Neun Stolpersteine für inhaftierte Pallottiner

Pater Wilhelm Poieß war einer von ihnen

22. Dezember, zwei Tage vor Heiligabend 1942. Die Geheime Staatspolizei der Nazis, kurz Gestapo genannt, klingelt Sturm am Pfarrhaus in Eschhofen und nimmt Wilhelm Poieß in Haft. Der Pallottinerpater war zu diesem Zeitpunkt 19 Monate Kaplan in der dortigen St. Antonius Pfarrei. Ohne Gerichtsverfahren geschweige denn eine Verurteilung wird der 38-Jährige im Gefängnis in Frankfurt inhaftiert, später 14 Monate im KZ Dachau eingesperrt. Der Priester hatte Kritik am Regime geübt und gottlob die Mordanstalt überlebt. Er wurde beim Evakuierungsmarsch vom 26. April 1945 befreit.

 

Gedenksteine für verschleppte Pallottiner
Die Stadt Limburg an der Lahn lässt am 20. März in der Mainzer Straße 3 in Eschhofen, dort wo neben der Kirche das alte Pfarrhaus stand, für den Pallottinerpater Wilhelm Poieß einen so genannten Stolperstein setzen. Diese Gedenksteine, die von dem Initiator, dem Kölner Gunter Demnig, persönlich in den Boden eingebaut werden, sollen am letzten Wohnort an die in der Nazi-Herrschaft verschleppten Menschen erinnern. Weitere acht Stolpersteine inhaftierter Patres und Brüder werden am gleichen Tag auf dem Gelände des Klosters in der Wiesbadener Straße 1 eingebracht.
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Mit einem Stolperstein wird an Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert wurden, unabhängig davon, ob sie überlebt haben. Zwölf Pallottiner der Limburger Provinz, zehn Patres und zwei Brüder, haben eine so genannte „Schutzhaft“ im KZ Dachau verbringen müssen. Zwei von ihnen, Pater Albert Eise und Pater Richard Henkes, haben dort ihr Leben verloren. Allein im Winter 1944/45 starben in dem Lager 15.000 Menschen.

Gefangener der Gestapo
„Ich hatte mich am Morgen des 22. Dezember 1942, einem Dienstag, nach der Messe zu einer kurzen Ruhe aufs Bett gelegt; denn ich war noch müde von den fünf Predigten des Sonntags: zwei in meiner Gemeinde Eschhofen, der Männerpredigt im Limburger Dom und den alle Sonntags fälligen Jugendpredigten an je zwei Orten des Dekanats Dietkirchen, denn ich lief alle Strecken zu Fuß wie ein Apostel der Frühzeit“, schildert Pater Poieß seine Erlebnisse in seinem 1949 erschienenen Buch „Gefangener der Gestapo“. Poieß sollte an Weihnachten 1942 die Mitternachtspredigt in der Limburger Marienkirche halten und bereitete sich innerlich darauf vor, als ihn ein hupendes Auto und Alarmläuten an der Haustür aufschreckte.

„Zwei Gestapo-Beamte sprangen an mir vorbei und einer sagte: ‚Aha, dem steht ja die Lüge schon ins Gesicht geschrieben‘. Sie nahmen mich nach Durchsuchungen meines Zimmers und einer gründlichen Leibesvisitation mit.“ Poieß beschreibt ausführlich unglaubliche Erlebnisse.

Heimliche Botschaften aus dem KZ
In Limburg tobte derweil ein heißer Kampf zwischen der Gestapo und den Pallottinern. Die Gestapo versuchte ihnen Verstöße gegen staatliche Verordnungen nachzuweisen und auf diesem Wege sich ihr stattliches Anwesen anzueignen. Alle Limburger Häftlinge kamen zuerst in das Polizeigefängnis Frankfurt. Dort in der Gestapohaft trugen sie keine Häftlingskleidung. Die Gefangenen mussten sich selbst um die Pflege ihrer Zivilkleidung kümmern, die zumeist von Angehörigen abgeholt wurde. Für Poieß waren die Eheleute Johann-Ernst Fluck und seine Frau Gustel, seine Nachbarn aus Eschhofen, „zwei gute Schutzengel“, wie er schreibt. Sie holten und brachten ihm jede Woche seine Wäsche und schickten sie zu Poieß‘ Verwandte in Nord-Westfahlen. Danach brachten sie diese gesäubert wieder zurück nach Frankfurt.

