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DAS ÄLTESTE CHRISTLICHE

VOLK DER ERDE

Jetzt nimmt das Kirchenoberhaupt das dritte

Objekt aus der Schatzkammer in die Hand und

taucht es in den Myronkessel: das Armreliquiar

von Gregor, dem Erleuchter. Er ist der eigentliche

Kirchengründer. Er kam aus Parthien im heuti-

gen Iran oder aus Kappadokien in der heutigen

Türkei. Tradt III. (König von Roms Gnaden) wollte

vom Christentum nichts wissen. Im Gegenteil. Er

drangsalierte Christen, die in Verfolgungszeiten

in den Kaukasus geflohen waren, und ließ Gregor

in eine Grube sperren. Dort musste er 13 Jahre aus-

harren. König Tradt erkrankte lebensgefährlich

und ließ sich bewegen, Gregor zu holen. Sein Ge-

bet heilte den König. Er durfte 66 Tage das Evan-

gelium predigen; der König ließ sich taufen und

erklärte das Christentum zur Staatsreligion. Das

war der Legende nach im Jahr 301. Und deshalb sa-

gen die Armenier voller Stolz, sie seien das älteste

christliche Volk der Erde.

UNVERBRÜCHLICHE TREUE ZU JESUS CHRISTUS

Wie auch immer. Die Symbole und Riten der Myron-

Weihe in Etschmiadsin zeigen etwas Wunderbares. So

kompliziert das Verhältnis der Patriarchate der Armeni-

schen Kirche untereinander ist, hier steht die Einheit im

Vordergrund. Das sagt die Vermischung der Öle. Kreuz-

reliquie und Lanze sprechen von Golgotha, also vom

Paschamysterium, vom gekreuzigten und auferstande-

nen Jesus Christus, dem Erlöser der Menschen.

Die Kirche Armeniens weiß sich durch alle Jahrhunder-

te mit ihm verbunden. Das Armenische Volk hat ihm

in allem, was es mitgemacht hat (davon und vor allem

vom Genozid 1915 soll hier nicht die Rede sein) unver-

brüchlich die Treue gehalten. Darauf und auf ihre apo-

stolischen Wurzeln ist sie zu Recht stolz. Deshalb auch

das Eingeben von etwas altem Öl in das jeweils neue als

Zeichen der Kontinuität. (Der West-Christ denkt an die

apostolische Sukzession bei der Bischofsweihe.)

JOHANNES PAUL II. GAB DIE RELIQUIEN ZURÜCK

Der Legende nach geht das Öl auf Jesus selbst zurück.

Judas Thaddäus habe etwas Öl mit nach Armenien ge-

bracht, um König Abgar zu heilen. In der Provinz Taron

vergrub er den Rest des Öls unter einer immergrünen

Pflanze. Gregor, der Erleuchter, fand aufgrund einer Vi-

sion diesen Ort und das Öl. Später wurde hier eine Kir-

che errichtet und Johannes, dem Täufer, geweiht als

»Kloster der immergrünen Ölpflanze«. (Heute liegt das

Kloster auf dem Gebiet des Iran.) Die Reliquien Gregor,

des Erleuchters, waren im Mittelalter in den Westen ge-

raten.

Papst Johannes Paul II. gab sie Armenien zurück. Nicht

zuletzt deshalb steht er und die römische Kirche dort

in hohem Ansehen. Die Reliquien Gregors haben in der

2001 neu errichteten Kathedrale von Jerewan einen

würdigen Platz gefunden. Was immer vor 300 war, die

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03. 2016