Pater Peter Hillen SAC

Die Afrikaner müssen sich selbst missionieren

Seit 1974 ist er Pallottiner, seit 1979 Priester. Pater Peter Hillen engagiert sich seit 32 Jahren für die Menschen in Afrika, davon die letzten 10 Jahre in Nigeria. Die sogenannten „Formation“, die Ausbildung von Priestern und Brüdern, ist ihm ein besonderes Anliegen. Pater Hillen hat etwa 85 Mitbrüder (40 in Kamerun) als Postulatsmeister begleitet, die heute Priester oder Bruder als Pallottiner, Weltpriester oder in einer anderen Gemeinschaft sind. Derzeit lebt und arbeitet er im Pallotti House in Mbauwku-Anambra. Viele Wohltäter in Deutschland und Österreich stehen seit vielen Jahren in engem Kontakt und unterstützen seine unermüdliche Aufbau- und Projektarbeit.

Schön, dass Sie für uns ein wenig Zeit haben. Sie sind ein Mann der Mission. Über welche Themen würden Sie heute gerne sprechen?

Das kommt darauf an, was die Leserinnen und Leser interessiert. Ich kann Ihnen von meinen Erfahrungen in Afrika berichten. Ich war mittlerweile schwerpunktmäßig in drei Ländern eingesetzt. Zuerst in Kamerun (ab 1985), dann in Südafrika (ab 1999) und jetzt in Nigeria (seit 2007).

An welchem Projekt arbeiten Sie zurzeit?

Ich bin 2007 als Tourist nach Nigeria gekommen, habe 15 Monate in einer Pfarrei gearbeitet und dabei Igbo (sprich: Ibo) gelernt. Wir haben vom König Land geschenkt bekommen und mittlerweile ein eigenes Haus für die Gemeinschaft gebaut. Wir sind heute 14 Priester und wir haben 26 Studenten. Im Augenblick kümmere ich mich beispielsweise um unsere Wasserfabrik. Wir können so mit unserer eigenen Arbeit Geld für unsere größer werdende Gemeinschaft verdienen. Und sauberes, bezahlbares Wasser in Beuteln ist eine große Hilfe für die Menschen.

Wasser ist Leben. Sollte Wasser nicht allen kostenlos zur Verfügung stehen?

Ja, das sollte es. Wir haben deshalb schon 10 Brunnen gebaut, weitere vier sind in Planung. Außerdem mehrere Regenwasser-Auffangtanks, damit es in der Trockenzeit Wasser gibt. In der Gegend, in der wir das Wasser verkaufen, ist der Brunnenbau schon mehrfach gescheitert, das liegt an dem sandigen Untergrund und dass das Grundwasser sehr tief ist. Deshalb gibt es lokal nicht genügend Wasser und die Leute müssen das Wasser von Firmen kaufen. Wir haben uns hier einfach dran gehängt. Eine Packung mit 20 Wasserbeuteln à 0,6 l kostet 100 Naira, 340 Naira sind ein Euro. Das ist für die Leute bezahlbar. Das hilft uns und den Leuten, weil es sonst in der Hitze Nigeria kein Trinkwasser gibt.

Wie geht es den Menschen in Nigeria?

Das Land hat viele Probleme, einen Teil davon kann man ja regelmäßig in deutschen Schlagzeilen wiederfinden. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, auch von qualifizierten Hochschulabsolventen, die nach der Universität keine Anstellung finden. Deshalb orientieren sich junge Erwachsene „Overseas“ und gehen in Länder, die eine bessere Zukunft versprechen. Die Stammesmitglieder der Igbo sind sehr geschäftstüchtig und betreiben in der ganzen Welt Handel. Man sagt: „Hole alle Igbo zusammen und du hast alle Sprachen der Welt.“ Die Igbo bauen viel auf und investieren viel Geld in die Zukunft. Dabei handelt es sich hier im Südosten von Nigeria um das Gebiet, das wir in Europa noch als „Biafra“ kennen. Früher gab es in dieser Region einen verheerenden Bürgerkrieg, den die Einheimischen als Unabhängigkeitskrieg verstanden. Sie fühlten sich von der Zentralregierung vernachlässigt. Die Zentralregierung dachte, dass der Aufstand in drei Monaten niedergeschlagen wäre. Es hat aber drei Jahre gedauert. Die Zentralregierung gab damals auch den Missionaren die Schuld, dass es so lange gedauert hat, wegen der Unterstützung aus dem Ausland. Nach dem Krieg wurden deshalb alle kirchlich geführten Schulen vom Staat übernommen. Mittlerweile haben die Kirchen – hauptsächlich Katholiken und Anglikaner – circa 400 Schulen zurückerhalten. Das ist eine große Verantwortung, aber auch ein Verdienst, dass den Kirchen das Vertrauen geschenkt wird.

