Pater Wolfgang Weiss SAC

Vom Tiber in Rom an die Lahn zurückgekehrt

Würde der 1850 verstorbene römische Priester Vinzenz Pallotti heute leben, würde ihn die Mediengesellschaft als Meister des networking, also der Vernetzung, verehren. Was heute Handys und Computer weltweit verbinden, erreichte der engagierte Seelsorger vor 200 Jahren durch seine Gabe, Menschen zusammenzuführen, die für die Reform der Kirche arbeiten wollten, indem sie Not leidenden Menschen beistehen. Gemeinsam sollten seine Networker der weltweiten Armut entgegenwirken und den Glauben entfachen, indem sie Menschen die grenzenlose Liebe Gottes weitergeben.
Die Networker waren Brüder und Patres, die sich von Pallottis Vision angesprochen fühlten, seinem Ruf zu folgten und seine Ziele als Pallottiner umzusetzen.

Irgendwo in der Welt – für Gott und die Menschen
Einer von ihnen ist Wolfgang Weiss, Sohn einer schlesischen Gastwirtsfamilie. Der heute 86-Jährige war schon als junger Mann von der Idee begeistert, irgendwo in der Welt für Gott und die Menschen zu arbeiten. Er hat sich seinen Traum erfüllt und nach Krieg, Vertreibung und harten Jahren der Entbehrung eine steile Karriere erlebt, die ihn, den weitgereisten Pater, unter anderem für 40 Jahre nach Rom in die Zentrale der pallottinischen Gemeinschaft führte. Dort hat er aus der Sixtinischen Kapelle vier Mal weißen Rauch aufsteigen sehen, das Zeichen für die erfolgreiche Papstwahl. Im vergangenen Jahr ist Pater Weiss in das Missionshaus der Limburger Pallottiner eingezogen und sagt: „Ich habe mich hier gleich heimisch gefühlt, hier fühl ich mich wohl.“

Dem lebensfrohen, großgewachsenen Gottesmann sieht man sein Alter weiß Gott nicht an. Hier und da blinzelt sein Humor durch, wenn er Mitbrüdern Geschichten erzählt, von denen sie am Ende zweifeln, ob das denn alles so stimmt. „Da macht meine Fantasie manchmal Überstunden“, sagt der Pater und lässt seiner Freude freien Lauf. Aber warum soll es in der Kommunität nur ernste Mienen geben? Das wäre nicht gottgewollt, ist er sich sicher.

Reise ins Unbekannte
Wolfgang Weiss teilt das Schicksal, das zahlreiche seiner aus den Ostgebieten stammenden Mitbrüder erleben mussten. Er war 13 Jahre alt als er mit seiner Mutter sowie einem jüngeren und einem älteren Bruder im April 1946 auf polnischen Befehl seine schlesische Heimatstadt Frankenstein verlassen musste, wo schon die Großeltern das Gasthaus „Zu den drei Rosen“ betrieben. „Wir hatten damals kein Radio, Fernsehen sowieso nicht. Man war auf Gerüchte angewiesen und auf das, was auf der Litfaßsäule stand“, erzählt Weiss. „Dort konnte man lesen, aus welchen Straßenzügen sich die Einwohner am nächsten Morgen zur angegebenen Zeit an einem Hotel nahe des Bahnhofs zum Abtransport in den Westen einfinden mussten. Am Hotel wurde kontrolliert, was sich in dem 20 Kilo Gepäck befand, das pro Person mitgenommen werden durfte. Es waren nur Kleidung und Lebensmittel erlaubt.“

Ohne ihren Vater, der in französische Gefangenschaft geriet, führte die Reise ins Unbekannte. „In der britischen Besatzungszone, im Teutoburger Wald, wurden wir auf die Dörfer verteilt. Dort machte ich in Hollage die Schule fertig und dann eine kaufmännische Lehre im benachbarten Osnabrück“, berichtet Weiss; eine Ausbildung, die ihm später im Kloster die Weichen nach Rom stellen sollte. Dank des Roten Kreuzes konnten Mutter und Söhne Ende 1946 ihren Ehemann und Vater wieder in ihre Arme schließen.

