Auf dem Weg zur Krippe

Auf dem Weg zur Krippe 24 Ermutigungen im Advent Alexander Schweda (Hrsg.)

Liebe Leserin, lieber Leser, sich tatsächlich auf den Weg zu machen ist einerseits verheißungsvoll. Verlockend sind all die neuen Eindrücke und Erfahrungen. Andererseits scheue ich mich vor dem Packen. Vor einem Jahr habe ich mich auf den Pilgerweg nach Santiago de Compostela gemacht. Den Rucksack zu packen ist schwierig, denn es ist klar, dass ich alles über 200 Kilometer auf dem Rücken schleppen muss. Da kommt es dann auf jedes Gramm und jede Kleinigkeit an. Was brauche ich unbedingt und wo verleitet mich die Gewohnheit – was ist überflüssig? So ist es täglich ein neuer Aufbruch… Ich habe mich auf den Weg gemacht und setze einen Fuß nach dem anderen. Das Frühstück kommt nach ca. 15 Kilometern – nach weiteren 5 bis 10 Kilometern braucht mein Rücken eine Entlastung und ich muss eine Pause einlegen, bis ich dann am Nachmittag in der nächsten Herberge ankomme. Belohnt werde ich mit wirklich tollen Ausblicken und Eindrücken. Am frühen Morgen liegt ein feiner Nebel in der Luft über dem Meer und den Wegen. Sie ist kühl und angenehm, motiviert zum Laufen. Mittags wird es dann fast unangenehm warm. Die Menschen unterwegs grüßen sehr freundlich mit einem „Bon Camino“ und freuen sich sehr über die Pilger. Sie halten aber ein Buch über die Adventszeit in den Händen. Das hat ja so gar nichts mit dem Pilgern zu tun – oder gerade doch? Das Fest ist an sich von Traditionen geprägt und viele Menschen haben genaue Vorstellungen, wie es ablaufen soll. Das ist hilfreich. Zugleich brauchen 2

wir wie beim Pilgern auf unserem Weg Mut und Offenheit für Unbekanntes. Wir können vielleicht im Nebel, vielleicht im Dunkel immer wieder etwas Neues entdecken – etwas, das uns bisher noch nicht aufgefallen ist. Andere Menschen möchten sich nicht mehr auf den Adventsweg machen. Manchmal ist der Rucksack zu schwer geworden, jener im übertragenen Sinne: Erinnerungen an früher, an die Kindheit, die Familie, an Verstorbene… Wer im Rucksack zu viele Weihnachtstraditionen, zu viele feste Er ­ wartungen hat, dem kann auf halber Strecke die „Luft“ ausgehen und er ist übermüdet von Weihnachten, bevor das Fest kommt. Was nehmen Sie mit auf Ihre Adventswanderung in diesem Jahr? Beim Pilgern habe ich gelernt, dass eine gute Landkarte und ein waches Auge für Wegmarkierungen wesentlich sind. Der Rucksack muss alles Wichtige enthalten und hat keinen Platz für Überflüssiges. Nun steht vor uns die Adventszeit. Ich kann Sie nur einladen, sich auf den Weg zu machen und genau zu schauen, was sie mitnehmen wollen. Wir geben Ihnen hier Wegmarken mit, die Ihnen die Orientierung erleichtern können. Ich wünsche Ihnen einen erfahrungsreichen und freudigen Weg auf Weihnachten hin! P. Rainer Schneiders 3

1 Du darfst springen und tanzen, Gotteskind Als ich sie das erste Mal im Arm hielt, hatte ich kein anderes Wort für sie als „Wunder“. Ein kleiner Mensch, wenige Tage alt und so vollkommen. Ihr Herzchen pocht in der kleinen Brust wie eine Taube in der Hand. Ein kleines menschliches Wesen, durchdacht bis in die kleinste Zelle, stark und ohnmächtig zugleich. Ihr Leben hängt ab von der Liebe. Bald macht sie die riesigen Augen auf und blickt umher: erstaunt, grenzenloses Vertrauen. Keine Angst, kein Zweifel, dass die Geborgenheit und Sicherheit des Augenblicks schwinden könnten. Was für ein Wunder! Was für ein Abbild der Liebe! Ein Mensch, neu geboren, zart und klein und doch schon vollkommen. Von Gott geliebt. Was für eine Würde. Von Anfang an. Sie hat Wangen wie verblassendes Abendrot. Die bläulichen Augenlider flattern wie Schmetterlinge. Das Näschen ist wie aus rosa Porzellan, die winzigen Ohrmuscheln wie aus Wachs. Ihre Lippen gleichen einer kleinen Rosenknospe am Morgen. Die makellosen Händchen scheinen aus Marmor gemeißelt. Sie ist ein Wunder der Schöpfung: Juliane, meine erste Enkelin! 4

