Liebe hat viele Gesichter

"Die Kirche ist in der Bewertung der Sexualität leider schon lange aus der Zeit gefallen"

Pater Siegfried Modenbach SAC ist seit mehr als 25 Jahren Pallottiner und Priester. In der Seelsorge musste er immer auch auf Fragen der Sexualität Antworten geben. Was sagt die Bibel, was fordert die Kirche, wie denkt ein eheloser Ordensmann darüber?
Pater Modenbach möchte den Fragen von jungen und alten Menschen, von Priestern und Eheleuten, von homo- und heterosexuell fühlenden Frauen und Männern gerecht werden. „Die Kirche ist in der Bewertung der Sexualität leider schon lange aus der Zeit gefallen“, beklagt er in seinem Buch „Liebe hat viele Gesichter“, welches Anfang November 2018 auf den Markt kommt. Darin fordert er ein Umdenken – einen anderen Umgang mit Sexualität, ein anderes Sprechen über die Sexualität und einen offenen Dialog mit Gläubigen und Nichtgläubigen.

 

Ihr neues Buch „Liebe hat viele Gesichter“ spricht einige heikle Themen an, gerade im kirchlich-katholischen Bereich: z. B. Homosexualität, sexueller Missbrauch und die sog. Ehe für alle. Wie kam es dazu?

Nun, zunächst einmal ist das Buch entstanden, weil diese Themen ja in den letzten Monaten und Jahren im Raum der Kirchen – zum Teil sehr emotional – diskutiert wurden. Das hat auch der Verlag mitbekommen und deshalb haben mich die Verantwortlichen gefragt, ob ich bereit wäre, darüber zu schreiben. Ihnen war bewusst, dass ich seit über 25 Jahren als Seelsorger mit diesen Fragen unterwegs bin. Bereits als Leiter des Jugendhofes, einer Jugendbildungsstätte der Pallottiner im Pallotti-Haus Olpe, und als Dekanatsjugendseelsorger hatte ich immer wieder mit den Fragen Jugendlicher zu diesem Themenkomplex Liebe, Partnerschaft und Sexualität zu tun. Und da wurden auch speziellere Fragen, z. B. die Frage der Homosexualität oder auch der sexuelle Missbrauch, der nicht nur in der Kirche, sondern auch in Familien und in Schulen ein Thema war, von den jungen Leuten immer wieder thematisiert.

Ehepaar vor 100 Jahren
Zwei Freundinnen

Was sagt denn eigentlich die Bibel zum Phänomen der Homosexualität, bzw. zu homosexueller Liebe?

Immer wenn die Bibel über homosexuelle Handlungen spricht – sowohl im ersten wie im zweiten Testament –, geht es um eine Sexualpraxis im Zusammenhang mit der Verehrung fremder Götter, bzw. um heidnische Rituale. Es geht um die Vergötzung menschlicher Sexualität und ihren Missbrauch als Religionsersatz.
Es geht um den Austausch von Frauen durch Männer aus Überdruss, aus Unersättlichkeit oder aus Verachtung des anderen Geschlechts. Es geht also um homosexuelle Praktiken heterosexueller Männer. Sexualität als Ausdruck von Zuneigung und Liebe haben diese Bibelstellen also überhaupt nicht im Blick. Die Bibel lehnt kultische Homosexualität und gleichgeschlechtliche Vergewaltigung ab. Aber von der Bibel nicht gesehen und erörtert wird das Problem der relativ unveränderbaren Homosexualität. Deshalb kann eine grundsätzliche Ablehnung der Gleichgeschlechtlichkeit aus dem biblischen Zeugnis nicht erschlossen werden.

Wenn man mich also fragt, was die Bibel zur homosexuellen Liebe sagt, kann ich nur antworten: schlicht und einfach nichts! Der Bibel sind homosexuelle Liebesbeziehungen völlig unbekannt. Ein biblisches Verbot homosexueller Liebe ist nirgends zu sehen!

Warum ist es notwendig, die Themen Missbrauch und sexuelle Gewalt öffentlich zu diskutieren?

Ich meine, wir können und dürfen an einem dunklen Kapitel der vergangenen Jahre nicht einfach wortlos vorbeigehen. Und ich halte es für dringend notwendig, immer auch die Pervertierung von Sexualität im Blick zu haben – da, wo es im Bereich der Sexualität um Missbrauch und Gewalt geht. Der Missbrauchsskandal ist ja vor allem ein Skandal der Sprachlosigkeit. Viele Bischöfe und andere Verantwortliche in der Kirche haben zwar das Entsetzen über den Missbrauch verstanden und sie thematisieren ständig ihre Erschütterung darüber – aber sie können das Entsetzen über ihre eigene rhetorische Hilflosigkeit, über ihr mangelndes Gespür für die richtigen Gesten und Schlussfolgerungen oft nicht nachvollziehen.

