Die Bahnhofsmission ist ein Schutzraum mit Tradition
Auch Pallottiner engagieren sich für Menschen in Not
Immer mehr Leute drängen in die beiden kleinen Räumen der Bahnhofsmission am Augsburger Hauptbahnhof. Es ist gerade mal halb neun. Das Team aus Ehren- und Hauptamtlichen kocht Kaffee und Tee und sichtet die gespendeten Lebensmittel. Die Bäckerei Balletshofer und die Imbisskette YORMA’S haben gespendet, was am Vortag übriggeblieben ist. Über Nacht wurden die Brezen, Baguettes oder süßen Teilchen extra gekühlt, damit sie auch heute noch schmecken. Daneben spenden auch andere noch großzügig Waren zum Sattwerden. „Leider gibt es heute kein Obst“, sagt eine Mitarbeiterin von YORMA’S mit echtem Bedauern. Sie weiß, dass Vitamine, nicht nur in der kalten Jahreszeit, bei den Gästen der Bahnhofsmission beliebt sind.
Von 9 bis 15 Uhr geben sich die Leute die Klinke in die Hand. Etwa 50 bis 70 Menschen besuchen die Mission täglich, in Spitzenzeiten können es auch mal 100 werden. Morgens ist am meisten los; und am Ende des Monats steigen die Besucherzahlen – wenn das eigene Geld aufgebraucht ist. Gerade Seniorinnen und Senioren sind deshalb oft auf die kostenlose Verpflegung angewiesen. Daneben geht es auch um Kontakt. Die Besucher grüßen und kennen sich gegenseitig. Und auch die Teammitglieder werden von manchen mit dem Namen begrüßt.
Um 10 fliegt plötzlich die Türe auf. Eine Dame mittleren Alters kommt eiligen Schrittes auf das Team zu, reicht einer Mitarbeiterin eine Tüte und verschwindet wieder. Offensichtlich hat sie es eilig, vielleicht muss sie auf den Zug. Die Einkaufstüte birgt einen Schatz: Orangen! Nun gibt es heute doch Obst! Die Nachricht verbreitet sich rasch in beiden Zimmern und viele Gäste kommen zur Theke, bevor die Quelle wieder versiegt.
Ohne Ehrenamtliche geht es nicht
Frau Tanja N. ist seit eineinhalb Jahren ehrenamtlich ein Teil des Teams. Einmal in der Woche lässt sie sich für einen Vormittag einplanen. Zuverlässig, das ganze Jahr über – außer, wenn die Kinder krank sind oder wenn die Familie im Urlaub ist. Beruflich ist sie bei einem Münchner Steuerberater tätig. Sie hatte in der Zeitung gelesen, dass die Mission Verstärkung braucht. Da ihre Eltern eine Tankstelle hatten, kennt und liebt Sie den Kontakt mit Leuten, auch mit solchen, die mit ihrem Alltag zu kämpfen haben. Nur ein Teil der Besucher ist obdachlos, der Großteil ist schlicht und einfach arm. Etwa 30% sind Frauen, auffallend viele sind im Rentenalter, dazwischen mischen sich auch junge Gesichter. Der Großteil spricht Dialekt oder hat einen ausländischen Akzent.
Zwei Mitarbeitende sind heute Pallottiner. Ein Bruder ist ehrenamtlich tätig. Er lebt und arbeitet eigentlich in Südafrika. Gerade hat er sein Philosophiestudium abgeschlossen und muss krankheitsbedingt eine längere Pause einlegen. Nach seiner Gesundung wird er im Auftrag des Provinzials in Südafrika „Agriculture“ studieren, um anschließend in Südafrika oder einer anderen afrikanischen Niederlassung eine Farm zu leiten. Er hat sich den Pallottinern angeschlossen, weil er für Gott und „seine Nächsten“ da sein will. Die Berufung Vinzenz Pallottis, der die Gemeinschaft der Pallottiner 1835 gründete, passt zu gut zu seiner eigenen Berufung: Er will den Glauben der Menschen beleben und die Liebe stets neu entzünden.
