„Begegnung ist der Ernstfall des Lebens“

Nach fast zehn Jahren als Provinzial verabschiedet sich P. Helmut Scharler aus der Provinzleitung. Sein Vermächtnis soll die kulturelle Vielfalt sein

Er ist Priester und er ist Psychotherapeut. Seine Praxis konnte der gebürtige Österreicher nur mehr in sehr bescheidenem Umgang führen, seit er in die Provinzleitung wechselte. Nun steht für ihn erneut ein Wechsel an. Am 2. August wird er das Amt des Provinzials an seinen Nachfolger P. Markus Hau übergeben. Für ihn selbst zeichnet sich ein Wechsel an die Hochschule ab, die unter seiner Ägide eine neue Ausrichtung erfahren hat – hin zur Interkulturalität. Das Leben als bunt und vielfältig, als divers zu erleben, empfindet P. Scharler daher auch als sein eigentliches Vermächtnis.

Pater Scharler, für Sie beginnt nach fast zehn Jahren ein neuer Lebensabschnitt. Wenn Sie zurückschauen und nach drei Amtszeiten Bilanz ziehen: Welche Linien können Sie da erkennen?

P. Helmut Scharler: Es gab wohl zwei große Linien: Zum einen die Konsolidierung der Provinz mit immer weniger werdenden Mitbrüdern und vielen Häusern. Zum anderen die Begegnung mit anderen Kulturen in Afrika und die daraus erwachsende neue Perspektive für uns. Das ist etwas, was mir auch zugewachsen ist, und was für mich selbst auch eine Umwandlung bedeutet hat. Ich hatte mich nie besonders für Afrika interessiert. Das änderte sich erst, als ich als Vizeprovinzial gezwungen war, unsere zur Provinz gehörigen Mitbrüder in Südafrika zu besuchen. Diese hatten eine schwierige Situation zu meistern und brauchten Hilfe. Und als ich ankam, ist es passiert. „I fell in love“, wie man auf Englisch sagt, also: „Liebe auf den ersten Blick“.

Was haben Sie aus dieser Liebe gelernt?

P. Helmut Scharler: Zunächst einmal war ich fasziniert von den vielen Möglichkeiten, wie menschliches Leben gestaltet werden kann und dass vieles von dem, was wir als selbstverständlich ansehen, veränderlich ist. Damit habe ich erfahren, dass unser Menschensein uns jenseits aller Grenzen verbindet und die kulturelle Verschiedenheit eine Bereicherung ist. Mir wurde mehr und mehr bewusst, dass die andere Kultur schon beim anderen Menschen beginnt, der Tür and Tür mit mir lebt, und dass ich mich selbst verändern lassen muss, um zu einer Menschheitsfamilie zu werden. Das ist eigentlich schon eine therapeutische Erkenntnis: Das Andere, das mir nicht Vertraute wahrzunehmen und daran zu wachsen. Um „gemeinsam“ diesen Weg zugehen, müssen beide lernen, jeweils von der anderen Kultur. Mein Traum wäre, dass „Interkulturalität“ ein Wachstumsprozess für die ganze Provinz würde, ein Paradigma, ein Modell, um menschlich zu reifen, Verständnis zu entwickeln und „das Andere“ als schön und bereichernd zu erleben – und nicht als Bedrohung des „Eigenen“.

Was ist das wichtigste Element der Interkulturalität?

