Berufen zum Dienst an den Menschen

Zum Selbstverständnis des Priesters in der Gemeinschaft der Pallottiner

Für einen Christen, der in einer apostolischen Gemeinschaft oder einer Ordensgemeinschaft lebt, entfaltet sich das Christsein in einer Gemeinschaft von Menschen, die erstens durch ein besonderes Charisma, also eine besondere Gabe des Heiligen Geistes und zweitens durch einen besonderen Auftrag in Kirche und Welt von heute geprägt ist. Innerhalb dieses Charismas und des Auftrags, der durch die Gemeinschaft erteilt wird (Sendung), gibt es verschiedene Dienste und Aufgaben, für die die Priesterweihe wichtig oder notwendig sein kann.

Die dreifache Dimension des Ordenslebens
Im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Vita consecrata“ von Papst Johannes Paul II. wird die dreifache Dimension des Ordenslebens mit „Confessio Trinitatis“ (Bekenntnis des dreifaltigen Gottes), „Signum fraternitatis“ (Zeichen der Geschwisterlichkeit) und „Servitium Caritatis“ (Dienst der Liebe) gekennzeichnet. In jeder Ordensgemeinschaft, zu denen die Gemeinschaften des apostolischen Lebens dazugehören, wird dieser Dreiklang entsprechend dem jeweiligen Charisma durchbuchstabiert. Das Priestersein in einer Ordensgemeinschaft oder einer apostolischen Gemeinschaft erhält von diesen drei Dimensionen her seine spezielle Prägung. Es geht einerseits um gemeinschaftliches, spirituelles Leben; es geht aber auch um Geschwisterlichkeit und Gütergemeinschaft, es geht um den gemeinsamen Einsatz im Dienst an den Menschen.

Apostolatsfelder, so bunt wie die Pallottiner selbst
Als ich 1990 bei den Pallottinern ins Postulat und dann später ins Noviziat eintrat, waren meine Vorstellungen vom Leben in einer apostolischen Gemeinschaft ziemlich vage. Was mich aber von Anfang an fasziniert hat, war, dass es in dieser Gemeinschaft ganz unterschiedliche Männer mit verschiedenen Charismen und Begabungen gab. Ich habe die Pallottiner als bunte, facettenreiche und lebendige Gemeinschaft erlebt, in der vieles möglich und gefragt war. Und bis heute sind die Apostolatsfelder der Pallottiner so unterschiedlich und bunt wie die Gemeinschaft selber. Wir alle aber wissen uns dem verpflichtet, was Vinzenz Pallotti so ausdrückt: „Jeder Christ empfindet (…) Freude beim Gedanken, unseren Herrn Jesus Christus nachahmen zu dürfen. Doch wenige gibt es, die sich beharrlich und wirklich anstrengen, ihn nachzuahmen (…) Zu diesen wenigen sollen alle zählen, die dem Katholischen Apostolat angehören.“

Es ist uns allen durchaus bewusst, dass wir unterschiedliche Charismen und Begabungen haben, aber wir leben und arbeiten gemeinsam im Sinne des Katholischen Apostolates, um bei den Menschen den Glauben zu vertiefen und ihre Liebe zu Gott und dem Nächsten neu zu entzünden. So hat jede Ordensgemeinschaft, jede apostolische Gemeinschaft ihr ganz spezifisches Charisma, das sie in eine bestimmte Zeit und in die konkrete Situation hinein übersetzen und konkretisieren muss. Innerhalb der Kirche bringt sich ein Orden oder eine apostolische Gemeinschaft in ganz unterschiedliche pastorale Felder ein. Und bei uns Pallottinern gibt es eigentlich nichts, was es nicht gibt! Ich kann in der ganz „normalen“ Pfarrseelsorge eines Pastoralverbundes oder einer Gemeinde tätig sein, ich kann in die Bildungsarbeit mit Jugendlichen oder Erwachsenen einsteigen oder als Lehrer tätig sein, aber auch in den speziellen Feldern der Seelsorge wirken, wie etwa in der Flughafenseelsorge, in der Krankenhaus- oder Altenseelsorge, als Militärseelsorger oder Exerzitienbegleiter.