Es geht nur gemeinsam
Bruder Schneider und seine Kollegin Frau Sonja S. haben eine Teilzeitstelle. Die beiden Hauptamtlichen sind – im Auftrag der evangelischen Diakonie und der katholischen Caritas – für die Dienststelle und das Team verantwortlich. Neben der Cafeteria bietet das Team viele andere Hilfestellungen an, dazu gehört beispielsweise auch, gestrandeten Personen eine Übernachtung oder eine Weiterfahrt zu ermöglichen. Da es in den eigenen Räumen keine Schlafplätze oder Duschen gibt, arbeitet die Mission eng mit anderen Dienstleistern zusammen. „Wir haben hier oft den ersten Kontakt mit den Leuten und erfahren von einem lösbaren Problem, dann helfen wir bei der Antragstellung von Leistungen oder vermitteln den Kontakt mit den zuständigen Sozialarbeitern oder den Diensten anderer Einrichtungen.“
Auch die Kooperation mit den Bahnhofsmitarbeitern ist sehr gut. Die Bahn stellt übrigens die Räume kostenlos zur Verfügung. Bei Problemen arbeitet man Hand in Hand: Mal bringen die KollegInnen vom Mobilitätsservice der Bahn eine gehbehinderte Person aufs richtige Gleis, mal springt eine MitarbeiterIn von der Bahnhofsmission für diesen Job ein. Man respektiert und hilft sich gegenseitig, das gilt auch für die im Hauptbahnhof stationierte Bundespolizei. Wenn gelegentlich mal jemand aus der Rolle fällt, kommen die Kollegen von der Polizei schnell mal vorbei und glätten die Wogen.
Raus auf die Straße
Fragt man Bruder Schneider nach seiner Motivation, dann erzählt er ebenfalls von Vinzenz Pallotti. Der Heilige war unermüdlich auf den Straßen Roms unterwegs. Davon erzählen auch seine durchgelaufenen Schuhe, die heute im Museum aufbewahrt werden. Viele Römer kannten Pallotti sehr gut und auch er suchte als Seelsorger täglich den Kontakt mit armen und reichen Menschen. Der Auftag von Papst Franziskus „Geht an die Ränder der Gesellschaft!“, hätte auch gut von Vinzenz Pallotti stammen können. Bruder Schneider nimmt diesen Auftrag gerne wahr. „Ich gehöre auch ‚auf die Straße‘, ganz so wie es Marius Müller-Westernhagen in seinem Song ‚Zurück auf die Straße‘ beschreibt: ‚Gold findet man bekanntlich im Dreck, und Straßen sind aus Dreck gebaut.“ Das Gold, das sind für ihn die Begegnungen mit den Menschen. Dabei macht er keinen Unterschied, ob es sich um die KollegInnen vom Team, die MitarbeiterInnen des Bahnhofs oder der Spenderfirmen oder den Gästen der Bahnhofsmission handelt. Für Bruder Schneider, Vinzenz Pallotti und den Papst sind alle Menschen von Gott gleichermaßen geliebt. Die Aufgabe der Pallottiner ist es, diese göttliche Liebe in der Begegnung mit den Menschen aufscheinen zu lassen.
Bahnhöfe sind wie Kino
In Bahnhöfen pulsiert das Leben. Es sind Drehscheiben, unruhige Menschenströme eilen aneinander vorbei. Es sind Magnete für Menschen aus aller Welt. Auch arme Menschen verweilen gerne in Bahnhöfen. Inmitten des quirligen Durcheinanders fällt man nicht auf, man kann anonym bleiben. Hier ist es geschützt, trocken und man kann verweilen. Deshalb ist dieser Ort auch für bedürftige Menschen attraktiv. Bruder Klaus berichtet, dass ihm ein Gast einmal vorgeschwärmt hat: „Für mich ist Bahnhof wie Kino, Du gehst vielleicht ins Theater oder in ein Konzert, ich gehe in den Bahnhof. Hier passiert den ganzen Tag etwas. Und es kostet nichts!“
Kirche ist ökumenisch
Auch die Helfer sind gerne an Bahnhöfen. Das hat Tradition, denn die erste Bahnhofsmission wurde bereits 1894 in Berlin gegründet. Daneben hat die gedeihliche Zusammenarbeit der Kirchen ebenfalls eine lange Tradition: Die 1910 geschaffene „Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission in Deutschland (KKBM)“ ist die älteste ökumenische Struktur auf dem Gebiet der offenen sozialen Arbeit in Deutschland. Die Mission fühlt sich als „gelebte Kirche am Bahnhof“ der Botschaft des Evangeliums verpflichtet. Heute betreuen die Bahnhofsmissionen in Deutschland pro Jahr mehr als zwei Millionen Menschen an mehr als 100 Orten.
Mehr Informationen über die Bahnhofsmission
Mehr Informationen über die Augsburger Bahnhofsmission
Kontaktmöglichkeiten, falls Sie sich auch engagieren möchten
Informationen, falls Sie auch Pallottiner werden wollen
Fotoreportage: Josef Eberhard
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