In die Stille gehen

In der Fastenzeit Räume der Stille finden

Das Schweigen der Kartäusermönche

Es war in den 1990er Jahren. Ich durfte eine Reise von Pallottiner Pilgerfahrten nach Annecy in den französischen Alpen begleiten. Eine der Tagesfahrten von der schönen Stadt am gleichnamigen See führte Richtung Grenoble zur Grand Chartreuse. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich mich mit den Kartäusern beschäftigen, die hier in einem fast unzugänglichen Waldgebiet im Jahr 1084 von Bruno von Köln gegründet worden waren. Einsiedeleien, zu einem Kloster zusammengefasst. Wesensmerkmal der Mönche, die in Kartausen leben, ist die Suche nach Gott in der Stille. Sie sprechen kaum und beten wenig zusammen unter dem Motto ihrer Gründung: stat crux, dum vulvitur orbis (Das Kreuz steht, während die Welt sich dreht). Stille und Schweigen gehören zu den Wesensmerkmalen dieses Ordens.

Pavia, Dijon, Koblenz, Bad Wurzach

Bei einer Pilgerreise im nächsten Jahr durch Oberitalien kam ich nach Pavia und da südlich der Stadt in die Certosa. Die prunkvolle Kirche, die die Visconti von Mailand als ihre Grablege erbaut hatten, strahlt wunderbar Macht und Herrlichkeit aus, nicht aber Einfachheit und Demut. Familie Visconti wollte wohl zeigen, wer der Erbauer war, und vor allem wollte sie, dass ständig jemand für die Verstorbenen bete. Man weiß ja nie! Und ständig beten tun nun mal die Kartäuser. Sie absolvieren in der Kirche, vor allem aber in ihrer Gebetszelle, ein doppeltes Pensum des normalen Stundengebetes der Kirche. Diesen Ort des Gebetes hat jedes kleine Haus, das einem Mönch zur Verfügung steht. Diese Häuser sind in Pavia ähnlich denen in der Chartreuse. Bescheiden und geräumig zugleich, damit der Mönch sein Leben dort leben kann, auch im kleinen Kräutergarten, der zu jedem Haus gehört, und der wie die kleine Werkstatt im Innern die Möglichkeit zur körperlichen Arbeit bietet und Ort ist, um frische Luft zu atmen.

Von diesen Häusern ist in der Kartause zu Champmol bei Dijon seit der Französischen Revolution nichts mehr übrig. Hier hatten die Herzöge von Burgund ihre Grablege geschaffen – eben auch des Gebetes wegen. Einige Überreste der Arbeiten des berühmten Bildhauers Claus Sluter sind noch zu bewundern. Und bei dieser Pilgerfahrt durch Burgund kommen mir zwei Fragen. Heißt nicht in Koblenz ein Stadtteil Kartause? Ja, in der Stadt am Zusammenfluss von Mosel und Rhein gab es von 1331 bis zur Säkularisation eine Kartäuserkloster, an das der Name noch erinnert. Und die andere Frage war: Gibt es in Deutschland noch eine lebendige Kartause? Es gibt sie. Kloster Marienau in der Nähe von Bad Wurzach im Allgäu. Besichtigen kann man es verständlicherweise nicht.

Betender Mönch Reichskartause Buxheim
Betender Mönch. Figur am einzigartigen Chorgestühl der ehemaligen Reichskartause Buxheim, das Ende des 17. Jahrhunderts von Ignaz Waibl geschaffen wurde.

In Buxheim gibt es mehr als Likör

Besichtigen kann man die ehemalige Kartause in Buxheim bei Memmingen, die heute ein Museum ist, das gut in das Leben und die Spiritualität der Kartäuser einführt. Zudem bietet der Museumsladen auch den berühmten Likör der Grand Chatreuse, den viele sehr mögen. Und auch hier beeindrucken wieder die Mönchs-Häuschen mit ihrem Garten, die den Gott-Suchenden Raum gaben/geben für ihr Beten, Studieren, Schweigen, Arbeiten…

Ein neues Interesse am Leben des Kartäuserordens weckte 2005 der mehr als zweistündige Film „Die große Stille“, der die Mönche von Chartreuse in ihrem langen Tag von 22.45 Uhr bis anderntags 18.00 Uhr, wenn die Nachtruhe beginnt, begleitete. Kaum Worte. Keine Filmmusik. Das haben viele Kino-Besucher ausgehalten. Das hat viele angesprochen.

