Christus gegenwärtig sein lassen
Pallottis Priesterbild zwischen Traditionalität und Offenheit
200 Jahre Priesterweihe Vinzenz Pallottis: Hier tut sich ein bemerkenswerter Spannungsbogen auf, dem nachgegangen werden soll: zwischen römisch geprägter, enger Traditionalität und einer persönlichen Weite und Offenheit des Gründers einer Vereinigung, die alle willkommen heißt.
Kleriker – ein exklusiver Zirkel?
Tradition: Das Bild des Klerikers war durch die Geschichte geprägt. Papst, Kardinäle, Bischöfe und Priester bildeten eine auch durch die (nicht nur) in der Liturgie benutzte lateinische Sprache einen gegenüber anderen Menschen abgegrenzten Zirkel. Sie repräsentierten die offizielle Kirche und lebten von ihren Ressourcen. Sie verstanden sich vor allem als Spender der Sakramente, die durch die Weihe in ihre Verfügungsgewalt gegeben waren. Anders als etwa im Frankreich nach der Revolution, lebte im Zentrum der katholischen Kirche das Bild der in sich gefestigten, wehrhaften Kirche wieder auf („Restauration“), auch wenn es – vor allem in der Umgebung – nicht an Stimmen fehlte, welche die Priester als Seelsorger auf die pastoralen Nöte aufmerksam machten.
Nicht, dass Pallotti hier vollkommen aus der Rolle gefallen wäre: seine kindliche Anhänglichkeit an den Papst (ital.: „Papa“), sein (aus heutiger Sicht) idealisiertes Bild von priesterlicher Würde und dem damit verbundenen Anspruch an sich selbst, die Konzentration der seelsorgerlichen Tätigkeit auf die Sakramente: Pallotti war ein Römer der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und kam, leiblich, ja auch ganz selten darüber hinaus.
Im Priester ist Gott gegenwärtig
Damit ist aber noch nichts gesagt über sein Motiv, was ihn seit Kindestagen an erfüllte und bewegte: seine herzliche, ganz emotionale Liebe zu Gott und Jesus Christus. Sie ließ ihn auf engem Territorium innerlich weit, universal werden. Der Weg dahin führte über das, was ihm als Priester anvertraut war und womit er in täglicher Praxis Erfahrungen machte: die bereits angesprochenen Sakramente, besonders die Feier der Eucharistie. Wieso gerade hier und nicht etwa im unmittelbaren Kontakt mit den Menschen, der ihm ja bekanntlich auch sehr am Herzen lag? Weil Pallotti in der Feier der Messe etwas in potenzierter Form verwirklicht sah, was sich bei ihm dann auch auf andere Lebensbereiche übertrug. Er erkannte (und das ist nicht nur intellektuell gemeint!) im die Messe feiernden Priester den gegenwärtigen Christus, sozusagen den jetzt und hier DA seienden, unendlichen Gott. Christus selbst spricht, wenn das Evangelium verkündet wird; Christus selbst spricht die Wandlungsworte über Brot und Wein, er selbst geht in der Kommunion eine unaussprechliche Einheit mit den Menschen ein. Freilich – dies ist Glaube und Gnade: Diese Wirklichkeit „ging Pallotti auf“, sie erfüllte sein Denken, Sinnen und Trachten.
Gott nicht im Weg stehen
Dies lässt sich an zwei Themen ablesen, die sich wie ein roter Faden durch sein ganzes spirituelles Schrifttum ziehen: die (für heutiges Bewusstsein) übertrieben wirkende Demut sowie das Motiv des den Menschen „nährenden“ Gottes. Wenn Christus selbst in ihm wirken sollte, so seine Überzeugung, dann musste er, Vinzenz, für ihn Platz machen, zur Seite rücken, um dieses göttliche Tun nicht durch eigenes, ego-zentriertes Wollen zu be- oder gar verhindern. Denn Christus will in einer niemand ausschließenden Liebe allen zur Nahrung werden (in weitem Sinne verstanden!), will den Menschen in sein göttliches Wesen heimführen, „einverleiben“.
