Pater Dr. Emmanuel Savariaradimai SAC

Wir haben die Kinder aus dem Steinbruch geholt

Auf die Erfolge der Pallottiner in Madurai, im indischen Bundesstaat Tamil Nadu, kann er zu Recht stolz sein: „Heute arbeitet kein Kind im Steinbruch. Die armen Familien – auch Eltern, die heute noch im Steinbruch arbeiten – schicken ihre Kinder auf unsere Schulen. Am Anfang werden die Kinder in unserem Kindergarten gefördert, dann in der Grundschule und später ist sogar ein Abiturabschluss möglich. Vier Jahrgänge konnten an unserem Gymnasium bereits ihren höheren Abschluss machen. Die Eltern sind stolz auf ihre Kinder, die Englisch sprechen können und eine Schuluniform besitzen. Das war nicht immer so. Wir mussten am Anfang viel Überzeugungsarbeit leisten, da die Angehörigen der unteren Kasten dachten, Bildung sei nur etwas für Reiche bzw. nur für höhere Kasten.“

The missing girls
Ein grausames Phänomen, das den Pallottinern früher großes Kopfzerbrechen bereitet hat, gibt es in der Region um Madurai Gott sei Dank auch nicht mehr. Nach der Geburt wurden von den Familien viele Mädchen getötet. In den ersten Grundschulklassen waren es 20 Jungen und höchstens 10 Mädchen. Dafür war die Region damals berüchtigt. Die Mitbrüder redeten mit den Familien, schickten Frauen als Beraterinnen in die Dörfer, präsentierten die Themen bei Schulveranstaltungen auf der Bühne. Gleichzeitig wurden die Gesetze strenger. Beispielsweise ist es Ärztinnen bei Strafandrohung verboten, den Eltern bei Ultraschalluntersuchungen zu verraten, welches Geschlecht ihr Kind haben wird. Heute ist der Anteil von Jungen und Mädchen an den Schulen der Pallottiner ausgeglichen.

Kinderehen gibt es nicht mehr
Heute gehen auch die Mädchen der armen Familien in die Schule und werden nicht schon nach der ersten Monatsblutung verheiratet. Trotzdem werden Mädchen für europäische Verhältnisse manchmal sehr jung schwanger und haben daher keinen Schulabschluss oder keine Ausbildung. „Wir bieten jungen Frauen in unserer Nähschule eine Ausbildung zur Näherin, damit Sie ein eigenes Einkommen erzielen können. Auch die Erstausstattung für ihr kleines ‚Start-up‘ bekommen sie von uns“, erzählt Pater Emmanuel stolz. Da die Regierung jüngst angeordnet hat, dass außerschulische Aktivitäten nicht mehr in Schulräumen stattfinden dürfen, baut die kleine Gemeinschaft jetzt nebenan einen eigenen Saal für die Frauen, die mittlerweile auch aus der weiteren Umgebung zu den Pallottinern kommen.

Bildung muss konkret werden
Im eigenen Programm des Bildungshauses bieten die Pallottiner Vorträge und Wochenendseminare an. Daneben wird das Haus von staatlichen und gemeinnützigen Organisationen als Schulungszentrum genutzt. Ob es auch kritische Themen gibt? Pater Emmanuel lächelt, dann sagt er nachdenklich: „Wir indischen Christen sind eine Minderheit in unserem Land. Unsere Arbeit ist nur deshalb erfolgreich, weil wir mit der Mehrheit offen und fair zusammenarbeiten. Natürlich gibt es in unserem Seminarprogramm auch aktuelle Reizthemen, beispielsweise aus den Themenbereichen Umweltschutz, Naturschutz, Menschenrechte, Unterdrückung von Frauen bzw. Frauenrechte. Teilweise bekommen wir in den Seminaren Besuch vom Intelligence Service, einem Art Bundesnachrichtendienst. Die Agenten verfassen Protokolle für die Behörden. Sie sind übrigens meist sehr nett.“

Erfahrungsgemäß werden die Seminare nur dann voll, wenn sie „handfeste Themen“ behandeln, die mit dem Alltag der Leute etwas zu tun haben, wie Trinkwasserknappheit oder lokale Umweltprobleme.

