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E

r ist eine rauhe Schönheit. Sein Holz ist hart, sein

Stamm knorrig. Dieser, seine Haut, ist zerfurcht, von

Wind und Wetter gegerbt. Der Baum hat manches Win-

tergewitter gesehen, auf ihn sind Hagelstürme nieder-

gegangen und auch Schnee hat sich sanft über ihn ge-

legt. Möglicherweise sind israelische Gummigeschosse

oder scharfe Munition an ihm abgeprallt oder in ihn ein-

gedrungen. Manch ein Baum ist von israelisch-jüdischen

Siedlern in Brand gesteckt oder von Armee-Bulldozern

aus dem Boden gerissen worden. Die Rede ist vom Olea,

dem fürs Heilige Land typischen Öl- oder Olivenbaum.

Mit etwa 20 baum- oder strauchförmigen Arten ist er

nicht nur im Mittelmeergebiet, sondern in Asien, Afrika

und Australien heimisch. Er ist immergrün, seine Krone

ausladend, seine Blätter länglich und ledrig.

Etwa im Alter von zehn Jahren bringt der Ölbaum erste

Erträge, dann aber ist er nicht mehr zu bremsen. Über

Jahrhunderte kann er ertragsfähig bleiben. Anspruchs-

los und trockenresistent gedeiht er in Galiläa, im pa-

lästinensischen West-Jordanland, und nicht zuletzt auf

Jerusalems Ölberg. Die Ernte der ovalen, grünlichen,

violetten oder blauschwarzen Oliven ist mühsam. Im

Herbst, vorzugsweise nach dem ersten Regen der Re-

genzeit, werden die Steinfrüchte vom Baum geschüttelt

oder geschlagen. Für das Abernten eines Baumes kön-

nen zehn Personen einen ganzen Tag beschäftigt sein.

Die Ausbeute beträgt vielleicht nur einen Zentner, in ei-

nem guten Jahr das Doppelte.

EIN SYMBOL VON GEWALT-

LOSIGKEIT UND FRIEDEN

D

er Ölbaum begegnet uns schon in der hebräischen

Bibel. In der Sintfluterzählung lässt Noah zuerst ei-

nen Raben fliegen, dann sendet er eine Taube aus, die je-

doch zurückkehrt, da sie nirgendwo landen kann. Nach

sieben Tagen wird sie erneut losgeschickt, worauf sie

mit einem Ölblatt zurückkommt. Dies gilt als Friedens-

angebot Gottes an die Menschen. Denn Noah stellt fest,

dass das Wasser sinkt.

D

er Ölbaumwird deshalb bewusst gepflanzt, als Aus-

druck der Gewaltlosigkeit und des Friedenswillens

– etwa von israelischen oder palästinensischen Frie-

densaktivisten. Schon Papst Paul VI. pflanzte bei seiner

Heilig-Land-Reise 1964 einen Olivenbaum im Garten

Gethsemani, Papst Franziskus tat es am selben Ort 50

Jahre später. Papst Johannes Paul II. pflanzte mit Ober-

rabbiner Lau ein Bäumchen und sein Nachfolger Bene-

dikt XVI. setzte 2009 ein Ölbäumchen im Innenhof des

israelischen Präsidentenpalastes. Ausgerechnet dieses

Lebewesen, dieser Inbegriff des Friedens, ächzt und

stöhnt, leidet und blutet im Heiligen Land.

Vor allem seit Beginn der israelischen Landnahme infol-

ge des Sechs-Tage-Krieges 1967 hat es der Baum noch

schwerer. Auch er bekommt die ungleicheWasservertei-

lung zwischen Israelis und Palästinensern zu spüren.

Immer wieder muss er dem Landhunger militant-jüdi-

scherSiedlerweichen.ErwirdvonisraelischenBulldozern

entwurzelt, um Platz zu schaffen für den Trennbarriere-

bauoder einfachaus »Sicherheitsgründen.«Der jüdische

Friedensaktivist Professor Jeff Halper zeigt auf politi-

schen Touren gerne einen uralten palästinensischen Öl-

baum in einer völkerrechtswidrigen jüdischen Siedlung.

Nach Jahrhunderten in palästinensischer Erde steht er

nun inmitten einer Verkehrsinsel am Ortseingang von

Ma´ale Adumim. Man kann die Verletzungen am Stamm

erkennen, die ein Bagger oder Bulldozer verursacht hat.

DAS STÖHNEN

DES ÖLBAUMS

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03. 2016