Knast-Perspektiven

Lesung mit Gefängnisarzt und Schauspieler Joe Bausch

„Ich bin der Hausarzt von Mördern, Totschlägern, Vergewaltigern, Kinderschändern, Erpressern, Betrügern und Dieben. Ich bin RAF-Terroristen begegnet, Wirtschaftskriminellen, Brandstiftern und Frauen, die ihr Baby umgebracht haben. Aber auch von vielen Eierdieben. Im Knast ist alles echt. Hier stehst du nicht mehr auf Brettern, die die Welt bedeuten. Hier stehst du knöcheltief in der Scheiße, bist konfrontiert mit einer Realität, die dir alles abverlangt.“ (Zitat Klappentext „Knast“)

 

Joe Bausch – der Name ist nicht nur eingefleischten Tatort-Fans seit Jahren ein Begriff. In den unterschiedlichsten Rollen flimmerte der Schauspieler bereits über deutsche Fernsehbildschirme. Am 1. Adventswochenende trat der sympathische Hesse mit Glatze und Schnauzbart vor gut 200 Besucher der Vallendarer Pallotti-Kirche auf – und begann zu erzählen. Nur selten blickte er in den zwei Stunden in sein neues Buch „Knast“ und las ein paar Passagen (er wollte doch dem Titel „Lesung“ gerecht werden). Viel mehr plauderte er aber aus dem Nähkästchen. Aus einer Welt der Fremdbestimmung. Einer Welt, die von Schließvorgängen geprägt ist. Wo ein Schwerstkriminelle ihre Zimmernachbarn fürchten. Oder man den neuen Arzt diverser Straftaten beschuldigt – einfach um zu schauen, was passiert. Doch handelte es sich dabei nicht um ein Drehbuch, nicht um den neuesten Tatort. Es ging um den Alltag in der Justizvollzugsanstalt Werl, in der Bausch seit 30 Jahren Anstaltsarzt (bzw. „Leitender Regierungsmedizinaldirektor“) ist.

Eine Justizvollzugsanstalt und dazu noch ein Hochsicherheitsgefängnis wie im nordrhein-westfälischen Werl ist keine Welt, die Mensch-Sein fördert. Im Gegenteil, sie schränkt die urmenschlichen Bedürfnisse nach Freiheit, Intimität und Respekt massiv ein. Über 800 Schließvorgänge in der Schicht eines Vollzugsbeamten, die veränderte Wahrnehmung von Zeiträumen, die Ausgesetztheit in einer Gemeinschaftszelle, die Grundatmosphäre des Misstrauens setzen zu und machen den Schritt in die anschließend von der Gesellschaft doch bezweckte Resozialisierung noch schwerer als ohnehin. Gewalttätige, so berichtet der Mediziner, seien durchaus häufig selbst als Opfer von Gewalt (gewesen). Das entschuldige niemanden, zeige aber die Notwendigkeit, präventiv, aber auch vor Ort Gewaltspiralen zu durchbrechen. Die wichtigste Grundlage sei der Aufbau von Vertrauen, wobei dem Anstaltsarzt als gut zugänglichem Ansprechpartner eine wichtige Rolle zukomme.

Plastisch und drastisch weiß der Autor die ganz besondere Welt und Denkweise Schwerstkrimineller, die nicht selten unter Drogenabhängigkeit und psychischen Störungen leiden, wie auch ihre kreativen Fluchtversuche zu schildern. Ironische Überzeichnung ist dann wohl auch ein Selbstschutz, um den jahrzehntelangen Umgang mit Menschen, die Empathiefähigkeit nie ge- oder verlernt haben, die bei anderen Ängste schüren, um sich ihren eigenen nicht auszuliefern, die allen Respekt vor anderen und auch sich selbst verloren haben, auszuhalten, ohne ein verbitterter Zyniker zu werden. Schmunzeln gegen die Tristesse.

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So bleibt auch bei allem Sarkasmus, der manchmal in Bauschs Erzählungen aufscheint, der Menschenfreund sichtbar, der in seiner Jugend von  einer Karriere bei den flying doctors geträumt hatte und dafür eintritt, dass auch Gewaltverbrecher nach Abbüßung ihrer Strafe eine Chance verdient haben. So plädiert der Mediziner mit Unterstützung seines Anstaltsleiters für öffentliche Einblicke in diesen tabuisierten Ort. Unter Wahrung der Würde und der Persönlichkeitsrechte der Insassen könne dies mit dazu beitragen, sachlich, nüchtern und fern aller Sozialromantik Wege für eine Wiedereingliederung von Straftätern zu eröffnen. Vehement wehrt sich allerdings der Schauspieler, der gerne Gelegenheiten wahrnimmt, in Talkshows zum Thema Gewalt Stellung zu beziehen, gegen die von den Medien stark beförderte „Betretenheitskultur“, die sich im Baden von  Betroffenheitsgefühlen erschöpft und jedes frühzeitige Hinsehen vermeidet. Wo Einmischung gefragt wäre, um frühzeitig Gewaltbereitschaft zu entdecken und ihr mit Wort und Tat zu begegnen.

Neben seiner alltäglichen Arbeit setzt sich der Schauspieler mit seinen Kollegen aus dem Kölner Tatort daher auch mit dem Tatort-Verein „Straßen der Welt“ weltweit dafür ein, Kinderrechte zu fördern, Armut zu bekämpfen und nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Diesem Projekt ist auch der Erlös des Abends zugedacht, der von Pallottiner Pater Alexander Diensberg SAC mit nicht ganz neuen, aber erschreckend aktuell gebliebenen zeitkritischen Lieder (auch aus eigener Feder) musikalisch ergänzt wurde.

 

So machte die so informative wie kurzweilige WortWeise spezial neugierig auf ein Weiterlesen des im Anschluss zahlreich gekauften und signierten Buchs, das aufzeigt: Der Knasts nimmt zwar die Aufgabe wahr, Menschen im Interesse der Gesellschaft, die keine Verwendung mehr für sie hat, zu verwahren. Die Perspektive aus dem Knast aber muss sein, den Einsitzenden ein Stück Normalität zurückgeben und eine Chance, die Zeit in der Anstalt zu nutzen, um irgendwann in die Normalität der Gesellschaft zurückfinden zu können. Und unsere Normalität in der Gesellschaft sollte ein aktives Einmischen und Eintreten gegen Gewalt sein. Das eine aus und das andere für den Respekt vor der Würde eines jeden Menschen. ((5.12, Text und Bild: Pressestelle Haus Wasserburg & Pressestelle Pallottiner))

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