PILLAR ist eine Marke mit Zukunft
Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schule, Nähschule und Bildungshaus befinden sich unter einem gemeinsamen Dach, dem PILLAR-Center. Das Wort PILLAR kennen alle in Madurai, es ist die Abkürzung für Pallotti Institute of Lay Leadership Animation and Research. Die dazugehörigen Einrichtungen haben einen guten Ruf.

Gibt es Pläne, wie das pallottinische Zentrum in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden kann? „Ja, die gibt es! Ich mache mir Sorgen um die Zukunft unserer Einrichtungen. In unsere Schule kommen 472 Kinder, alle sind aus dem Dorf, alle von armen Familien. Die Schule ist nur überlebensfähig, weil uns unsere Wohltäter in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit ihren Gaben unterstützen. Die gegenwärtige Politik der Regierung um Premierminister Modi ist konservativ und nationalistisch. Finanzierungen aus dem Ausland könnten in Zukunft als ‚Einmischung ausländischer Interessen‘ interpretiert und unterbunden werden. Das ist nach meiner Meinung einerseits Unsinn, da wir selbst Inder sind, für alle Bevölkerungsgruppen offen sind und mit allen partnerschaftlich und fair zusammenarbeiten, andererseits unterstützen wir tatsächlich die unteren Kasten und die Ureinwohner des Landes. Mit Bildung bekommen Sie mehr Selbstbewusstsein und mehr Chancen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das wird gerade von Hindu-Nationalisten nicht immer unterstützt.“

„Mein Traum wäre, dass wir finanziell unabhängiger wären. Deshalb sollten wir sehr bald darüber nachdenken, wie wir irgendwann auf eigenen Füßen stehen können. Mir schwebt der Bau einer kleinen englischsprachigen Privatschule in der Stadt vor. Eliteschulen, sogenannte Convent Schools, sind sehr gefragt und wir könnten mit dem Schulgeld unsere Schule für arme Kinder unterhalten. Wir sollten das, aufgrund der aktuellen politischen Situation, möglichst bald angehen.“

Indien zwischen Steinbruch und Mondlandung
In Indien gibt es immer noch so viel Elend. Gleichzeitig investiert der Staat in ein Weltraumprogramm und Indien wird als viertes Land – nach den USA, Russland und China – auf dem Mond landen. Passt das zusammen? „In der großen indischen Zeitung ‚The Hindu‘ war gestern ein Cartoon abgedruckt. Im Hintergrund startet die Trägerrakete, im Vordergrund steht ein armer Mann und sagt: ‚I hope they find water here, and not on the moon.‘ Viele indische Intellektuelle kritisieren dieses Raumfahrtprogramm. Es ist ein Prestigeprojekt der Reichen und Mächtigen. Die oberste Schicht wird sich aber auch ohne dieses Projekt nicht um unsere Steinbruchleute kümmern. Deshalb müssen wir das tun!“

Arbeiter im Steinbruch bei Madurai
Steinbruch in Indien - hier mussten auch Kinder schuften
Mittagessen im Kindergarten der Pallottiner
Karate - Selbstdisziplin und Selbstverteidigung für Frauen
Chemielabor in der Pallotti Schule in Madurai
Feier des Annual Day im Pillar Center in Madurai
Nähschule im Pillar Center in Madurai
Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums in Madurai
Grundschule im Pillar Center in Madurai, Indien

Das Interview mit Pater Emmanuel führte Josef Eberhard am 24.7.2019 im Provinzialat der Pallottiner in Friedberg. Porträtfoto: Josef Eberhard. Bilder: Pater Emmanuel

Spenden: Online (Spendenzweck: Missionsprojekte, Nachricht: P. Emmanuel)
Spendenkontonummer: Pallottiner Missionsprokura IBAN: DE75720200700007705417 BIC: HYVEDMM408 Stichwort: P. Emmanuel

Kontakt Pallotti School: https://www.pallottischool.in/
Kontakt Pallotti Institute of Lay Leadership Animation and Research: https://www.pillar.center/

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