Christin sein auf Augenhöhe

Ein Wandel unserer Priester- und Kirchenbilder ist nötig

Wenn meine Eltern und Verwandten von ihrer Kindheit erzählen, finde ich es beeindruckend, wie stark sich das Priesterbild gewandelt hat. In Erzählungen von der Zeit vor fünfzig Jahren werden Priester oft als Personen mit nahezu grenzenloser Autorität beschrieben, vor denen die Gemeindemitglieder nicht nur Respekt, sondern sogar Angst hatten, und deren Wort Gesetz war. Parallel zu diesem sehr autoritären Priesterbild herrschte ein Glaubensverständnis, das größtenteils auf Furcht vor Gott und seinen Strafen beruhte, so erscheint es mir. Bewegungen gegen die strikten gesellschaftlichen Hierarchien wie die 68er-Revolution und innerkirchliche Reformbemühungen wie das Zweite Vatikanische Konzil haben das Priesterbild verändert. Ich bin aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass Priester Menschen wie alle anderen sind, mit einer besonderen Berufung, aber auch mit Stärken und Schwächen wie alle Menschen sie haben. Aufgaben, die früher alleine der Priester übernommen hat, werden heute auch von GemeindereferentInnen oder Gemeindegremien wie dem Verwaltungsrat übernommen, was zu einer Demokratisierung der Gemeinde und mehr Mitspracherecht führt, wenn es denn auf Augenhöhe umgesetzt wird.

Jesus war ein Revolutionär
Als ich nach dem Abitur im Rahmen des internationalen Lerndienstes mit den Pallottinerinnen als Missionarin auf Zeit ein Jahr lang in Brasilien verbrachte und später ein Jahr in Mosambik studierte, war ich etwas verwundert, dort immer wieder auf ein Priesterbild zu treffen, das ich sonst nur aus Erzählungen kannte: Priestern wurde selten widersprochen, sie standen auf einer Art Sockel weit über den restlichen Gemeindemitgliedern. Mit der Ausbreitung der Kirche und ihrer Hierarchien wurden vorher bestehende, manchmal egalitärere, Strukturen verdrängt. Heute, so scheint es mir, wird die konservative Haltung der Kirche oft genutzt, um bestehende Machtstrukturen zu rechtfertigen. Für mich ist Jesus ein Revolutionär, der sich gegen Ungerechtigkeiten seiner Zeit auflehnte; deshalb finde ich es traurig, dass die Kirche inzwischen von manchen Menschen als Argument gegen Fortschritt und eine gerechtere Gesellschaft gesehen wird.

Keine priesterzentrierte Kirche
Ein konservatives Priesterbild verträgt sich schwer mit meinem Glauben. Jesus hat sich nicht über andere Menschen gestellt, weshalb sollten also geweihte Priester über den anderen Gemeindemitgliedern stehen? Dies gefällt mir auch an der UNIO: Vinzenz Pallotti gründete seine Unione Apostolatus Catholici als Gemeinschaft sowohl für Ordensleute als auch für Laien, um zu verdeutlichen, dass jeder Mensch seinen Platz in der Kirche hat, in dieser Verantwortung übernehmen und sie mitgestalten soll. Tatsächlich sind Menschen, die mich in meinem Glauben am stärksten geprägt haben, keine geweihten Priester, sondern Menschen, mit denen ich mich gut über den Glauben austauschen kann und die mir im Glauben ein Vorbild sind. Dieser Austausch fehlt mir manchmal in den traditionellen Strukturen der Kirche. In der normalen Liturgie ist wenig Platz für Austausch. Der Priester steht vorne und leitet die Messe, Austausch mit den Messbesuchern findet so gut wie nicht statt. Oft spüre ich aber das Bedürfnis, in so einen Austausch zu treten. Ich finde informelle Gespräche mit Priestern, in denen ich meine Fragen, Gedanken und Kritik anbringen kann, und wo ein wahrer Austausch stattfindet, hilfreicher. Dann habe ich das Gefühl, dass ich tatsächlich etwas lernen kann. Gerade in Deutschland und angesichts des Priestermangels werden im Moment die Laien in der Kirche wieder gestärkt – doch die Strukturen der Kirche scheinen mir immer noch sehr hierarchisch und auf die Priester zugeschnitten zu sein. Wenn in vielen Gemeinden Priester weiterhin über den Großteil des Gemeindelebens bestimmen, erachte ich es als schwierig zu erwarten, dass die Laien aktiver in der Kirche werden. Das ist sehr schade und verhindert, dass vorhandenes Potenzial genutzt wird.