Pater Poieß versteckte in seinen Hemden Kassiber, heimliche, da verbotene schriftliche Mitteilungen aus dem Gefängnis, und erläutert in seinem Buch: „Ich nahm eines meiner Oberhemden und trennte mit dem Messerchen vorsichtig die Rücknaht der Manschette auf. Dann zerschnitt ich mein sauberstes Taschentuch so, dass es in die Manschette genau hineinpasste (….) Dann schrieb ich auf das Leinenläppchen: ‚Wenn ihr dieses entdeckt, so richtet in Zukunft alle Hemdmanschetten, Brusteinsätze und Schulterpassen zu Taschen ein, legt ein doppelt gefaltetes, möglichst dünnes, fest gewebtes Tüchlein hinein…..‘.“

Häftling Pater Poieß komponiert Messe
Was der Häftling Poieß auf diese Weise an Informationen alles aus seiner Zelle nach draußen beförderte ist unglaublich. Er hat sogar eine selbst komponierte Messe aus dem Knast befördert. Im Limburger Pallottinerarchiv werden etliche dieser interessanten Zeugnisse aufbewahrt.

Kassiber von Pater Wilhelm Poieß SAC
Beispiele für Kassiber aus der Wäsche von Pater Wilhelm Poieß, die im Archiv der Limburger Pallottiner aufbewahrt werden.

Biographie von Pater Poieß
Wilhelm Poieß erblickte am 12. Januar 1904 in Herne/Westfalen in das Licht der Welt und wuchs in einer gut katholischen Familie mit sechs Geschwistern auf. Sein jüngster Bruder Werner wurde später ebenfalls Pallottiner. Er fiel im Zweiten Weltkrieg. Wilhelm begann am 9. April 1918 seine humanistischen Studien im Studienheim der Pallottiner in Ehrenbreitstein, die er 1925 mit dem Abitur am Gymnasium in Freising abschloss. Theologie studierte er an der Hochschule der Pallottiner in Limburg und wurde am 12. Juli 1931 im Dom von Bischof Dr. Antonius Hilfrich zum Priester geweiht.

Danach studierte Poieß zwei Semester Germanistik und Altphilologie an der Universität Münster/Westfalen und setzte dann seine Studien in Fribourg/Schweiz fort, wo er zugleich von 1932 bis 1934 als Spiritual tätig war. Von Ostern 1934 bis zur Aufhebung durch die Nazis 1939 arbeitete er als Lehrer im Studienheim Schönstatt. 1939 bis 1941 lehrte er Homiletik (Prediktlehre) an Philosophisch-Theologischen Hochschul der Pallottiner in Limburg. Zugleich war er Prediger im Dom und Jugendseelsorger im Dekanat Dietkirchen, von Juni 1941 bis Ende 1942 Pfarrkurat in Eschhofen.

Wortgewaltig das Wort Gottes verkündet
Nach seiner Inhaftierung wegen Jugendseelsorge in Frankfurt und Dachau hatte er das Glück, während des Todesmarsches aus Dachau am 1. Mai 1945 befreit zu werden und das Grauen überlebt zu haben. Vom Herbst des gleichen Jahres bis zu seiner Emeritierung lehrte wer als Professor für Homiletik und Katechetik (Praktische Theologie) an der Theologischen Hochschule Vallendar. Danach setzte Poieß sich nicht zur Ruhe. Mit erstaunlichem Erfolg unterrichtete ausländische Studenten in der deutschen Sprache und verbrachte seine letzten jahre im Rollstuhl. Er hatte den Ruf eines „Meisters des Wortes“. In seinem Totenbrief schreiben die Pallottiner: „Wortgewaltig verstand er es, das Wort Gottes den Menschen in Deutschland und in der Schweiz zu verkünden“.