P. Helmut Scharler: Strukturen und Ordnung sind wichtig, um das Leben zu organisieren, aber das Wichtigste ist die Begegnung. Begegnung ist der Ernstfall des Lebens. Da braucht es Behutsamkeit auf beiden Seiten: Ich darf den Mitbrüdern aus Afrika und Indien nicht sagen, „wie man es richtig macht“, auf der anderen Seite braucht es die Einpassung in unsere Kultur. Da ist viel Fingerspitzengefühl nötig, um nicht zu verletzen. Auch die deutschen Mitbrüder brauchen Zeit, sich an neue Traditionen zu gewöhnen und zuzustimmen, dass das Alte und das Neue zu einer anderen Art unseres Zusammenlebens führt.
Kritisch betrachtet gibt es aber keinen anderen Weg: Entweder sind wir am Ende, verkaufen alles und sterben aus. Oder wir öffnen uns für eine neue Weitung und werden zur Heimat auch für andere Nationen.
Wir sind gerade dabei, die indischen und afrikanischen Mitbrüder in den Häusern unserer Provinz vorzustellen und gemeinsame Erfahrungen zu ermöglichen. Und sieh da: Es stell sich heraus: Die Begegnungen lösen auf beiden Seiten Begeisterung bereichernde Erfahrungen aus.

„Wir nehmen die anderen wegen
der Schönheit ihrer Kultur auf“

Begegnen Sie so auch der Gefahr des Aussterbens in Deutschland und Österreich?

P. Helmut Scharler: Ich hätte kein Problem damit, wenn wir aussterben. Das ist ein natürlicher Vorgang in einer Zeit der Veränderung. Der andere Weg ist die Weitung. Mir ist dabei wichtig, immer wieder eindringlich zu betonen: Wir werden nicht interkulturell um zu überleben. Der Grund ist ein spiritueller: Weitung und Verschiedenheit dürfen Eingang in unsere Gemeinschaft finden, um voneinander zu lernen, zu wachsen und das Größere in den Blick zu nehmen. Wir lernen, die Schönheit und dynamische Kraft anderer Traditionen zu schätzen und uns von ihnen inspirieren zu lassen. Das wäre mein Wunsch für unsere Provinz: als Mitbrüder zu leben und uns zu weiten über Grenzen und Vorurteile hinaus. Ich glaube, dass das im Sinne Gottes ist, wenn wir Menschen mehr und mehr eine Familie werden. Da ist mir das Pfingstereignis Zeugnis und Ansporn.
Leicht ist das allerdings nicht, keine Sozialromantik: Manche liebgewordenen Gewohnheiten dürfen dabei auch sterben. Die einen verlassen ihre Heimat, um zu uns zu kommen und wir müssen auch etwas verlassen. Auch die Hochschule soll dieses Thema aufgreifen.

Interkulturalität soll die Vinzenz Pallotti University prägen. Welche Chancen sehen Sie dort noch?

P. Helmut Scharler: In Zeiten der „Fake News“, der Lügen und Verdrehung von Wahrheit ist es mehr denn je nötig, einen Ort zu haben, wo das Denken erlaubt ist, wo wir Themen setzen dürfen und und abseits des Mainstreams nachdenken, forschen und lehren dürfen. Unsere neue Verbindung von Theologie und Humanwissenschaften gibt uns die Möglichkeit einer gegenseitigen Bereicherung. Es gibt mittlerweile viel Verbindendes, das wir nutzen können. Natürlich freue ich mich auch persönlich sehr über diese Entwicklung. Beides, die Theologie und die Psychologie haben mein Leben sehr beeinflusst und geformt.

Wo Sie es ansprechen: Stimmt es, dass Sie daher auch nach Ihrer Amtszeit an die Hochschule wechseln?

P. Helmut Scharler: In der Provinzleitung wird darüber nachgedacht, mich als Kandidaten für die Hochschulleitung zu präsentieren. Ja.

Wenn Sie an den Anfang zurückblicken: Was hat sich am meisten bei den Pallottinern verändert?

P. Helmut Scharler: Der Prozess des Zusammenwachsens der beiden deutschen Provinzen und der österreichischen Regio ist gelungen. Wir haben einen Weg der Konsolidierung und Zusammenlegung eingeschlagen, der uns für die kommende Zeit gerüstet sein lässt. Wir haben den Dialog mit den anderen Kulturen in unserer Provinz begonnen und erste Schritte gesetzt.
Da wir eine „apostolische“ Gemeinschaft sind, bewegt uns die Frage, wie wir mit den Menschen, die oft von Kirche enttäuscht, religiös unbeheimatet, aber spirituell hoch aufgeschlossen sind, wieder ins Gespräch kommen können. Das ist ein herausforderndes Thema, das uns bewegt und in Spannung hält.