Juliane, neu ist die Welt für dich, neu ist alles, was nicht im Mutterschoß war. Du bist ein Kind der Liebe; der Liebe deiner Eltern und der Liebe Gottes. Du bist kein Zufall, keine Ansammlung von Materie, die sich irgendwie ins Leben geschmuggelt hat. Du bist der Wunsch Gottes. Gott hat dich in dieses Leben gerufen, weil er dich liebt, noch mehr als deine Eltern dich lieben. Gott hat in jede deiner Zellen ein Universum an Leben und Möglichkeiten gehaucht. Du bist das große Wunder, in das alles hineingelegt ist, was es über Gott zu sagen gibt. Du bist sein Abbild. Von Anfang an. Du brauchst nur zu erwachen und das Leben zu umarmen. Juliane, ich wünsche dir, dass du das Leben lebst mit der Freude eines Welpen und mit der Würde eines Gotteskindes. Du darfst springen und tanzen, lachen und genießen. Diese Welt liegt dir zu Füßen. Ergreife sie! Doch Vorsicht. Diese Welt birgt auch das Böse. Du wirst verletzt werden; nicht nur deine Knie beim Fallen. Du wirst von Klippen stürzen und Verrat trinken. Du wirst weinen, verzweifeln und zweifeln. Ich wünsche dir Menschen, die deine Tränen trocknen, die mit dir schweigen können, wenn es keinen Rat mehr gibt. Ich wünsche dir, dass dann jemand da ist, der dich an deine Würde erinnert, die Würde des Gotteskindes, das niemals tiefer fällt als in Gottes Hand. Eines Gottes, der selbst ein Menschenkind wurde, um bei uns zu sein. 6

Jetzt aber, Juliane, du kleine Prinzessin, will ich dir noch etwas wünschen. Ich wünsche dir Eltern, die dich beschützen. Sie sollen auf dich schauen, wenn du die ersten Schritte machst, und ihre Arme sollen immer für dich offen sein. Ich wünsche dir Eltern, die an dich glauben, die nicht das Scheitern, sondern immer erst die tausend Möglichkeiten in dir sehen, die dein Herz, dein Verstand und deine große Seele bereithalten. Ich wünsche dir Eltern, die dir nicht die Kindheit rauben durch Egoismus und Achtlosigkeit. Sie sollen dich vor dem Grauen, das es tatsächlich gibt, schützen. Ja, sie sollen dir verbieten, das Grauen anzuschauen. Du darfst, solange du an Feen, Elfen, Zauberschlösser und endlose Liebe, an die Guten und das Christkind glaubst, niemals das Grauen in dieser Welt sehen. Sie sollen deine Augen und deine Seele bedecken, wenn das Grauen sichtbar wird. Ich wünsche dir Eltern, die dich loslassen können, wenn du deine Flügel ausbreitest. Ich wünsche dir starke Wurzeln, aber noch stärkere Flügel, damit du dahin fliegen kannst, wohin deine Bestimmung dich weist. Vergiss nicht, dass du Gottes Kind bist, eines Gottes, der auch Mensch und Kind ist, und der dich stark macht wie einen Adler. Es wird der Tag kommen, da bist du kein tollpatschiges Menschenkind mehr, sondern groß und bereit für das Leben, das – trotz allem – wunderschön ist. Vera Novelli 7

2 Advent Nun lasst uns wieder stille werden tief innen still weil's auf der wintermüden Erde Weihnacht werden will lasst die Hände uns reichen gleich was da war oder ist ein Kind uns zum Zeichen Liebe, die nicht wägt, nicht misst lasst uns gute Hirten sein aufmerksam, voller Zuversicht Nähe verschenken, Geborgensein Freude und Licht Emmy Grund 9

