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des Festes (die Armenische Kirche lebt nur von Spenden)

den Deckel des Gefäßes ab. Karekin II. beginnt mit sei-

nem Gesang.

Ein Bischof bringt nun eine Karaffe mit Myron, das die

Patriarchen aus dem Libanon, Jerusalem und Kons-

tantinopel mitgebracht haben. Feierlich schüttet der

Katholikos dieses Öl in den Myronkessel. Dann aus

einem nächsten Gefäß Myron von der letzten Wei-

he. Plötzlich reicht ihm ein Priester ein wunderbares,

Edelsteinbesetztes Kreuz, das sonst in der Schatzkam-

mer der Kathedrale von Etschmiadsin zu sehen ist.

Das Kreuz ist eigentlich ein Reliquiar: es bewahrt einen

Partikel des Kreuzes Christi. Mit diesem segnet der Ka-

tholikos nun das Myron durch dreimaliges Rühren in

Kreuzesform. DemWest-Christen (und vermutlich jedem

Museumswärter) stockt der Atem, erst recht, wenn man

dann das Öl von demwunderbaren Kreuz auf die Hände

und die Gewandung des Katholikos tropfen sieht. Aber

so zimperlich ist die Armenische Liturgie nicht. Die Zei-

chen sind voller Sinn.

ZWEI APOSTEL KAMEN IN DEN KAUKASUS

Jetzt wird dem Katholikos die Heilige Lanze zum glei-

chen Ritus gereicht. Diese Lanze spielt in der Armeni-

schen Kirche eine große Rolle. Sie heißt ja deshalb arme-

nisch-apostolische Kirche, weil sie sich auf die Apostel

Judas Taddäus und Bartholomäus zurückführt. Diese

haben das Evangelium nach Armenien gebracht. Judas

Thaddäus brachte auch die Lanze von Golgotha mit,

die jahrhundertelang im Geghard-Kloster, 40 Kilometer

südöstlich von Jerewan, aufbewahrt wurde. Das »Klos-

ter zur Heiligen Lanze« ist ein wichtiger Wallfahrtsort

(den auch die Touristen nicht auslassen). Die Lanze wird

heute in Etschmiadsin aufbewahrt. Und während der

Katholikos sie drei Mal in das Myron taucht, fragt sich

der Lateinische Christ: Gehört die Heilige Lanze nicht zu

den Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches Deut-

scher Nation und ist heute in der Wiener Hofburg? Ehe

die Frage aufkommt, ob Longinus vielleicht zwei Lanzen

hatte, verbietet er sich alle weiteren Fragen angesichts

der Schönheit und Würde der Liturgie und des Glaubens

auf den Gesichtern der Armenier.

Der Katholikos taucht die Heilige Lanze in das Öl als Zeichen

der apostolischen Tradition seiner Kirche, die sich auf die Apostel

Judas Taddäus und Bartholomäus beruft.

Auch das Armreliquiar Gregor, des Erleuchters, wird in das Myron

getaucht. Zeichen der Kontinuität des Glaubens durch mehr als

1700 Jahre.

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