Welche Aufgaben hinterlassen Sie Ihrem Nachfolger also?

P. Helmut Scharler: Der Anfang war geprägt von Spontaneität, Initiative und Aufbruchsstimmung. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“! Nun muss diese Entwicklung alltagstauglich werden. Es geht um Vermittlung, Akzeptanz, Aufbau von tragfähigen Strukturen und planmäßiges Voranschreiten. Wir müssen die Interkulturalität in die Häuser der Provinz bringen.
Wichtig wird auch sein, die Charismen anderer Traditionen in unser Apostolat einfließen zu lassen wie z.B. das Heil- und Gesundheitswissen aus Afrika, Meditationstechniken aus Indien, um nur ein paar zu nennen.
Interkulturalität kann eine Lebensweise werden. Die Psychologie weiß: Die Angst vor dem Anderen, dem Fremden ist die Angst unserer eigenen Seele, die Angst vor dem Fremden und Unbekannten in uns. Sich diesem Fremden anzunähern und sich damit vertrauter zu machen, ist damit auch ein Dienst an der Gesellschaft.

„Ich suche nach Geborgenheit
und Geschwisterlichkeit“

Was war Ihr schönstes Erlebnis und Ihre größte Enttäuschung?

P. Helmut Scharler: Ich möchte das generell beantworten: Wenn etwas für einen Mitbruder gut ausgegangen ist, wo wir zuvor gemeinsam gerungen und gekämpft haben, war das berührend und ein kleineres oder größeres Wunder. Enttäuschend war es für mich immer, wenn ich in die Gefahr kam, vom Alltag aufgefressen zu werden und mich im Kleinkram und Papierkram zu verlieren. Ich wollte Pallottiner werden, um einer Vision zu folgen. Zwei Dinge sind für mich da wichtig: Erstens, wo ich angenommen bin und sein darf, wie ich bin, und zweitens, wo ich in meiner Arbeit „aufgehen“ darf. Wenn diese beiden Bedingungen zusammentreffen, gehe ich überall hin, wo immer es auch sei. Da finde ich Leben.

Jetzt gehen Sie ja wahrscheinlich nach Vallendar an die Universität. Was erhoffen Sie sich dort?

P. Helmut Scharler: Eigentlich wollte ich ja zurück in die therapeutische Arbeit gehen. Aber auch die Möglichkeiten unserer Hochschule begeistern mich, sowohl mit ihrer interkulturellen Ausrichtung als auch mit dem psychologisch-therapeutischen Fächern. Ich hoffe, die Erfahrungen als Provinzial dort einbringen zu können und mich weiterhin für die Themen unserer Gesellschaft, Kirche und pallottinischen Welt zu engagieren.

Interview: Alexander Schweda

Vita
Pater Helmut Scharler wurde 1956 im österreichischen Mittersill (Oberpinzgau) geboren. Nach dem Studium der Musik und Theologie in Salzburg und Vallendar und dem Eintritt in die Gemeinschaft der Pallottiner wurde er 1992 durch den Salzburger Erzbischof Karl Berg zum Priester geweiht. Danach war er mehrere Jahre in Wien in der Seelsorge tätig und absolvierte eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. Ab 1999 gehörte er zur örtlichen Kommunität der Pallottiner in Salzburg und war im spirituellen Zentrum „Cambio“ auf dem Mönchsberg in der therapeutischen Seelsorge tätig. Neben der spirituellen und therapeutischen Leitung von Seminaren begleitete er Ordensgemeinschaften und Menschen in Krisen. Bereits seit 2010 war er als Vizeprovinzial Mitglied der Provinzleitung, 2013 wurde er zum Provinzial gewählt.

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