3 Glanz strahlt von der Krippe aus ohne „Nun komm, der Heiden Heiland“, den Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) großartig vertonte? Das katholische Gesangbuch „Gotteslob“ hat den Ambrosius-Hymnus, der das Geheimnis der Menschwerdung Gottes betrachtet, in seine Adventslieder (Nr. 227) aufgenommen. Die Übertragung stammt von dem aus der Schweiz stammenden evangelischen Theologen und Kirchenmusiker Markus Jenny (1924 – 2001). Seine Worte sind nah bei Ambrosius, nah bei dem, der „wesenhaft ganz Gott und Mensch“ ist, und nah bei den Gläubigen. Die 4. Strophe im „Gotteslob“ ist bei Ambrosius die sechste. Sie hebt an: „Praesepe iam fulget tuum“. Markus Jenny hat daraus den wunderbaren Vers kreiert: „Glanz strahlt von der Krippe „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!“, heißt es in dem Liedtext, den Dieter Trautwein 1963 verfasst hat. Ja, die Geburt Jesu verheißt Lichtvolles. Mitten in der Dunkelheit. Man kann es auf Altarbildern sehen oder im Museum oder auf christlichen Weihnachtskarten: manchmal malen Künstler die Szene im Stall von Bethlehem so, dass kein Licht von außen Maria, Josef, das Jesuskind, die Hirten, die Tiere beleuchtet. Nein, das Licht geht vom Kind aus. Ob diese Künstler den Hymnus „Veni redemptor gentium“ kannten? Diesen wunderbaren Text hat der große Bischof Ambrosius (339 in Trier geboren, 397 in Mailand gestorben) geschrieben. Martin Luther hat den Hymnus aufgegriffen und ins Deutsche übertragen. Was wäre die evangelische Kirche 10

auf,/neues Licht entströmt der Nacht./Nun obsiegt kein Dunkel mehr,/und der Glaube trägt das Licht.“ Das Licht geht vom Kind aus Ja, aus der Krippe von Bethlehem, letztlich vom göttlichen Kind, vom Erlöser strahlt Glanz aus. Und weiter heißt es, dass dieser Nacht „neues Licht“ entströmt. Erinnert sei an die Gemälde und Weihnachtskarten. Das Licht, das vom Kind ausgeht, macht die Nacht hell. Mehr noch, dieser Glanz fällt auf die Gesichter der Umstehenden: Maria, Josef, die Hirten. Und oft sieht man in diesen „angeleuchteten“ Gesichtern Anmut und Frömmigkeit bei Maria, Nachdenklichkeit und Gebet bei Josef, Staunen und stille Freude bei den Hirten. Gerade die „bestrahlten“ Gesichter der armen und wenig geschätzten Hirten erhalten vom Kind her eine neue Würde. So wird in dieser Weihnachtsszene die Tiefe des christlichen Menschenbildes deutlich: Jesus, der Christus, ist Heiland und Bruder aller Menschen. Alle haben von Gott her die gleiche Würde. Sie muss nicht verdient werden; sie ist Geschenk. Das kündet jedes Weihnachtsfest neu. P. Alexander Holzbach

8 Erst wenn etwas verlorengeht, merken wir, wie wichtig es ist. Zum Beispiel, wenn wir plötzlich nichts mehr riechen könnten. Und was wäre Weihnachten ohne unsere Nase? „Weißt du, was für mich Weihnachten am schlimmsten war?“ Meine Arbeitskollegin schaut mich abwartend an. „Dass ich nichts riechen konnte!“ Sie war an Covid erkrankt und es dauerte bis ins Frühjahr, bis sich alle Symptome der Krankheit wieder zurückgebildet und Geruchs- und Geschmackssinn sich regeneriert hatten. Neben allen Symptomen war für sie der vorrübergehende Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes etwas, was sie sehr belastet hat. Und so freut sie sich schon sehr auf die Advents- Der Duft der Kindheit

und Weihnachtszeit mit all ihren Düften. Aber warum hat ihr das gerade in dieser Zeit so gefehlt? Sie hielt mir eine kleine Dose unter die Nase: Weihnachtstee stand drauf. Sofort war mir klar, was sie meinte. Dieser intensive Geruch nach Zimt und Mandel, nach Orangen und Lebkuchengewürz löste etwas in mir aus: Eine Sehnsucht, wohlige Wärme, das Gefühl von Geborgenheit, die Erinnerung an Eltern und Großeltern, lieb gewonnene Rituale. Schöne Gefühle riechen Wir verbinden viel mit Gerüchen, mit den wohlriechenden Düften ebenso, wie mit denen, die weniger schöne Gefühle in uns auslösen. Der Duft der Weihnachtszeit weckt bei den meisten Menschen schöne Erinnerungen. Glühwein und gebrannte Mandeln machen Lust darauf, über den Weihnachtsmarkt zu schlendern. Meine Kollegin erzählte davon, dass sie früher immer mit ihren Geschwistern und Cousinen um den 3. Advent mit dem Opa einen Tannenbaum geschlagen haben, und es anschließend auf dem Hof Punsch und Waffeln für die Kinder und Glühwein für die Erwachsenen gab. Der Duft von frisch gebackenen Plätzchen lässt so manche Geschichte aufleben: Vom gemeinsamen Backen, dem Teig schlecken, vom Ehrgeiz der Mama, möglichst viele Sorten zu backen und die Plätzchen dann auch bis Weihnachten gut zu verstecken. Wobei es in jeder, wirklich in jeder Familie eine Weihnachtsmaus gab und gibt, die die Dose doch schon vor dem Fest fand und von den Köstlichkeiten naschte. 23