Das Priesterbild verletzt
Was mein Priesterbild aber am meisten prägt, ist der Fakt, dass die Priesterweihe nur Männern zugänglich ist. Das Bild des Priesters ist für mich mit Ungerechtigkeit und Diskriminierung behaftet, weil Frauen der Zugang zum Priesteramt bis heute verweigert wird. Mir ist bewusst, dass die Benachteiligung von Frauen ein gesellschaftliches Phänomen ist, doch in den letzten Jahrzehnten hat sich in der Gesellschaft viel bewegt – was ich in der Kirche jedoch nicht unbedingt sehe. Die offene Zurückstellung von Frauen in der katholischen Kirche verletzt mich und macht mich wütend, und ich weiß nicht, wie ich mich als Frau als Teil der Institution der katholischen Kirche identifizieren kann. Diese Ausgrenzung von Frauen aus dem Priesteramt trägt dazu bei, dass die Institution Kirche und ihr Priesteramt von meiner Lebenswirklichkeit entfernt ist. Mir ist es unverständlich, wie eine promovierte Theologin in der Hierarchie der Kirche jedem Diakon untersteht, da sie als Frau nicht geweiht werden kann. Hinweise auf die Bedeutung von Frauen als Laien finde ich wenig tröstlich, sondern halte sie viel mehr für eine Beschwichtigung. Ich bin keine Theologin; aber BibelwissenschaftlerInnen bringen Argumente für und gegen das Priesteramt für Frauen hervor, je nach Interpretation. Die Kirche als Institution ist von jeher von Menschen geprägt; Menschen haben sich entschlossen, Frauen vom Priester- und Diakonamt auszuschließen, obwohl Frauen in der Urkirche zumindest auch Diakonin und Gemeindeleiterin waren. Der Ausschluss von Frauen vom Priesteramt verärgert mich besonders dann, wenn ich sehe, wie sehr sich Frauen ehrenamtlich in ihren Gemeinden engagieren.
Ich kann die historische Entscheidung, Frauen vom Priesteramt auszuschließen, im Kontext einer patriarchalischen Gesellschaft verstehen. Doch heute ist dies für mich nicht mehr nachvollziehbar und prägt mein persönliches Priesterbild negativ.

Wandel tut gut
Das Priesterbild der Kirche hat sich in den letzten Jahren zum Positiven gewandelt. Die Anerkennung von Laienpriestertum, wie Pallotti es bereits forderte, die Berufung von Laien sowie Bemühungen um Dialog und Austausch zwischen allen Gläubigen auf Augenhöhe, ist ein wichtiger Schritt. Aber um meinem persönlichen Glaubensverständnis zu entsprechen und damit ich mich als Frau von der Institution Kirche respektiert fühle, ist die Öffnung des Priesteramtes für Frauen notwendig. Gleichzeitig sind andere Reformen des Priesteramtes wichtig, um das Priesterbild näher an die Lebenswirklichkeit der Menschen zu bringen, wie die Abschaffung des Zölibats. Dies wäre auch ein Zeichen der Menschlichkeit gegenüber Priestern, die, wenn sie ihrer Berufung folgen, die Einsamkeit des Zölibats in Kauf nehmen müssen. Andere Formen der Gemeindegestaltung, die Austausch und Diskussionen fördern, würden vielleicht nicht nur dazu beitragen, dass Priester ihr theologisches Wissen im Gespräch besser vermitteln können, sondern auch im Gespräch miteinander in der Gemeinde der Glaube weiterentwickelt wird.
Aber vor allem ist für mich die Öffnung des Priesteramtes für Frauen und somit nicht nur eine rhetorische, sondern faktische Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Kirche nötig, damit das Bild des Priesters und der gesamten katholischen Kirche glaubhaft bleibt.

Die Autorin: Annamaria Stahl UAC (25) stammt aus dem Norden von Rheinland-Pfalz. Sie studiert derzeit Internationale Beziehungen in Paris und Berlin. Als Missionarin auf Zeit (MaZ) lernte sie die Pallottinerinnen sowie die Unio kennen und ist heute Mitglied der UNIO-Gruppe „MitMission“.

Priesterweihe Vinzenz Pallottis

Themenreihe: „Von 1818 bis 2118 - Priesterbild im Wandel?“

Am 16.05.2018 jährt sich die Priesterweihe des heiligen Vinzenz Pallotti. Vinzenz Pallotti lebte in einer Zeit massiver gesellschaftlicher Veränderungen und Herausforderungen und war leidenschaftlich Priester.
Zu Vinzenz Pallottis 200. Priesterjubiläum haben wir nachgefragt: Wie hat sich das Priesterbild seit 1818 gewandelt? Wie vielfältig stellt es sich heute dar? Gibt es unterschiedliche Blickwinkel? Wie geht es den Priestern, wie den Laien? Welche Perspektiven zeigen sich am Horizont? Wie wird sich das Priestertum in den kommenden einhundert Jahren möglicherweise verändern?

Vielen Dank an alle, die ihre Gedanken mit uns teilen!

Bicentenario dell'Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti

1818 - 2018: Bicentenario dell'Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti

Neben unserer Themenreihe gibt es in verschiedenen Teilen der Welt ganz unterschiedliche Initiativen zum „Bicentenario dell’Ordinazione di S. Vincenzo Pallotti“. Unser Generalat in Rom hat hierfür eine eigene Webseite gestaltet: https://sac.info/bicentenario/

Wer sich zu diesem Thema zu Wort melden möchte, kann das – wie immer – in unserem facebook Auftritt tun. Herzliche Einladung!

Alle Beiträge aus dieser Serie

Ein Beitrag zur Themenreihe: „1818-2118 – Priesterbild im Wandel?“ von fr. Marcus Grabisch
Ein Beitrag zur Themenreihe: "1818-2118 - Priesterbild im Wandel?" von Prof. Paul M. Zulehner
Ein Beitrag zur Themenreihe: „1818-2118 – Priesterbild im Wandel?“ von Pater Ignacio Chiphiko
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Hans-Joachim Winkens
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Frau Andrea Schmid
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Prof. Paul Rheinbay
Ein Beitrag zur Themenreihe:
"1818-2118 - Priesterbild im Wandel?"
von Pater Siegfried Modenbach

Das könnte Sie auch interessieren

Mitreden, Mitmachen, Mithelfen!

In Kontakt bleiben. Kostenlos 12 x pro Jahr!

Liken, kommentieren, abonnieren

Herzliche Einladung: Reden Sie mit!

Öffnen Sie sich Räume

Gemeinsam die Welt verändern!