Zeitschrift „Pallottis Werk“ gegründet
Auch das geschriebene Wort hatte es Wilhelm Poieß angetan. Nach dem Krieg begann er mit der Herausgabe der Zeitschrift „Der Rosenkranz“ und begründete „Pallottis Werk – daheim und draußen“. Texte von Pater Poieß wurden vertont und kamen als Lied zum Vortrag. Herzenssache war ihm die Bühnenkunst; denn er war ein geborener Schauspieler, heißt es, Regisseur und Leiter vorn Theateraufführungen. Viel Freude bereitete ihm die Tonkunst, die er auch den Mitbrüdern zugänglich machte. Als Pilgervater habe er vielen Menschen die Stätten der Christenheit nahegebracht. Er starb im Alter von 88 Jahren am 3. November 1992 und hat auf dem Limburger Pallottinerfriedhof seine letzte Ruhestätte gefunden.

Von Pater Wilhelm Poieß SAC komponierte Messe
Selbst eine von Pater Wilhelm Poieß komponierte Messe fand verbotenerweise den Weg über Wäschestücke aus der Gestapohaft. Das Foto zeigt einen Teil davon.
Pallottinerpater Wilhelm Poieß SAC
Pallottinerpater Wilhelm Poieß in späteren Jahren nach einem Gottesdienst im Messgewand.

Neun Stolpersteine
Die Stadt Limburger erinnert am 20. März mit der Verlegung von Stolpersteinen an sechs aus Limburg deportierte Pallottinerpatres und drei Pallottinerbrüder.

Am Missionshaus der Pallottiner – in der Wiesbadener Straße 1, in Limburg -wird damit den seinerzeit dort wohnenden, nachfolgend aufgeführten Männern gedacht.

Pater Karl Josef Friedrich (Jahrgang 1898), verhaftet 1944 wegen der Taufe von drei polnischen Kindern. Er wurde am 1.11.1944 aus dem KZ Buchenwald entlassen.

Pater Karl Jakob Friedrich (Jg. 1899), Gestapohaft 1943 Frankfurt wegen defätistischer Äußerungen (Überzeugung, militärisch besiegt zu werden) und hat Denunziation (Falschbeschuldigung) verweigert. Er kam in das SS-Sonderlager Hinzert, am 5.4.1945 in Dachau befreit.

Pater Johannes Gerharz (Jg. 1888), „Schutzhaft“ 1943 wegen defätistischen Äußerungen. SS-Sonderlager Hinzert, 21.5.1945 in Dachau befreit.

Bruder Franz Xaver Maier (Jg. 1910), Gestapohaft in Frankfurt, Gestapohaft in Frankfurt ab 24.7.1942, am 18.8.1942 an Misshandlungen gestorben.

Bruder Karl Morper (Jg. 1889), Gestapohaft Frankfurt 1942, Denunziation verweigert, am 28.3.1945 in Dachau entlassen, wo er seit dem 5.10.1942 eingesperrt war.

Bruder Eduard Ossowski (Jg. 1878), Gestapohaft 1942. Grund: „Umgang mit Kriegsgefangenen“. In Frankfurt-Preungesheim am 14.1.1944 verhungert.

Pater Heinrich Schulte (Jg. 1901), Gestapohaft Frankfurt 1943 und Gefängnis Darmstadt wegen „Staatsfeindlicher Äußerungen“, in Dachau befreit am 2.5.1945.

Pater Johannes Wimmer (Jg. 1884), „Denunziation verweigert“, Schutzhaft 1943, Gefängnis. In Dachau am 11.4.1945 entlassen.

Stolperstein in der Mainzer Landstraße 3 in Limburg-Eschhofen:

Pater Wilhelm Poieß (Jg. 1904), wegen Regimekritik am 22.12.1942 Gestapohaft Frankfurt, befreit am 2. Mai 1945 Dachau.

 

Text: Dieter Fluck
Bilder: Provinzarchiv der Pallottiner, Limburg

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