Erinnerungen werden wach Dass der Weihnachtsduft in seiner ganzen Breite offensichtlich dazu gehört, um in jedem Jahr wieder schöne Erinnerungen zu wecken, die eben auch und besonders in diese Zeit gehören, hat die Erkrankung meiner Kollegin gezeigt. Und noch etwas ist uns bewusst geworden und bestätigt sich in jedem Jahr auch in unserer Arbeit wieder: Viele dieser Düfte haben wir zum ersten Mal im Kindesalter wahrgenommen und auch genau dort sind viele Erinnerungen verortet, die dann wieder lebendig werden, wenn wir eben diesen Duft in die Nase bekommen. Ich habe mir vorgenommen, in diesem Jahr besonders aufmerksam die Düfte wahrzunehmen und mir mit den Erinnerungen, die dann hoffentlich geweckt werden, eine ganz besondere Weihnachtsfreude zu machen. Pia Biehl Kleinigkeiten im Pantoffel Wie gerne erinnere ich mich daran, dass Opa uns Kindern vor Nikolaus immer eine Kleinigkeit in die Pantoffeln gesteckt hat, die extra vor die Kinderzimmertüre gestellt wurden. Unvergessen der Besuch des Nikolauses, den ich an seiner Uhr als unseren Onkel identifizierte. Gemeinsames Plätzchen backen, Gedichte lernen, Strohsterne basteln, das Christkind, das die Puppe vor Weihnachten mitnahm und zum Fest mit neuen Kleidchen wieder brachte. Eine ältere Dame lauschte unserem Gespräch mit einem Lächeln und erzählte uns dann, wie sie als junges Mädchen eine Orange zu Weihnachten geschenkt bekam. Eine damals so exotische Frucht. Sie habe niemals den Duft vergessen, der beim Schälen der Orange ausströmte. Immer, wenn Apfelsinen oder Mandarinen geschält würden, käme die Erinnerung daran zurück. 24

9 wie gut das licht riecht wie gut das licht riecht das in unseren herzen aufgegangen ist wie sehr der weihrauch uns mit göttlicher liebe heilsam umhüllt der schrei des lebens zerreißt die nacht und auch die große not der geruch des stalles der ruf der sterne der gesang der engel alles betört mich und weist auf das wunder hin neuanfang in dunkler zeit Michael Lehmler

Dieser Titel ist auch als eBook erhältlich ISBN 978-3-87614-153-4 Sie finden uns im Internet unter www.pallotti-verlag.de Bildnachweis: picture alliance / Alois Litzlbauer (Titel), Thomas Warnack (Titelseite innen), P. Rainer Schneiders (S. 3), Vera Novelli (S. 4), Wilfried Bahnmüller), (S. 8, 11, 30, 44, 49, 54, 63) Rudolf Baier (S. 12, 33, 37), Adobe Stock (S. 15, 18, 22, 25, 26, 34, 40, 43, 57, 58), ben white/unsplash (S. 21), Ellen Dietrich (S. 29), Werner Enders (S. 52) Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Klimaneutral gedruckt auf umweltschonend produzierten Papier – ein kleiner Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung Printed in Germany ISBN 978-3-87614-152-7 (Print) Verlag: © Pallotti Verlag 2023 86316 Friedberg (Bay.) Gesamtherstellung: FRIENDS Menschen Marken Medien Zeuggasse 7–9, 86150 Augsburg www.friends.ag © Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. 64

Pallotti Verlag ISBN 978-3-87614-152-7 Auf dem Weg zur Krippe begegnen uns seit Kindheitstagen 24 Türchen. Auch dieses Büchlein öffnet 24 Türchen zu einem Text und einem Bild. Ein Wegbegleiter durch den Advent sollen diese 24 Ermutigungen für jeden Tag sein. Sie begleiten uns aber nicht nur auf dem Weg zur Krippe, sondern sie machen auch deutlich, dass unser ganzes Leben ein einziger Weg ist, auf dem Gott unser Begleiter ist und den er mit seinem Weihnachtslicht ausleuchtet.

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