Die Missbrauchsfälle haben viele unsicher zurückgelassen und wenn die Grundsäule des Vertrauens nicht nur erschüttert ist, sondern davor steht, einzustürzen, dann muss mehr geschehen als zu sagen: wir überarbeiten die Leitlinien, wie wir in Zukunft mit dem sexuellen Missbrauch in der Kirche umgehen wollen. Hier geht es um Grundsatzfragen des Miteinanders zwischen Klerikern und Laien, zwischen katholischen Vereinen und Verbänden und der Amtskirche. Und auch der Klerikalismus – wie Papst Franziskus richtigerweise feststellt – spielt eine gewichtige Rolle und muss in all seinen Erscheinungsformen überwunden werden.

Liebe und Glaube

Sie selbst waren einige Jahre in der Ausbildung junger Pallottiner tätig. Warum ist es so wichtig, dass sich junge Menschen, die Pallottiner und/oder Priester werden wollen, sich mit ihrer Sexualität auseinandersetzen?

Neben der theologischen und spirituellen Ausbildung angehender Priester und Ordensleute ist die psychologische Reife von großer Bedeutung, die z. B. durch eine entsprechende Begleitung, durch Einzelgespräche mit Psychologen und durch verschiedene Kursangebote gewährleistet werden kann. Zukünftige Priester müssen einerseits für Anzeichen von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch sensibilisiert werden. Andererseits sollte man überprüfen können, ob die Kandidaten die Voraussetzungen erfüllen, damit sie nicht irgendwann selbst zu Tätern zu werden.

In der Ausbildung geht es aber auch um ganz praktische Fragen: Wie gehe ich damit um, wenn ich mich in jemanden verliebe? Und wie, wenn sich jemand in mich verliebt? Und wenn man auf Fragen der Identität und der Sexualität zu sprechen kommt, dann ist es sehr wichtig, von Beginn an ganz offen über Hetero- und Homosexualität ins Gespräch zu kommen – auch mit dem Ziel, dass die Kandidaten erst gar nicht auf den Gedanken kommen, ein Versteckspiel beginnen zu müssen. Als Ausbilder kann man durchaus eine offene Atmosphäre schaffen, indem man um Vertrauen wirbt und indem man offen und authentisch über diese Fragen spricht und selbst kein Versteck spielt.

Kandidaten müssen dazu stehen, dass sie – egal ob hetero- oder homosexuell – sexuelle Wesen sind und dass sie diese Sexualität auch spüren. Die Sexualität darf nicht verdrängt werden. Dann entstehen die Probleme, die wir in der Kirche zu Genüge kennen. Denn die Sexualität sucht sich immer ihren Weg.

Sie äußern sich auch sehr positiv zur sogenannten Ehe für alle und zu kirchlichen Segnungsfeiern für homosexuelle Paare? Warum?

Wenn zwei Menschen gleichen Geschlechts heiraten wollen, weil die Ehe für sie eine Institution ist, in der man füreinander, aber auch für die Gesellschaft Verantwortung übernimmt, weil man sich zu gemeinsamen Werten (z. B. Liebe, Treue, Geborgenheit, gegenseitiges Wohl) bekennt, die ja auch für den Staat stabilisierenden Charakter haben, dann ist das doch auch von Seiten der Kirche anzuerkennen.

Wenn also in diesem Sinne ein homosexuelles Paar vor dem Staat und dem Gesetz eine Ehe miteinander eingehen will, dann kann ich das nur begrüßen. Und wenn sie für sich und ihre standesamtliche Ehe um den Segen Gottes bitten, weil sie ganz bewusst in ihrer Ehe auch als Christen leben wollen und weil ihnen der Zuspruch und der Segen Gottes wichtig sind – wer bin ich, dass ich ihnen diesen Segen verweigere?

Dem Angebot einer kirchlichen Segensfeier liegt die Überzeugung zugrunde, dass im gemeinsamen Leben der Partner(innen) sittlich Gutes da ist: Treue, Fürsorge, Verantwortung, Verpflichtung. Dieses Gute verdient Gutheißung und ist, wo der Glaube ins Spiel kommt, segenswürdig. Wo es um Liebe und verlässliches Einstehen füreinander geht, sollte Gleiches auch als solches anerkannt werden.

Liebe hat viele Gesichter - Bonifatius Verlag

Fotonachweis:
Bild „Heiraten vor 100 Jahren“: Gabriele Rohde, Bild „two friends“: Екатерина Переславце, Bild „mujer maltratada“: esthermm, Bild „Liebe und Religion“: Stefan_Weis (alle Adobe Stock)
Interview: Josef Eberhard

Rückmeldungen an Pater Modenbach und Diskussionsbeiträge: facebook

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