In ihrer Heimatstadt Frankenstein, dem heutigen Ząbkowice Śląskie – 65 Kilometer südwestlich von Breslau – befand sich die erste Niederlassung der Limburger Pallottiner in Schlesien. „Meine Eltern gehörten dort zu den Wohltätern des Klosters und als sie den Dankgottesdienst anlässlich ihrer Goldenen Hochzeit feierten, war es selbstverständlich, dass wir drei Enkelsöhne als Messdiener mitwirkten“, begründet Weiss seine Kontakte zu den Brüdern.

Aus Frankenstein nach Kanada
Und weiter: „Ich war entschlossen, ins Kloster zu gehen; denn ich wollte Pater werden und in der Mission arbeiten. Als ich hörte, dass die Pallottiner in Limburg eine Schule für Spätberufene führen, habe ich mich dort beworben und wurde angenommen.“ Der 86-Jährige erinnert sich und lacht: „Der Rektor antwortete sogleich, dass ich die Wäschenummer 364 hätte.“ Das Limburger Bischof-Vieter-Kolleg war damals stark nachgefragt und es musste ja alles seine Ordnung haben. Die letzten Jahre bis zum Abitur wurden die Schüler am städtischen Gymnasium beschult. Weiss erinnert sich noch lebhaft an Oberstudiendirektor Engelhard und an seinen „guten Deutschlehrer“ Dr. Böhlen, der die Spielschar leitete und meinte, ich hätte eine tragende Rolle: „Ich habe Kulissen getragen.“

Für Wolfgang Weiss folgte das Noviziat und die erste Profess, die er 1958 ablegte, so dass er am 25. April vorigen Jahres mit zwei Mitbrüdern in Limburg die Diamantene Profess feiern konnte. Nach dem erfolgreichen Besuch der Hochschule in Vallendar, empfing er am 17. Juli 1962 die Priesterweihe in der dortigen Wallfahrtskirche und schipperte bereits zehn Monate später mit dem Schiff seekrank nach Kanada.

Erste Station war Edmonton in der Provinz Alberta. Weiss: „Dort war ich an einer Schule, in der über 20 Pallottinerpatres unterrichtet haben, die sich auch um die Auswandererseelsorge kümmerten; denn die Kanadier hatten um Einwanderer geworben. Ich sollte ebenfalls Lehrer werden und hatte Englisch gelernt, Geschichte und Erdkunde studiert. Doch nach vier Jahren wurde ich abgerufen und kam im Mai 1967 als Sekretär des Generaloberen nach Rom. Als Kaufmann hatte ich Steno und Schreibmaschine gelernt und so jemand brauchten die in Rom.“

Doch fünf Jahre später führte der Ruf seiner Vorgesetzten zurück nach Kanada. „Dort war bereits der Priestermangel zu spüren und ich wurde Pfarrer in der deutschsprachigen Gemeinde in Kitchener (Ontario). Es war eine große Gemeinde, bestehend aus den Nachfolgern deutscher Einwanderer im 19. Jahrhundert“, erklärt Weiss. Doch auch dort war die Mission von Pater Weiss im Herbst desselben Jahres schon wieder beendet. Im Januar 1978 führte sein Weg wieder nach Rom. Er war zum Generalsekretär der Pallottiner gewählt worden und lebte fortan in dem Haus, in dem schon Vinzenz Pallotti mit seinen ersten Gefährten gewohnt hatte.

