Gerade noch mal gut gegangen

"Ein anderer wird dich führen, wohin du nicht willst."

Wozu legt uns ein „priesterlicher Therapeut“ die Zwischenbilanz seines Lebens vor? Wer die Autobiografie Pater Dr. Jörg Müllers in die Finger bekommt, wird sie in einem Rutsch zu Ende lesen. Das liegt einerseits daran, dass Pater Müller in nur 80 Seiten auf den Punkt kommt; andererseits, dass da einer berichtet, der eine Mission hat, die er nicht für sich behalten kann.

Dreimal ist er in seiner Schullaufbahn sitzen geblieben, drei Studienabschlüsse musste er erwerben, drei Berufe – Theologe, Lehrer, Therapeut – erlernen. Seine T-Shirt-Fabrik in Tunesien ging pleite. Erst mit 51 Jahren hat er sein eigentliches Ziel erreicht: Er wurde Pallottiner, Priester und gründete die „Heilende Gemeinschaft“ in Freising.

Man merkt schon auf den ersten Seiten: Er ist ein Kämpfer, einer, der nicht aufgibt. Jemand, der immer mehrere Eisen im Feuer hat: Gottesdienst halten, unterrichten, beraten, als Kabarettist auftreten, reisen und erforschen, Kontakt halten, Bücher schreiben. Seine Autobiografie ist sein 67. Buch – unglaublich! Dabei ist er alles andere als angstfrei, aber er hat seine Angst im Griff, nicht umgekehrt. Er ist ein Rebell, jemand, dem das Wort „normal“ oder „unmöglich“ verdächtig vorkommt; ihm gehen Bürokratie, Arroganz oder Engstirnigkeit auf die Nerven.

Er ist immer noch neugierig auf interessante Menschen. Interessant waren für ihn immer auch Männer und Frauen, die „der Versöhnung und Heilung bedürfen“. Als Therapeut bezieht er die religiöse Komponente immer dann mit ein, wenn der Glaube oder das Gottesbild einer Klientin am seelischen Ungleichgewicht beteiligt ist. Dafür ist Pater Müller mittlerweile bekannt, es hat sich herumgesprochen, dass auch die Ängste und Schuldgefühle dieser Menschen im Freisinger Therapiekonzept ihren Platz erhalten. Warum sollten ein krankmachendes, falsches Gottesbild und eine verklemmte religiöse Erziehung nicht thematisiert werden? Der Erfolg gibt seinem Team der „Heilenden Gemeinschaft“ recht. Es bietet leidenden Menschen seine ein- bis dreiwöchige Begleitung an. „Neben der therapeutischen Bearbeitung von Depressionen, Ängsten, Sinnkrisen, psychosomatischen Störungen, Beziehungsproblemen und Schuldkomplexen, werden auch die Versöhnung mit den Tätern, die Vergebung alter Verletzungen und eine Korrektur des oft falschen, angstbesetzten Gottesbildes thematisiert.“
Und jetzt zur Mission des Buches: Das begeisternde und berührende an dieser Autobiografie ist das „Getragensein im Göttlichen“, das der Autor in zahlreichen Alltags- und Krisensituationen wahrnimmt und – oft launig, ja schelmisch – beschreibt. Pater Müller ist überzeugt, dass Gott unser Leben mit uns lebt und wir mit ihm in Beziehung treten können. Wie die Schokoladenstückchen in einer Stracciatella-Eiskugel, sind diese göttlichen Zeichen, Anfragen und „Umleitungsschilder“ in seinen Lebenslauf eingesprenkelt. Beim Lesen kommt einem schnell der Verdacht, dass vielleicht auch unserer Leben voller göttlicher Liebesbeweise und Hinweisschilder sein könnte, dass es aber ein offenes, mutiges Herz und spirituelle Wachsamkeit braucht, um unsere Zeichen beizeiten wahrzunehmen.

Mit dieser Offenheit stellt sich der Autor auch den Grenzbereichen der religiösen und wissenschaftlichen Erklärbarkeit. Für ihn ist nicht nur existent, was man sehen und beweisen kann. Dazu gehören beispielsweise Marienerscheinungen, Engel, Heiler und Auren-Leser oder Menschen mit Besessenheit. Gleichzeitig warnt er vor dem Okkulten.

„Gerade noch einmal gut gegangen“ ist bei aller inhaltlichen Tiefe ein amüsantes Buch mit vielen spannenden Anekdoten, die die Leser schmunzeln lassen. So beschwert er sich in einer Geschichte gemeinsam mit Oskar Lafontaine beim Schuldirektor, kommt nach einer Panne zu spät in die Generalprobe am Trierer Stadttheater, gewinnt Zarah Leander und Dieter Thomas Heck für sein „Radio Piccolo“, entgeht nur knapp dem Untergang einer griechischen Fähre, kommt einen Tag ins Gefängnis oder bleibt mit seinem R4 in der algerischen Sahara im Sandsturm stecken.

Gerade noch einmal gut gegangen Autobiografie Pater Jörg Müller SAC

Jörg Müller
„Gerade noch einmal gut gegangen – Wie Gott mich führte“
Edition Steinkopf, Lutherische Verlagsgesellschaft mbH, Kiel 2020, 9,95€
ISBN 978-3-87503-255-0

Rezension: Josef Eberhard
Cover-Bild: Edition Steinkopf, Lutherische Verlagsgesellschaft
Foto: P. Jörg Müller

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