Umgeben von Mitbrüdern
Dabei ist es unser pallottinisches Ideal, nicht als Einzelkämpfer leben und arbeiten zu müssen, sondern eben in Gemeinschaft – das heißt Einzelstationen sollten eher die Ausnahme bleiben. Das war von Anfang an so und ist bis heute auch für mich ein wichtiger Punkt. Denn da sind die Mitbrüder, denen ich jederzeit begegnen und mit denen ich sprechen kann, wenn ich abends vielleicht total frustriert aus einer Sitzung des Verwaltungsrates zurückkomme. In vielen unterschiedlichen Feldern der Seelsorge habe ich Mitbrüder um mich herum, die ich ansprechen und um Rat fragen kann. Und nicht nur das: da kommen ja auch ganz persönliche Fragen und Alltagsprobleme, Schwierigkeiten und Defizite zur Sprache. Da haben auch Gefühle und Sorgen, Bedürfnisse und Grenzen, Freude und Ärger ihren Platz. Ich persönlich konnte mir das nie vorstellen: zum Priester geweiht zu sein und von diesem Tag an Verantwortung für eine Gemeinde oder eine bestimmte Aufgabe zu haben, aber dann abends oder in der Freizeit erstmal niemanden „greifbar“ zu haben, mit dem man sprechen, sich austauschen und sich begegnen kann.

Ungefähr alle sechs Wochen treffe ich mich mit einigen Priestern, mit denen ich vor 35 Jahren zusammen studiert habe und die als Weltpriester in einer deutschen Diözese tätig sind. Wie oft haben sie bei unseren Treffen so oder so ähnlich erzählt: „Als Weltpriester bin ich in meiner Gemeinde völlig auf mich allein gestellt. Da ist keiner, der mir ganz ehrlich seine Meinung sagt oder mich auch mal als Mensch mit Stärken und Schwächen, mit Gefühlen wie Freude oder Ärger wahrnimmt. Der Bischof meldet sich eigentlich nur, wenn es irgendwo Schwierigkeiten oder Beschwerden über mich gibt. Sonst ist kaum jemand da, der mich fragt: Wie geht es dir eigentlich?“ – Ja, das ist leider die traurige Realität vieler Priester heute. Meine Hoffnung dagegen ist, dass der Priester der Zukunft verschiedene Möglichkeiten haben wird, sein Leben zu gestalten und dass er – wenn er das möchte – in (religiöser) Gemeinschaft lebt. Das muss nicht immer eine apostolische Gemeinschaft wie die Pallottiner oder eine Ordensgemeinschaft sein. Das könnte auch eine Familie sein, mit der er zusammenlebt, das könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Gemeinde sein, die sich ganz bewusst in einer christlichen Wohn- und Lebensgemeinschaft zusammen finden. Das könnten aber auch Priester sein, die in einer Wohngemeinschaft leben und verschiedene Arbeitsbereiche haben. Es gibt doch wirklich ganz unterschiedliche Denk- und Lebensmodelle, auch und gerade für den Weltpriester! Schade, dass viele Bischöfe hier leider immer noch so unflexibel sind und manchmal am Ende den Priestern, die den Wunsch haben, mit anderen eine Wohn- und Lebensgemeinschaft zu gründen, auch noch etwas unterstellen, nur weil die eigene Fantasie mit ihnen durchgeht …

Das Leben in Gemeinschaft als Ideal
Ganz abgesehen von der gemeinsamen Eucharistiefeier und dem gemeinsamen Gebet, das unser gemeinschaftliches Leben vor allem prägen und kennzeichnen sollte: das Leben in Gemeinschaft als Ideal, das sich viele im Zusammenhang mit ihrer priesterlichen Berufung wünschen, zeichnet viele Ordensgemeinschaften und apostolischen Gemeinschaften aus. Das ist ein großes Pfund, mit dem sie heute wuchern können. Vinzenz Pallotti sagt dazu, und das gilt für alle die in einer religiösen Gemeinschaft leben – ob Priester oder nicht: „Das Gute, das vereinzelt getan wird, ist für gewöhnlich spärlich, unsicher und von kurzer Dauer, und selbst die hochherzigsten Bemühungen einzelner führen zu nichts Großem, (…) wenn sie nicht vereint und auf ein gemeinsames Ziel hingeordnet sind.“ Um dieses gemeinsame Ziel geht es uns als apostolische Gemeinschaft und das gilt auch für einen Großteil anderer Gemeinschaften und Orden. Dafür bin ich selbst Pallottiner geworden.