Boko Haram bedeutet „Westliche Bildung ist Sünde“ – das wird von den Islamisten im Norden nicht so gesehen, vermute ich?

Die Igbo investieren und entwickeln das Land, bringen Bildung und zunehmend Wohlstand. Das gefällt den Islamisten nicht, sie wollen, dass die Bevölkerung dumm gehalten wird. Und auch westlicher Wohlstand stört die Boko Haram. Am Biafra-Tag kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen Nord und Süd. Zwischen Moslems und Christen. Das nutzt die Boko Haram aus und will Chaos herbeiführen, dabei ist es ihnen egal, wen sie töten, ob Moslem oder Christ.

Die Kirchen in Afrika boomen, das heißt die Kirchen sind voll, die Menschen engagieren sich in den Pfarrgemeinden, es gibt keinen sogenannten Priestermangel und die Orden finden regen Zulauf?

Ja, der Sonntagsgottesdienst ist für alle Katholiken in Nigeria, ganz im Gegensatz zur Mehrheit in Europa, wirklich wichtig. Jugendliche treffen sich in Jugendgruppen und kommen alle vier Wochen zur Beichte. Unsere Pallotti Jugend hat sich das Motto: „Pallotti for Action – Action for Christ“ gegeben. In unserer Region gibt es viele Katholiken. Kirche, Familie und Gemeinwesen haben einen hohen Wert. Manchmal denke ich, die Gläubigen sind gelegentlich „päpstlicher als der Papst“. In Afrika sind die Leute eh stark im Glauben verwurzelt, das hat eine lange Tradition. Deshalb gedeihen hier bei uns auch Sekten, charismatische Bewegungen und manche Gläubigen haben Sehnsucht nach Wundern und Spontanheilungen. Daneben gibt es aber auch Marianische Gruppen oder Hochschulgruppen, in denen die katholischen Studentinnen und Studenten zusammenkommen.

Was den Wunsch angeht, Priester zu werden: Nigeria hat wohl den stärksten Nachwuchs in der ganzen Weltkirche. Die Priesterseminare sind gefüllt, nicht alle können aufgenommen werden. In der Diözese Akwa, in der ich tätig bin, sind wir circa 500 Priester, davon sind rund 120 in der Mission tätig, wurden also für drei Jahre ausgesandt, zum Beispiel nach Südafrika, in den Tschad oder nach Mali. Ein paar sind auch in Deutschland und Österreich tätig.

Macht Europa etwas falsch oder ist einfach die Aufklärung in Nigeria noch nicht angekommen?

So einfach ist es nicht! Als ich vor drei Jahrzehnten nach Afrika ging, waren in Europa die Kirchen auch noch voll, trotz Aufklärung. Die Entwicklungen in meinem Geburtsland machen mir wirklich Sorgen. Wobei ich weder Schuldzuweisungen noch Antworten oder Rezepte kenne. Eine Ursache ist vielleicht, dass es in Deutschland viel Ablenkung und Angebote gibt, die es in Nigeria nicht gibt. Diese ganzen technologischen Neuerungen, wie Fernsehen, Smartphones und die ganzen kommerziellen Angebote und Ablenkungen. Außerdem ist das Leben in Industriegesellschaften anders organisiert. Wenn die Jugendlichen in die Pfarrei kommen, gibt es oft kein Konkurrenzangebot.