Die Kartause ist der Königsweg der Stille zu Gott. Dieser Weg ist aber eine Ausnahme, den nur wenige hundert Frauen und Männer in 18 Männer- und fünf Frauenklöstern weltweit gehen.

Doch angesprochen von diesem Weg sind nicht wenige Christinnen und Christen, die versuchen zu bestimmten Zeiten – etwa während Exerzitien in einem Kloster – oder im Alltag Stille und Kontemplation zu leben. Die christliche Tradition zählt diese Weise der Gottsuche durchaus zur „Laienspiritualität“ von der Zeit der Kirchenväter bis heute.

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Friedberg oder Konstanz oder…

Gerade in der Fastenzeit nehmen sich Menschen Auszeiten, einmal am Tag, einmal in der Woche, um zu sich selbst und zu Gott zu finden. Viele tun das ganz für sich. Andere teilen die Erfahrung der Stille mit anderen oder lassen sich in diese hineinführen. Ich denke an die Angebote, die meine Mitbrüder Klaus Schneider in Friedberg oder Fritz Kretz in Konstanz machen. Da kommen Menschen, die im Lärm des Alltags einen Ort der Stille suchen, damit das Innen ruhig werden kann. „Der Raum der Stille macht es möglich, dass ein Hören nach Innen geschieht“, sagt P. Kretz. Solche Kontemplation sei aber kein Selbstzweck. Es gehe darum, sich auf etwas Höheres, also auf Gott, hinzubewegen und aus dieser „Schau“ Welt zu gestalten. Das ist dem Pallottiner sehr wichtig, dass Kontemplation letztlich nicht Weltflucht, sondern Kraftquelle zur Weltgestaltung ist. „Das gehört für mich unbedingt zusammen,“ sagt P. Kretz, „das Ruhig-werden und Hören nach Innen und das Wieder-hinausgehen in den konkreten Alltag, um diesen zu meistern.“

Wo also der Mönch oder die Nonne im „Drinnen“ bleibt und diese u. U. eine große Tiefe erfährt, da „muss“ der „Normalchrist“ wieder hinaus in die Verantwortung für die Seinen und in die Aufgaben, denen er oder sie sich gestellt haben.

Wie auch immer. Angebote zur (gemeinsamen) Kontemplation gibt es nicht allein in Konstanz und Friedberg; sie wird es auch zwischen Bad Zwischenahn und Berlin geben, zwischen Bruchsal und Wien. Menschen auf der Suche nach neuer Tiefe werden solche Orte, solche Räume der Stille gerade in der Fastenzeit finden. Es lohnt sich, an den Schriftenständen der Kirchen, in den Homepages der Pfarreien und Bildungshäuser zu stöbern. Die christlichen Kirchen haben hier mehr zu bieten als man gemeinhin ahnt.

Zugegeben. Der Reichtum der Stille fällt einem nicht einfach in den Schoß. Was die Kirche als Ganze in ihren kontemplativen Orden organisiert hat, muss der einzelne Christ, die einzelne Christin für sich selbst organisieren. Sonst gelingt der Weg in eine vertiefte Frömmigkeit nicht. Fastenzeit braucht also die Disziplin, für sich selbst einen Weg zu suchen, der hilft, dem eigenen Innen und so dem Licht des Auferstandenen näher zu kommen. Da bedarf es der Planung und dann des mutigen Gehens. Der Weg der Stille führt nicht ins Leere, sondern in ein Land, das neue Bodenhaftung schafft für die Erfahrung des Heiligen im eigenen Leben und den Mut, die Mitmenschen wieder neu in den Blick zu nehmen.

Der Reichtum der Stille

Originaltitel: Organisierte Stille, in: das zeichen, Heft März 2020, Seite 6-7
Text: Pater Alexander Holzbach
Bilder: fotoduets Adobe Stock (See), Josef Eberhard (Mönch, das zeichen)

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