In meinen Augen ist es sehr einfach zu sagen: Die Verpflichtung zum Zölibat ist nicht mehr zeitgemäß – sie sollte aufgehoben werden! Ich bin da ganz anderer Meinung: Sicher ist es so, dass zölibatär und allein lebende Priester heute immer in der Gefahr sind, zu vereinsamen oder sich zu überfordern. Aber zölibatäres Leben kann auch sinnvoll gestaltet werden. Eine gute Alternative zum Alleinleben bzw. eine den Zölibat ergänzende Lebensform kann das Leben in einer Ordensgemeinschaft oder in einer anderen christlichen Lebensgemeinschaft sein, in der sich der Priester aufgehoben und beheimatet, ganzheitlich angenommen und geschwisterlich umsorgt weiß. Hier macht dann das zölibatäre Leben auch wirklich Sinn.

Und ein letzter Gedanke: Warum sollte es aber neben dem zölibatären Priester nicht auch den verheirateten Weltpriester geben können? Was die Zukunft unserer Gemeinden betrifft: Wenn es bei uns in Deutschland zur Zeit vor allem darum geht, das Leben unserer Gemeinden (in überschaubaren Größen!) zu schützen, zu pflegen, zu fördern und die Feier der Eucharistie als deren Mittelpunkt zu erhalten – wieso sollte es dann nicht auch möglich sein, engagierten und geeigneten verheirateten Männern (und Frauen!) die Priesterweihe zu erteilen?

Der Autor: Pater Siegfried Modenbach SAC stammt aus Hünfeld. Er lebt heute in Dortmund und ist für das Katholische Forum tätig.

Priesterweihe Vinzenz Pallottis

Themenreihe: „Von 1818 bis 2118 - Priesterbild im Wandel?“

Am 16.05.2018 jährt sich die Priesterweihe des heiligen Vinzenz Pallotti. Vinzenz Pallotti lebte in einer Zeit massiver gesellschaftlicher Veränderungen und Herausforderungen und war leidenschaftlich Priester.
Zu Vinzenz Pallottis 200. Priesterjubiläum haben wir nachgefragt: Wie hat sich das Priesterbild seit 1818 gewandelt? Wie vielfältig stellt es sich heute dar? Gibt es unterschiedliche Blickwinkel? Wie geht es den Priestern, wie den Laien? Welche Perspektiven zeigen sich am Horizont? Wie wird sich das Priestertum in den kommenden einhundert Jahren möglicherweise verändern?

Vielen Dank an alle, die ihre Gedanken mit uns teilen!

Bicentenario dell'Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti

1818 - 2018: Bicentenario dell'Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti

Neben unserer Themenreihe gibt es in verschiedenen Teilen der Welt ganz unterschiedliche Initiativen zum „Bicentenario dell’Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti“. Unser Generalat in Rom hat hierfür eine eigene Webseite gestaltet: https://sac.info/bicentenario/

Wer sich zu diesem Thema zu Wort melden möchte, kann das – wie immer – in unserem facebook Auftritt tun. Herzliche Einladung!

Alle Beiträge aus dieser Serie

Ein Beitrag zur Themenreihe: "1818-2118 - Priesterbild im Wandel?" von Frau Annamaria Stahl
Ein Beitrag zur Themenreihe: „1818-2118 – Priesterbild im Wandel?“ von fr. Marcus Grabisch
Ein Beitrag zur Themenreihe: "1818-2118 - Priesterbild im Wandel?" von Prof. Paul M. Zulehner
Ein Beitrag zur Themenreihe: „1818-2118 – Priesterbild im Wandel?“ von Pater Ignacio Chiphiko
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Hans-Joachim Winkens
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Frau Andrea Schmid
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Prof. Paul Rheinbay

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