Der Jakobsweg von Rothenburg nach Speyer
Die Fußspuren der Vergangenheit
Der Jakobsweg von Rothenburg ob der Tauber nach Speyer verbindet Franken mit der Pfalz. Er ist gesäumt von Wallfahrtskirchen, Klöstern, malerischen Dörfern und uralten Handelswegen.
Ein großer alter Schlüssel öffnet die schwere Tür der St. Gangolfskapelle. Dutzende von rostigen Hufeisen bedecken sie, Überbleibsel unzähliger Pferdewallfahrten, die hier seit dem Mittelalter stattfinden. Jedes Jahr am zweiten Maisonntag wiehert es draußen, riecht es nach Pferdeäpfeln, kommen Ross und Reiter, um sich segnen zu lassen.
Die St. Gangolfskapelle ist ein uraltes Pilgerziel. Ihre Wände sind bemalt mit bläulich-grauen Fresken aus dem 14. Jahrhundert: Jesus als Weltenrichter, die Gemeinschaft der Apostel, der heilige Jakobus, der die Pilger krönt. Behutsam legt er ihnen seine Hand aufs Haupt und segnet sie für ihren beschwerlichen Weg.
Seit 2009 führt ein Stück Jakobsweg vom bayerischen Rothenburg ob der Tauber ins rheinland-pfälzische Speyer. Die St. Gangolfskapelle in Neudenau bei Heilbronn ist eine seiner schönsten Stationen. Fast genau in seiner Mitte liegt sie, man findet sie leicht, am Rande der Straße, umgeben von alten Quellen und einer duftenden Frühlingswiese.
Kurz nach Neudenau-Herbolzheim geht der Jakobsweg den Berg hinauf. Auf dem Höhenrücken zwischen den Flüssen Kocher und Jagst trifft er auf die „Hohe Straße“. Die Hohe Straße ist eine alte Fernhandelsroute. Hier verkehrten einst Kaufleute und Ritter, Gaukler und Mönche. Die Hohe Straße war auch eine Route der Pilger.
Nur selten können die alten Strecken noch begangen werden. Heute fahren auf ihnen Autos, die Straßen der Neuzeit sind in vielen Fällen auf den Spuren der Vergangenheit erbaut worden. Auf der Hohen Straße zwischen Neudenau und Bad Friedrichshall ist das anders. Inmitten von Feldern schlängelt sich der Weg durch die Landschaft, gesäumt von alten Obstbäumen und historischen Wegekreuzen. In seiner Mitte haben Pferde ihre Hufabdrücke hinterlassen, als ob die letzten Kreuzzügler erst vor wenigen Tagen hier durchgezogen wären.
„Wir wollten eine Lücke schließen“
Rudi Kramer aus Mühlhausen im Kraichgau geht seit 2004 jedes Jahr zwei bis drei Wochen lang Pilgern. Mit dem katholischen Pfarrer seiner Gemeinde ergriff er vor 15 Jahren die Initiative und konzipierte den Jakobsweg von Rothenburg nach Speyer. „Wir wollten eine Lücke schließen“, sagt er und schaffte es schließlich, eine Vielzahl von Gemeinden zum Mitmachen zu überreden. Vier Jakobskirchen liegen auf der malerischen Route, zwei Prachtstädte wie Rothenburg und Speyer und zahlreiche bezaubernde Wallfahrtskirchen wie die Gangolfskapelle.
Kramer nimmt auch selbst Pilger auf. In den ehemaligen Kinderzimmern dürfen sie für ein paar Euro übernachten, das Geld wird an eine wohltätige Einrichtung gespendet. „Es sind wunderbare Begegnungen,“ sagt er, „ich habe selbst so viel Gastfreundschaft erfahren, dass ich nun etwas davon zurückgeben will“.
Auch die Gastfreundschaft der Klöster ist legendär. Auf dem Jakobsweg zwischen Rothenburg kann man tatsächlich auf sie stoßen. In der Zisterzienserabtei Schöntal zum Beispiel gibt es Gästezimmer für Pilger. Es liegt malerisch am Ufer der Jagst und ist heute ein Einkehrhaus der katholischen Kirche.
Auch die alte Benediktinerabtei in Bad Wimpfen gehört zu den Pilgerunterkünften auf der Strecke. Fast 1000 Jahre Geschichte ruhen in ihren Mauern, das Kloster im Tal hat eine ältere Vergangenheit als die viel bekanntere Staufer-Altstadt auf dem Hügel. Die Pilgerzimmer liegen direkt am Kreuzgang, wer dort übernachtet, schläft in Quartieren, die nach dem „Apostel Petrus“ oder der „Heiligen Elisabeth“ benannt sind. Eine himmlische Ruhe umgibt diesen Ort, der einst von Chorherren und Benediktinern geführt wurde und heute in der Obhut der Malteser ist.
Ganz am Anfang war dieser Pilgerweg bayerisch-fränkisch. In Rothenburg ob der Tauber hatte man eine Stadt kennengelernt, die bekannt für ihren Massentourismus ist. Doch sobald die letzten Tagesgäste abgezogen sind und man die Gassen der Altstadt wieder für sich hat, zeigt sich dieses mittelalterliche Kleinod von einer ganz anderen Seite. Es lohnt sich zu bleiben.
Kunterbunte Wallfahrtskapelle
Bald danach kam Hohenlohe, der fränkisch geprägte Teil Württembergs. Eine dörfliche Gegend mit vielen sanften Hügeln und Kühen auf den Weiden. Nach Bad Wimpfen wird das Land badisch, der Dialekt allmählich kurpfälzisch und der Weg immer öfter von Weinreben gesäumt. Ein besonders pittoreskes Stück führt von Malsch auf den Letzenberg. Auf seiner Spitze thront eine kunterbunte Wallfahrtskapelle, mit einer goldgelben Maria über dem Portal.
Dutzende von Ausflüglern ziehen Sonntag für Sonntag hier hinauf, plaudern, fotografieren, verweilen, entzünden Kerzen. Zwischen weißen und roten Trauben lugt die Jakobsmuschel hervor. Pilger finden vor allem unter der Woche ihre Ruhe, bevor sie sich schließlich dem dichtbesiedelten Rheintal und der Domstadt Speyer nähern – das Endziel dieses Jakobsweges liegt bereits in Rheinland-Pfalz.
Es lohnt sich, auch hier zu verweilen. Seit rund zehn Jahren kann man einen der Domtürme besteigen, der Stadt und der größten romanischen Kirche Deutschlands aufs Dach blicken. Ein majestätischer Moment, zumal hier über Jahrhunderte die Crème de la Crème der mittelalterlichen Könige verkehrte.
Text: Andreas Steidel
Fotos: Andreas Steidel (Jakobsweg und Letzenbergkapelle); Erika (Unterwegs auf Pilgerwegen, KI) by Adobe Stock.
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