei bin ich zutiefst davon überzeugt, dass sich das Priesterbild ebenso wie das Kirchenbild wandeln müssen. Was ich mir dabei wünsche?

Wir sollten wegkommen von einem „exklusiven Priesterbild“: Denken wir ernsthaft darüber nach, wer Priester sein kann. Nicht aus Mangel, sondern mit Blick auf Kompetenzen und Berufung. Wir sollten das Zölibat als Qualität für den Priester diskutieren und nicht als Voraussetzung. Und gleichzeitig darüber reden, welche Qualität nicht-zölibatäre Lebensformen für den Priester haben.
Dazu gehört die Frage der Berufung aller Gläubigen, auch der von Frauen. Und zwar nicht aus einer Mangelsituation heraus wie aktuell die Diskussion um die Zulassung sogenannter „viri probati“ zur Priesterweihe, sondern mit der Frage, wer den priesterlichen Dienst in dieser Welt gut tun kann, wer geeignet ist für diese Aufgaben und Charisma und Berufung dazu mitbringt.

Wir sollten hinkommen zu einem tieferen Verständnis von Communio, im Sinne einer Kirche, die Aufgaben gemeinsam wahrnimmt und sich den Herausforderungen der Welt stellt. Viele Priester haben ein Selbstverständnis als „Stellvertreter Christi“ – und ziehen damit genau jene Ansprüche der Gläubigen auf sich, die „übermenschlich“ sind. Damit produzieren wir Spaltungen in Priester und Gemeinde, Haupt- und Ehrenamtliche, die Kirche und die Gläubigen…. Was wir aber brauchen, ist das Bewusstsein, dass wir als Gemeinschaft unterwegs sind, mit gemeinsamer Verantwortung für und Teilhabe am Reich Gottes. Mit priesterlichen, prophetischen und königlichen Würden UND Aufgaben für alle. Seelsorge, Liturgie, Verkündigung, Diakonie, Leitung, all das ist Aufgabe aller. Damit dieses Bewusstsein aber deutlich wird, müssen wir wegkommen vom Priester als Dienstleister und den Gläubigen als Konsumenten. Das ist eine Herausforderung für alle!

Was ich mir wünsche…
Wenn wir Priester aus anderen Ländern zu uns holen, dann sollten wir nicht nur diese auf uns vorbereiten, sondern auch unsere Gemeinden entwickeln zu einem Verständnis von Weltkirche. Wir sollten als Christinnen und Christen uns viel mehr begegnen in diesen weltkirchlichen Kontexten.
Wenn wir darüber nachdenken, wie wir Strukturreformen umsetzen, sollten wir neu denken, welche Aufgaben und welche Ämter es dann braucht. Wir sollten das Priesteramt als Leitungsamt hinterfragen.
Wenn wir darüber nachdenken, wie wir mehr Menschen in ihrer priesterlichen Berufung fördern, sollten wir sehen, dass in jeden Menschen Gottes Ebenbildlichkeit gelegt ist und Berufung nicht vom Geschlecht abhängt.

… und 2118?
In 100 Jahren wird sich extrem viel verändert haben auf dieser Welt. Wenn ich denke, was vor 100 Jahren war, was sich in den 51 Jahren meines Lebens verändert hat – auch kirchlich – dann können wir nicht stehen bleiben. Kirche wird anders sein, „Priester sein“ wird anders sein in 100 Jahren. Und ich hoffe, dass das Priestertum nah am Menschen, verwurzelt im Glauben und ausgerichtet auf das Leben ist, getragen von vielen Männern und Frauen in unterschiedlicher Prägung.

Die Autorin: Frau Andrea Schmid lebt und arbeitet als Supervisorin und Organisationsentwicklerin im bayerischen Friedberg

Priesterweihe Vinzenz Pallottis

Themenreihe: „Von 1818 bis 2118 - Priesterbild im Wandel?“

Am 16.05.2018 jährt sich die Priesterweihe des heiligen Vinzenz Pallotti. Vinzenz Pallotti lebte in einer Zeit massiver gesellschaftlicher Veränderungen und Herausforderungen und war leidenschaftlich Priester.
Zu Vinzenz Pallottis 200. Priesterjubiläum haben wir nachgefragt: Wie hat sich das Priesterbild seit 1818 gewandelt? Wie vielfältig stellt es sich heute dar? Gibt es unterschiedliche Blickwinkel? Wie geht es den Priestern, wie den Laien? Welche Perspektiven zeigen sich am Horizont? Wie wird sich das Priestertum in den kommenden einhundert Jahren möglicherweise verändern?

Vielen Dank an alle, die ihre Gedanken mit uns teilen!

Bicentenario dell'Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti

1818 - 2018: Bicentenario dell'Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti

Neben unserer Themenreihe gibt es in verschiedenen Teilen der Welt ganz unterschiedliche Initiativen zum „Bicentenario dell’Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti“. Unser Generalat in Rom hat hierfür eine eigene Webseite gestaltet: https://sac.info/bicentenario/

Wer sich zu diesem Thema zu Wort melden möchte, kann das – wie immer – in unserem facebook Auftritt tun. Herzliche Einladung!

Alle Beiträge aus dieser Serie

Ein Beitrag zur Themenreihe: "1818-2118 - Priesterbild im Wandel?" von Frau Annamaria Stahl
Ein Beitrag zur Themenreihe: „1818-2118 – Priesterbild im Wandel?“ von fr. Marcus Grabisch
Ein Beitrag zur Themenreihe: "1818-2118 - Priesterbild im Wandel?" von Prof. Paul M. Zulehner
Ein Beitrag zur Themenreihe: „1818-2118 – Priesterbild im Wandel?“ von Pater Ignacio Chiphiko
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Hans-Joachim Winkens
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Prof. Paul Rheinbay
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Siegfried Modenbach

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