Bruder Egbert Kinner SAC

- Organist hinter Gittern

Der bekannte Organist Cameron Carpenter, den die Musikwelt als Revolutionär an der Orgel preist, hat einmal in einem Interview gesagt: „Für die Orgel würde ich ins Gefängnis gehen.“ Was der 36-jährige Amerikaner gemeint hat, um seine Sucht auf dieses Instrument zu betonen, das ist für Egbert Kinner einmal pro Woche ganz selbstverständlich. Der Pallottinerbruder spielt seit über 50 Jahren jeden Samstag die Orgel in der Limburger Justizvollzugsanstalt.

Dieses Jubiläum spricht für eine ungewöhnliche Leistung. Deshalb ließ es sich Bischof Georg Bätzing bei seinem Antrittsbesuch in der Limburger JVA an Weihnachten 2016 nicht nehmen, den fleißigen Organist für seinen musikalischen Dienst hinter Gittern zu ehren. Dort hatte unser Mitbruder wie üblich die Feier bei Kerzenlicht, Plätzchen und Stollen mit Liedern stimmungsvoll auf dem Klavier begleitet.

Unterwegs

Egbert Kinner, inzwischen 84 Jahre alt, hat weder Musik studiert noch ein Diplom erworben. Dafür bot sich in seiner Jugendzeit keine Chance. Mit seiner Mutter und vier älteren Geschwistern wurde der Neunjährige 1945 unter dramatischen Umständen von Russen und Polen aus der schlesischen Heimat vertrieben und kam in Friesland unter. Sein Vater gilt nach den letzten Kämpfen vor Kriegsende gegen die Russen in Liegnitz bei Berlin als vermisst. Nach der Schulzeit hieß es arbeiten. Egbert ging im westfälischen Coesfeld in eine Gärtnerlehre für Blumen- und Zierpflanzenbau.

Musik und Theaterspielen faszinierte ihn. Deshalb schloss er sich der örtlichen Sing- und Spielschar an, die als Erster Preisträger im ganzen Münsterland bis hin nach Köln Furore machte. Er lernte das Gitarrenspiel und musizierte bei der Christlichen Arbeiterjugend in der Tanzkapelle „Teddy Boys“. Doch das berufliche Weiterkommen ging vor. 1952 ging Egbert mit 17 Jahren „auf Wanderschaft“, die ihn in ein Dutzend deutsche Städte führte, von Hamburg bis in die Schweiz (dort sang er sogleich im Kirchenchor), von Stuttgart bis Kaiserslautern. Er wurde Landschaftsbauer.

Mit Motorrad und drei Mitbrüdern

Egbert Kinners Weg zu den Pallottinern begann in der Freisinger Versuchsgärtnerei der Technischen Hochschule München. Dort lernte er einen optimistischen, frohen Pallottiner kennen, der heute in Südafrika tätig ist. „Ich bewarb mich daraufhin 1964 bei der Norddeutschen Pallottinerprovinz in Limburg und wurde samt Motorrad mit drei Kandidaten aufgenommen“, berichtet der Bruder und fügt im selben Atemzug hinzu: „Zuerst fuhr ich ein letztes Mal mit meinem Motorrad nach Friesland und Hamburg, um mich von Freunden zu verabschieden. Ich hatte gemeint, wenn ich mein Leben hinter Klostermauern verbringe, dann könnte ich nicht mehr reisen.“

Ein Trugschluss, wie sich später herausstellte; denn Bruder Egbert führten zwei Studienfahrten 1976 und 1985 in das heimatliche Schlesierland, er machte Urlaub in den Dolomiten, besuchte Salzburg, war in der DDR und in der Schweiz unterwegs, um nur einige Ziele zu nennen. Unvergesslich sind für ihn Radtouren gemeinsam mit einem Klosterbruder vom westfälischen Hamm nach Nordfriesland und zurück, seine Reisen mit dem Vespa-Roller und eine achttägige Wallfahrt nach Lourdes.

In Limburg arbeitete Egbert Kinner in der legendären Pallottiner-Gärtnerei und wurde 1967/68 für ein Jahr der Vakanz mit der Leitung der Gärtnerei an der Theologischen Hochschule der Pallottiner in Vallendar betraut.

Start als „Frühspieler“

Bruder Egbert ist ein geselliger und humorvoller Mensch, der sich sogleich mit Gitarrenspiel in die Fastnachtsveranstaltung einbrachte. Er erhielt Musikunterricht beim Limburger Pfarrorganisten Theodor Lebeda, zunächst an einem Harmonium, später an der alten Orgel in der Kirche St. Marien. Fortan begleitete er Klosterbrüder und Gläubige der Pfarrei morgens als „Frühspieler“ an Sonn- und Feiertagen in den ersten Gottesdiensten, spielte zu Requien und aushilfsweise im Konventamt.

Leichte Lieder für schwere Jungs

Auch sein Wechsel 1989 von der Gärtnerei in die Verwaltung mit neuen Aufgaben als Fahrer für Mitbrüder, Hilfspförtner, Telefonist und „Postmann“ änderte nichts an seiner Leidenschaft für die Königin der Instrumente. Bis heute spielt er jeden Samstag um 14 Uhr „leichte Lieder für die schweren Jungs im Knast“ – im Wechsel für katholische und evangelische Gefangene oder auch mal ökumenisch.

Mit dem ihm eigenen hintergründigen Humor verweist der rüstige Senior auf seinen irdischen Lohn für seinen Organistendienst, wofür die Justizvollzugs- an die Missionsanstalt der Pallottiner monatlich 39,04 Mark vergütete. Als er dann das Rentenalter erreichte, stellte die Justitia die Zahlungen ein und Bruder Egbert spielte ab sofort bis heute für Gotteslohn. Da mag es auch nicht verwundern, wenn die Knastbrüder schon mal sagen: „Der Egbert ist einer von uns.“

 

Bericht und Foto: Dieter Fluck

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