Ein anderer Grund ist möglicherweise, dass die traditionellen Religionen in einigen Bereichen sehr stark dem Katholischen entsprechen: Es gab eine sehr starke Rolle des Priesters in der Gesellschaft, oder bei der Rolle der Frau oder dem Verständnis von Maria, … die Afrikaner waren immer schon tief religiös. Ich bemühe mich, dass die Menschen den Kult und den Alltag auch mal hinterfragen und bringe offene Themen und Fragestellungen ein, wie Ökumene, oder konkret: „Darf eine Katholikin einen Anglikaner heiraten?“ oder allgemein die Rolle der Frau. In Nigeria haben Frauen nämlich keine Religion, der Mann bestimmt die Religion. „Was bedeutet das für gemischte Ehen?“, das sind alles Themen, die die Menschen im Alltag beschäftigen. Aber natürlich auch die gleichen Dinge, wie in Europa: Fußball, soziale Medien oder die deutsche Bundesliga! Wir haben eine Zeitschrift, die dreimal im Jahr erscheint: „The Pallottine“, dort greifen wir Themen auf, die die Gläubigen interessieren.

Die deutsche Bundesliga, wirklich?

Ja, viele Jugendliche sind da sehr interessiert und relativ gut informiert.

Zurück zur Ausgangsfrage, wie erreicht die Kirche Gläubige und Nicht-Gläubige?

Die Kirche muss zu den Leuten gehen und sie muss an die Ränder gehen. Ich beispielsweise gehe da hin, wo was los ist und mische mich unter die Leute. Bei Fußballspielen zum Beispiel. Das ist in Nigeria eher unkonventionell. Aber dadurch bin ich präsent und ansprechbar. Das macht schon Eindruck und hat mir das Vertrauen meiner Mitmenschen eingebracht. Es ist wichtig, dass wir die Leute Kirche anders erleben lassen.

Mit dem Ende des Kolonialismus und seit dem Zweiten Vatikanum hat sich die Bedeutung der Missionsarbeit sehr stark geändert. Braucht es heute überhaupt noch Missionare?

Die Kirche ist missionarisch oder sie ist nicht! „Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“! (Mk 16, 15); der Auftrag Jesu gilt. Unsere Kirche muss mit ihrer Botschaft und ihrem Engagement bis an die Enden der Erde gehen.

Wozu?

Um seinen Auftrag zu erfüllen. Und um den Menschen ihre „Heidenangst“ zu nehmen. „Ich gehe nicht in dieses Dorf, sonst liegt ein Fluch auf mir!“ Wir müssen den Menschen Gottes Barmherzigkeit und die Frohe Botschaft bringen. Wir dürfen ihnen unseren Gott nicht vorenthalten, der alle bedingungslos annimmt und liebt.

Ich bin dankbar und froh, dass ich in der Ausbildung von Mitbrüdern tätig sein durfte. Wir haben heute einheimischen Nachwuchs, die pallottinische Spiritualität lebt weiter. Die Afrikaner müssen sich selbst missionieren. Dabei spielen die unterschiedlichen regionalen Traditionen und Stammeskulturen eine wichtige Rolle. Einheit in Vielfalt. Jede Region muss ihre eigenen Akzente setzen. Nigeria wird sich anders entwickeln als Kamerun oder Südafrika.

Welche Rolle spielt das pallottinische?

Wir Pallottiner leben unter den Menschen und sind für sie da, das ist das Wichtigste. Wir passen uns der jeweiligen Kultur an, machen uns die Fragen der Menschen zu eigen und versuchen als Christen, Antworten zu finden. Kirche darf nicht distanziert sein, Kirche muss nah an den Menschen dran sein. Wir verändern Strukturen nicht über Nacht. Manchmal gibt es Regeln, die sich nicht über Nacht ändern lassen, die Fragen ersticken. Da brauchen wir die Freiheit der Kinder Gottes. Da müssen wir mit den Menschen nach Antworten suchen. Kirche muss lebendig für alle da sein. Keine Institution, kein Machtapparat, sondern auch eine Kirche der Armen.

Zusammenarbeit die göttlichste aller Gaben, sagt Vinzenz Pallotti. Die Zusammenarbeit aller Christen, das sogenannte Laienapostolat, ist das typisch pallottinische. Da muss sichtbar werden, wie das mit dem Ebenbild Gottes gemeint ist. Und dass wir gegenseitig und miteinander eine Verantwortung füreinander und für die Welt haben. Wir Pallottiner ermutigen die Menschen, diese Sicht weiter zu geben. Das gilt für Europa und das gilt für Afrika. Die nigerianische Kirche ist oftmals noch verschlossen und noch nicht volksnah genug. „Der Hirte muss den Geruch der Schafe an sich haben!“ sagt Papst Franziskus. Das ist der richtige Weg.

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