Zu den Mitmenschen hingehen
Diese Faszination von der Präsenz Gottes mitten unter den Menschen, mitten im täglichen Geschehen hatte dann auch Konsequenzen für die Art und Weise, wie Pallotti seinen priesterlichen Auftrag verstand. Er verwirklichte schon zu seiner Zeit, was wir heute die „Geh-Struktur“ der Kirche nennen. Er wartete nicht nur, dass Menschen zu ihm kamen; er suchte sie auf, und das besonders an Orten, wo seine Mitbrüder lieber einen Bogen drum herum machten: Gefängnisse, Militärhospital. Und in dem Maße, wie er Gottes Liebe in sich als grenzenlos erfuhr, stellte er sich allen zur Verfügung in einem für seine Zeit hervor ragenden Bewusstsein von der unveräußerlichen Würde eines jeden Menschen. Schließlich hatte Gott nach biblischem Zeugnis nicht nur die Christen, sondern alle Menschen als sein Ebenbild erschaffen – und dies dynamisch, nicht statisch verstanden.
Kirche auf Augenhöhe leben
Damit lebte Pallotti zwar in Rom, in den oft verengten Vorstellungen seiner durch die besondere Situation dieser Stadt geprägten Kirche und lebte doch jenseits davon, jenseits der Mauer von Klerus und Nicht-Klerus. Sein stetiges Bemühen um das Gott-nicht-im-Wege-stehen sowie seine Liebe zur unendlichen Liebe, die auch andere an ihm wahr nahmen, befähigten ihn dazu, eine Kirche auf Augenhöhe, eine charismen-orientierte Gemeinschaft zu leben und wenigstens ideell und anfanghaft auch in Realität aufzubauen. So war er wirklich Seelsorger, guter Hirte für Papst, Kardinäle, für Händler und Bauern, Frauen und Männer, Arme und Reiche, mit einer besonderen Gabe des Bettelns (heute würden wir sagen: des kirchlichen Fundraising).
Gegenwart Gottes spüren
Ausgehend vom Sakrament der Eucharistie war ihm eine besondere Gabe geschenkt, die Grenzen überwindende Gottes-Gegenwart zu sehen, sie zu erspüren. So konnten durch ihn große und kleine Wunder der Versöhnung und Heilung geschehen, fanden Menschen zu sich selbst und zu Gott zurück, blieb etwas von seinem Menschen- und Gottesbild aufbewahrt innerhalb (und außerhalb) der von ihm ins Leben gerufenen Vereinigung. Diese aber sollte, gerade in Erinnerung an den Priester Pallotti, nicht vergessen, wer der eigentliche „Akteur“ in diesem Drama ist: der sakramental (das heißt: im Geheimnis) wirksame Jesus Christus.
Der Autor: Pater Prof. Dr. Paul Rheinbay SAC stammt aus Boppard und lebt und arbeitet heute an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar
Themenreihe: „Von 1818 bis 2118 - Priesterbild im Wandel?“
Am 16.05.2018 jährt sich die Priesterweihe des heiligen Vinzenz Pallotti. Vinzenz Pallotti lebte in einer Zeit massiver gesellschaftlicher Veränderungen und Herausforderungen und war leidenschaftlich Priester.
Zu Vinzenz Pallottis 200. Priesterjubiläum haben wir nachgefragt: Wie hat sich das Priesterbild seit 1818 gewandelt? Wie vielfältig stellt es sich heute dar? Gibt es unterschiedliche Blickwinkel? Wie geht es den Priestern, wie den Laien? Welche Perspektiven zeigen sich am Horizont? Wie wird sich das Priestertum in den kommenden einhundert Jahren möglicherweise verändern?
Vielen Dank an alle, die ihre Gedanken mit uns teilen!
1818 - 2018: Bicentenario dell'Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti
Neben unserer Themenreihe gibt es in verschiedenen Teilen der Welt ganz unterschiedliche Initiativen zum „Bicentenario dell’Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti“. Unser Generalat in Rom hat hierfür eine eigene Webseite gestaltet: https://sac.info/bicentenario/
Wer sich zu diesem Thema zu Wort melden möchte, kann das – wie immer – in unserem facebook Auftritt tun. Herzliche Einladung!
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