Für die Pallottiner um die Welt
Doch das Zentrum der Pallottiner in der Ewige Stadt sollte nur zwölf Jahre die Heimat von Pater Weiss bleiben, der im Frühjahr 1990 in die katholische deutsche Gemeinde in London berufen wurde, deren Pfarrer er drei Jahre lang blieb, bis erneut Rom nach ihm rief. Dort wurde er im Dezember 1992 erstmals zum Generalrat gewählt und war fortan für zwölf Jahre Mitglied der Generalleitung: ein Gremium, das in einer Diözese mit dem Domkapitel vergleichbar ist. Die Generalleitung berät, fasst Beschlüsse und gibt geistliche Impulse, die für alle damals 2.300 Pallottiner galten.

Die Hauptaufgabe von Pater Weiss bestand nunmehr in Visitationen der pallottinischen Niederlassungen. „Ich war in Indien und lag dort mit Malaria im Krankenhaus. Meine Wege führten nach Kamerun, Südafrika, Kenia, Tansania und in weitere Länder. Dort habe ich die Mitbrüder besucht, die sich immer gefreut haben, dass Rom sich um sie kümmert. Es gab auch Missionare auf Einzelstationen, die dankbar waren, wenn sie von ihrer Arbeit und Problemen berichten konnten“, sagt Weiss. Wiederholt besuchte er die Audienzen von Papst Johannes Paul II.: „Der hat jedem von uns einen Rosenkranz geschenkt und darauf hingewiesen, dass wir ihn auch beten sollen.“ Karol Józef Wojtyła kannte die Pallottiner schon als Junge, gründeten sie doch in seiner Heimatstadt Wadowice die erste Niederlassung in Polen.

„Zwölf interessante Jahre“, sagt Weiss und lächelt. Als sodann mit Fritz Kretz 2004 ein deutscher Pallottiner in Rom zum General gewählt worden war, betraute dieser den erfahrenen Landsmann mit Englisch- und Italienisch-Kenntnissen für die folgenden sechs Jahre mit den Aufgaben seines persönlichen Sekretärs. Damit nicht genug; denn nach einem weiteren Wechsel an der Spitze durch die Wahl eines indischen Paters, wurde Weiss Vizerektor und war 2010 im Generalat für Übersetzungen zuständig. In dieser Zeit feierte er heilige Messen mit der römischen Gemeinschaft Sant’Egidio, einer öffentlichen Vereinigung von Gläubigen in der Kirche.

Zuhause in Limburg
Im Juli 2017 zog es Pater Weiss in die Bischofsstadt Limburg. „In den Ferien war ich immer hier und habe nie den Kontakt zu den Limburger Mitbrüdern verloren. Ich wollte nach Besuchen in aller Welt und 40 Jahren Rom heimkehren“, sagt der 86-Jährige und meint lächelnd: „Es ist ein Wunder, dass ich noch Deutsch kann.“

Er pflegt Kontakte zu seinen beiden Brüdern in Berlin und im Harz. Beide hat er besucht und unlängst seinem jüngeren Bruder nach 60 Ehejahren zur Diamantenen Hochzeit gratuliert. Nach all den anstrengenden Jahren darf sich Pater Weiss nun öfter mal zurücklehnen und seinen Hobbys frönen, der gerne klassische Musik hört, Biografien liest und für seine Mitbrüder die heilige Messe feiert.

Im Oktober besuchte er seine Heimatstadt Frankenstein, aus der seine Familie vertrieben wurde. Dort feierten die Pallottiner das hundertjährige Bestehen der Niederlassung. Sie waren nach dem Krieg von Warschau gekommen und hatten mich eingeladen“, sagt er mit Freude und Dankbarkeit für eindrucksvolle Erlebnisse.

Text und Bilder: Dieter Fluck

Papst Johannes Paul II und Pater Wolfgang Weiss SAC
Pallottinerpater Wolfgang Weiss lernte in seiner 40-jährigen verantwortlichen Tätigkeit in Rom vier Päpste kennen. Das Foto aus seinem Privatarchiv zeigt ihn bei einer Begegnung mit Papst Johannes Paul II, der von 1978 bis 2005 amtierte.

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